G7 Gipfel in Italien: Luxusparty von rechts
Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni empfängt die G7. Die Rechtspopulistin will der Welt die Stärke Italiens nach der Europawahl präsentieren.
Den Ort für das Treffen, Borgo Egnazia, rund eine Autostunde von Bari, der Hauptstadt Apuliens entfernt, hat Meloni für das hochkarätige Polittreffen selbst ausgewählt. Urlaub hat sie in der Region gemacht, um zu testen, was ihre internationalen Gäste erleben werden. Die Villen des Edeldorfs sind in typisch süditalienischem Kalkstein gebaut, es weht ein Hauch von Römischem Reich über die Piazze, eine Ahnung von Zeiten, die längst vergangen sind. Die sich die italienische Ministerpräsidentin vielleicht ein bisschen zurückwünscht.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betritt schwungvoll charmant die kleine marmorne Bühne, die Meloni für die Empfangsfotos vorgesehen hat. Der noch amtierende britische Premier Rishi Sunak fällt Meloni wie ein alter Schulfreund fast um den Hals. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz wirkt, wie wenn es nach dem offiziellen Händeschütteln erst mal gemütlich werden soll. Wurde es ja dann auch, mindestens in der Nacht auf Freitag. Der Kanzler hatte Geburtstag und flog im Heli in sein neues Lebensjahr hinein.
Bei anderen G7-Gipfeln gibt es Proteste gegen die Herrschenden der Welt, die sich nicht um Armutsbekämpfung kümmern, nichts gegen die Klimakrise tun und Kriege befördern. Bis auf eine Protestaktion am Freitagabend in Bari mit wenigen hundert Menschen, rauscht der Gipfel nahezu geräuschlos an der Bevölkerung vorbei.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Meloni, in dezentem roséfarbenen Hosenanzug gekleidet, strahlt. Denn ihre Gäste werden eine gute Zeit haben, nicht nur am Tagungsort der sieben wichtigsten Industriestaaten, sondern auch beim Begleitprogramm. Eine Elite-Fallschirmspringerstaffel zeigt, was sie kann. Der Opernsänger Andrea Bocelli soll ein Privatkonzert geben – und zum Schluss kommt noch Papst Franziskus aus dem rund 400 Kilometer entfernten Rom vorbei.
Er will über Frieden und Geflüchtete sprechen – und über Künstliche Intelligenz. Aber vor allem soll er den G7 für ihre gewaltigen Aufgaben Gottes Segen mitgeben. Dass Franziskus an einem solchen Treffen teilnimmt, ist ein Novum. Aber ganz im Sinne der neuen starken Kraft Italiens.
Italien, die stärkste Kraft in Europa
Melonis Italien soll sich von der besten Seite zeigen. Meloni selbst muss nichts mehr beweisen. Bei den Europawahlen hat ihre Partei, die postfaschistische Fratelli d’Italia, die meisten Stimmen erzielt. Noch in der Wahlnacht konnte Meloni nicht anders, als der Welt die klare Botschaft mitzugeben: Italien, Meloni, empfängt als stärkste Kraft in Europa die G7. Die Rechte, unter ihrer Führung, ist stark wie lange nicht mehr.
Und reiht sich ein in einen rechtspopulistischen Kurs, der sich in Europa breit macht. In Frankreich hat Marine Le Pens Rassemblement National die Partei von Staatspräsident Macron in die Ecke getrieben. Manche meinen gar, der RN könnte das Ende der Europäischen Union einleiten. In Deutschland ist es die AfD, die die Ampel in Bedrängnis bringt, und vor allem Grüne und SPD nach den Wahlen mächtig angeschlagen zurücklässt. Es brodelt im politischen Europa.
Dass sich im Superwahljahr 2024 die Machtverhältnisse in der Welt verschieben könnten, ist keine Überraschung. Und der Abschluss kommt womöglich im November, wenn in den USA ein neuer Präsident gewählt wird.
