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GESUNDHEITSMINISTERIN SCHÜTZT KASSEN VOR DER MARKTWIRTSCHAFTVerschnaufzeit für die Großen

Mut hat die Frau ja. Kaum hat sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bereit erklärt, den Doktoren die fälligen Strafzahlungen für überzogene Arzneimittelbudgets zu erlassen, fesselt sie die zahlenden Mitglieder der Krankenkassen auf lange Sicht an ihre Verträge. Der Kassenwechsel, bislang einmal im Jahr möglich, soll radikal eingeschränkt werden. Ab sofort. Widerreden werden nicht zugelassen. Das Kabinett darf am Mittwoch die Vorlage absegnen. Wer vor hatte, in diesem Jahr seine Kasse zu wechseln, hat noch exakt heute und morgen Zeit, das Kündigungsschreiben bei der Geschäftsstelle einzuwerfen. So resolut und fern jedweder politischer Gepflogenheit hat noch keine Gesundheitsministerin zuvor regiert. Mit ihrer Vorgehensweise bewirbt sich Ulla Schmidt um den Orden „Polithammer“, Ausführung „in blankem Eisen“.

Sicherlich wird die Ministerin auch viel Schmeichelhaftes hören. Wenn Schmidt die Chefs der gesetzlichen Krankenkassen heute zu einem runden Tisch auf Schloss Ziethen trifft, werden sich gerade die Vorständler von AOK und einigen großen Ersatzkassen artig bedanken. Denn die Sperre beim Kassenwechsel verschafft den Herren der leeren Kassen genau die Verschnaufzeit, um die sie seit Monaten hinter den Kulissen händeringend geworben haben. Es stimmt ja auch, dass gerade die großen Kassen wirtschaftliche Not leiden. Seitdem die kleinen, preiswerten Betriebskassen ihnen die gesunden, fitten Gutverdiener wegschnappen, müssen sie mit weniger Geld die vielen chronisch Kranken und Alten versorgen. Bislang buhlten sie im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Die Antreiber für diesen Existenzkampf der Kassen saßen im Bundestag. Dort wurde vor fünf Jahren das Gesetz gemacht, dass den Betriebskassen den unverhofften Zulauf brachte. Schmidt will den harten Preiskampf jetzt stoppen. Im Prinzip ist die Absicht nachvollziehbar, die Kassen vor allzu viel Marktwirtschaft zu schützen. Aber deswegen muss der Weg, den die Ministerin beschreitet, noch lange nicht der richtige sein. Vor Beitragserhöhungen etwa schützt das Ende des Kassenhoppens nicht.

Statt einer Nacht- und Nebel-Kassenfreundschaftsaktion hätte die Bundesregierung den Druck nutzen können, der sowieso im System steckt. Seit langem steht die Frage im Raum, welcher Kurs in der Gesundheitspolitik einzuschlagen ist. Mehr Marktwirtschaft? Oder mehr Solidarität? Der Weg in die Solidarität ist beschwerlich. Es reicht nicht, den Verbrauchern ihr Recht zu wählen kaltschnäuzig wegzunehmen. Zwang mag der Bürger nicht. Wer Solidarität will, muss sehen, dass möglichst viele Beamte und Besserverdienende ins Boot der gesetzlichen Krankenkassen kommen. Und zwar am besten freiwillig. ANNETTE ROGALLA

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