G20: Urteil im Berufungsverfahren: Strafbare Embryonalhaltung
Peike S. erhält wegen Flaschenwürfen beim G20-Gipfel eine Bewährungsstrafe. Erstinstanzlich war er zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt worden.
Das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts sorgte bundesweit für Aufsehen. S. war der Erste, der sich wegen der Auseinandersetzungen rund um den G20-Gipfel vor Gericht verantworten musste. Die Staatsanwältin forderte damals, beim Urteil einen generalpräventiven Aspekt zu bedenken. Nachahmer sollten durch ein beispielhaftes Urteil abgeschreckt werden. Der Richter verurteilte den nicht vorbestraften S. zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft – mehr als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.
S. wurde vorgeworfen, am Abend des sechsten Juli 2017 zwei leere Flaschen auf einen Polizisten geworfen und ihn an Kopf und Bein getroffen zu haben. Der Beamte erlitt nach eigenen Angaben einen kurzen Nackenschmerz. Bei seiner Festnahme soll S. die Embryonalhaltung eingenommen haben. Die Anklage lautete Widerstand, schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Ein Jahr lang saß S. deshalb in Untersuchungshaft. Im Juli 2018 wurde er überraschend unter Auflagen von der Haft verschont. Im Verfahren erzählte S., wie er seitdem versucht, sein Leben wieder aufzubauen.
Die Verteidigung forderte im Berufungsverfahren einen Freispruch, ersatzweise eine Bewährungsstrafe. Die Flaschenwürfe seien S. nicht nachzuweisen, vor allem weil die Zeugenaussagen widersprüchlich seien, sagte Anwalt Alexander Kienzle. Der Staatsanwalt hingegen forderte dieselbe Strafe wie in erster Instanz: Ein Jahr und neun Monate Haft.
Das Gericht erließ diese Freiheitsstrafe, setzte sie aber zur Bewährung aus. Es gebe keinen Grund an den Schilderungen der beiden Hauptbelastungszeugen der Polizei zu zweifeln, so die Richterin. Die Embryonalhaltung und das Sich-schwer-machen seien als Widerstand zu werten.
Zum generalpräventiven Aspekt sagte sie, dass ,wer aus einer Menschenmenge Flaschen werfe, damit rechnen müsse, dass es Nachahmer gebe. Weil sich S. aber von seiner langen Untersuchungshaft beeindruckt gezeigt und eine positive Sozialprognose habe, habe sich die Kammer gegen eine Haftstrafe entschieden. S. nahm das Urteil ruhig entgegen, Verteidigung und Zuschauer*innen wirkten enttäuscht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig,
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin