piwik no script img

G20-Polizeieinsatz in EntenwerderAufruhr im Debattenzelt

Nickerchen verboten: Elf Übernachtungszelte waren der Polizei genug. Sie räumte gleich in der ersten Nacht ein Protestcamp.

Streit um Entenwerder: Auf dieser Wiese am Rande Hamburgs soll bitte bloß niemand schlafen Foto: dpa

HAMBURG taz | Kommt ein Debattenzelt zum G20: Es ist 20.51 Uhr am Sonntagabend als das große braune Debattenzelt in den Entenwerder Stieg einbiegt. Es hat etwa 40 Füße und läuft im Schritttempo seinem Bestimmungsort entgegen. Getragen wird es von rund 20 Menschen, die aus den kleinen Fensterchen schauen und sich beim Vorbeigehen ihre Halstücher vor das Gesicht ziehen, damit man sie nicht erkennt. Von weitem sieht man ohnehin nur ihre Füße. Es sieht aus, als laufe da so ein Zelt vor sich hin.

Das Zelt läuft einmal links um die Ecke, dann nach rechts, dann geradeaus hinüber zur Wiese und da ist es dann also endlich angekommen: Die Protestwiese in Entenwerder, ein Ort am Ende der Großstadt, 6,2 Kilometer entfernt von den Messehallen, wo ab Freitag die Staatsgäste zum umstrittenen G20-Gipfel zusammenkommen sollen – und doch ist diese entlegene Grünfläche so umkämpft wie ein Stückchen Brot in der Nachkriegszeit.

Als das Debattenzelt auf die Wiese biegt, wird es mit Applaus empfangen. Gerade erst hat die Polizei dem Zelt den Zugang frei gegeben, nachdem die Beamten die Demonstranten über Stunden daran gehindert hatten, ihr gerichtlich erlaubtes Protestcamp zu errichten. Bis gerade noch saßen Aktivistinnen und Aktivisten im Debattenzelt vor der Polizeisperre und diskutierten wie sie darauf reagieren: Mit einem Ultimatum! Bis Dienstag! 10 Uhr!

Aber da ging schon die Polizeisperre auf und das Protestcamp durfte errichtet werden. Dann wurde das Plenum beendet und das Debattenzelt ging zur Wiese hinüber. Dieses Debattenzelt kann froh sein, ein Debattenzelt zu sein. Das macht in Entenwerder einen Unterschied ums Ganze.

Denn für die Hamburger Polizei ist völlig klar: Wenn hier ein Übernachtungszelt ankommt, gibt es Stunk. Das ist die Linie der Polizei seit Langem: Sie tut alles, um zu verhindern, dass in irgendeinem Protestcamp in Hamburg geschlafen wird. Verboten sind in den Augen der Polizei: Infrastruktur, die das Kochen ermöglicht, Bettchen, Schlafsäcke und, ganz wichtig: Übernachtungszelte. Kurz: Alles was dazu führt, dass sich tausende Demonstranten in Hamburg versammeln, um ihre Proteste zu organisieren.

Bei Bürgerrechtlern und tausenden Demonstrantinnen und Demonstranten, die am Wochenende gegen Putin, Trump und Erdogan demonstrieren wollen, sorgt das für Empörung. Sie stehen nun ohne Schlafplätze da. Aus der Hamburger Innenbehörde heißt es dagegen, es müsse jedem klar sein, wer hinter der Anmeldung der Protestcamps steht: Hier wolle sich das gewaltorientierte, linksextreme Spektrum organisieren.

Die Räumung ist ein Novum

Tatsächlich wurde etwa in Heiligendamm auch aus den Camps heraus der teils gewalttätige Protest organisiert – aber ist es deshalb gerechtfertigt, sämtlichen auch friedlichen Demonstranten die gesamte Infrastruktur für ihren Protest zu entziehen? Jedenfalls ist es ein Novum. Ein „Festival der Demokratie“, wie Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz den G20-Gipfel nannte, ist das jedenfalls nicht.

Es dauert also nicht lange bis an diesem Sonntagabend schließlich viele erlaubte Dinge in Entenwerder aufgebaut werden: Ein Workshopzelt wird herangetragen, ein Workshoppavillion, einige Bierbänke und -tische und siehe da: Elf Übernachtungszelte!

Und dann wieder dauert es nicht lange, gerade erst ist es dunkel geworden, bis plötzlich hunderte Polizisten zur Tat schreiten: Sie wollen schonmal mindestens die Übernachtungszelte räumen und gehen nun so gegen das Camp vor, das ein Verwaltungsgericht im Grundsatz erlaubt hat und das laut nahe liegender Auslegung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls erlaubt werden soll – und da sind sie also, die ersten Eskalationsszenen dieser Tage: Pfefferspray, schreiende Aktivisten, einige Journalisten streamen die Räumung live im Internet – und die Linksfraktion sowie die Demonstranten sind empört.

Tatsache ist: Zu diesem Zeitpunkt ist mehr als fraglich, ob die Polizei eine Rechtsgrundlage für ihr Handeln hat. Ausgerechnet die kritischen Fragen – Schlafen? Kochen? – sind zu diesem Zeitpunkt Bestandteil einer Verwaltungsgerichtsentscheidung, die noch aussteht. Erst später in der Nacht wird das Verwaltungsgericht schließlich entscheiden, dass die Polizei das Recht hat, die Übernachtungszelte zu räumen.

Die Opposition ist trotzdem empört. Sie sieht in der Räumung einen klaren Rechtsbruch

Die Opposition ist trotzdem empört. Sie sieht in der Räumung einen klaren Rechtsbruch. Die Polizei, sagt etwa die Hamburger Linkspartei, habe sich bei der Räumung ihr eigenes Recht durchgesetzt. Für sie ist das Vorgehen ein Skandal. Am Montag fordert die Hamburger Linksfraktion den Rücktritt von Innensenator Andy Grote (SPD).

Die Grünen, selbst Teil der Hamburger Stadtregierung, mogeln sich so durch den Tag: „Es ist bedauerlich, dass es zu dieser Entwicklung gekommen ist“, sagte die innenpolitischer Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion der taz. Im Prinzip sei es schon richtig, Camps zu erlauben, sagt sie. „Ob das für G20 in Hamburg politisch noch möglich ist, daran habe ich nach dem Vorgehen der Polizei und nach Gesprächen mit der SPD meine Zweifel.“ Achso.

In Hamburg jedenfalls ist die Debatte um das Grundrechtsverständnis des Hamburger Senats voll entbrannt. Unberührt davon ist das olivegrüne Debattenzelt von Entenwerder. Solange darin nur debattiert wird, also solange darin niemand ein Nickerchen macht, ist das auch alles völlig grundrechtskonform. Später in der Nacht, so heißt es, sei dann jedoch doch noch jemand in Entenwerder eingeschlafen. Ob dies im Debattenzelt geschah, ist zur Stunde noch ungeklärt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Demonstrationen in der Freien und Hansestadt immer gern, bunt und auf Wunsch auch mit extremen Äußerungen, aber ohne Gewalt und ohne provokative Spielchen Gewaltbereiter. Es werden tausende gewaltbereite Wirrköpfe aus aller Welt erwartet, die lachen leider über die sorgsam eingeübte deutschen Deeskalationskonzepte. Und in Hamburg weiß man auch: Aufschlagen eines Camps durch Hamburgs Autonome: 1 Tag, Räumung: Jahrzehnte wenn überhaupt. Die Debatte über das Campen ist eine Pose, die entlarvt, dass sonst offenbar nicht viel zu sagen ist. Die Beschränkungen des Demonstartionsrecht ist ein Jammer, Schuld sind Gewaltbereite und autonome Ihrsüppchenkocher. Pfui Teufel!

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @OPanini:

      Demo "ohne Gewalt und ohne provokative Spielchen Gewaltbereiter" ? Sie meinen also ohne Polizei. OK.