Eine Strategie gibt es offenbar nicht gegen rechtspopulistische Strömungen. Meloni nutzt dieses Vakuum. Nur ein wenig Ehrfurcht zeigt sie, als US-Präsident Joe Biden das Parkett in Borgo Egnazia betritt. Biden, mehr als einen Kopf größer als Meloni, die obligatorischen Küsschen fliegen links und rechts in die Luft, ist derjenige, der später Fakten in Sachen Ukraine schaffen wird. Und auf den es trotz aller Stärke Melonis nach den Europawahlen ankommt.
Nach Borgo Egnazia hat sie jede Menge weitere Staatsgäste eingeladen. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der über Migration sprechen will; die Präsidenten aus Algerien und Tunesien sind gekommen. Kenia, Indien, Brasilien, Mauretanien, Saudi-Arabien sind mit ihren Staatschefs vertreten. Außenpolitisch will Meloni eine Marke setzen: Schaut her, ich bin nicht nur eine hervorragende Gastgeberin, sondern erkenne auch die Probleme der Welt.
Druck auf von der Leyen
Für Italien ist illegale Migration und die hohe Anzahl an Geflüchteten ein politischer Dauerbrenner. Abschottung wäre der italienischen Rechten am liebsten. In Europa braucht es einen gemäßigteren Kurs, um Mehrheiten zu finden. Gekonnt hat Meloni in den vergangenen Monaten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen umgarnt. Gemeinsam reisten sie in die Maghrebstaaten, um Abkommen vorzubereiten, die Geflüchtete davon abhalten sollen, den Weg nach Europa anzutreten. Von dieser besonderen Frauenfreundschaft wollten beide profitieren.
Vor allem von der Leyen, die nach den guten Ergebnissen ihrer EVP-Fraktion mit Rückenwind in die nächste Legislatur des Europäischen Parlaments gehen kann. Damit sie weitere fünf Jahre EU-Kommissionspräsidentin bleibt, braucht sie Unterstützung aus mindestens drei Ländern: Deutschland, Frankreich, Spanien sind im Spiel. Auf Melonis Rückhalt muss sie ebenso setzen. Doch vor allem aus Deutschland kommt Druck auf von der Leyen, nicht mit Rechtspopulisten zu kooperieren.
Beim G7-Gipfel begrüßten sich die beiden Frauen ungewöhnlich kühl, wenig war zu sehen von der viel beschworenen Verbundenheit. Schon in der kommenden Woche soll das künftige Personaltableau in der EU festgezurrt werden. Zeit zu reden hat die italienische Ministerpräsidentin neben den offiziellen Arbeitssitzungen genug eingeplant.
Mehr als einmal fällt das Wort „historisch“
Außenpolitisch sei Meloni eine sichere Bank, heißt es bei Diplomaten. Bestes Beispiel ist die Unterstützung für die Ukraine, an der sie auf keiner Weltbühne je hat Zweifel aufkommen lassen. So auch nicht in Bari. Einer der Ehrengäste, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, kann mit einer 50-Milliarden-Dollar-Zusage nebst einem 10-jährigen Sicherheitsabkommen zwischen der USA und der Ukraine zur Friedenskonferenz in der Schweiz reisen. Mehr als einmal fällt das Wort „historisch“ – ein schönes Geschenk für Gipfelgastgeberin Meloni.
Aber dann zeigt sie doch, was auch Teil ihrer Agenda ist. Familie und Religion sind essenzielle Themen für Meloni und die Fratelli. Die G7 diskutieren auch über Frauenrechte, über den legalen und sicheren Zugang zu Abtreibungen. Meloni sorgte aber dafür, dass dieser Begriff nicht in den Dokumenten auftaucht.
Vermutlich war es das letzte Mal, dass die G7 in dieser Konstellation zusammengekommen sind. Sunak steht vor Wahlen in Großbritannien, Macrons Posten steht bei den französischen Neuwahlen zwar nicht auf dem Zettel, aber seine Zukunft ist ungewiss. Von der Leyen ringt um weitere fünf Jahre als EU-Kommissionspräsidentin. Ob es Biden noch mal ins Weiße Haus schafft? Donald Trump ist längst nicht abgehängt. Mit Turbulenzen muss nur eine sicher nicht rechnen: Meloni.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“