Fußballprofi Marcel Risse: Überzeugter Eierer
Die innere Mitte findet man eher im Alter. Profisportler wie Marcel Risse vom 1. FC Köln brauchen einen Therapeuten, um sie zu finden.
Interviews mit Marcel Risse sind, was den Inhalt anbelangt, genauso öde wie alle anderen Interviews mit Fußballern. Trotzdem sind sie viel interessanter, wenn sie im Fernsehen laufen. Denn Interviews mit Marcel Risse muss man sich ansehen.
Marcel Risse, und das ist ein Unterschied zu vielen seiner Kollegen, weiß selbst, dass diese Interviews öde sind und belanglos. Wie er dann dasitzt, die Arme oft vor der Brust verschränkt, oder aber die Schultern nach vorne gezogen, als würde er ein wenig frieren; dabei aber den Blick offen nach vorne gerichtet, skeptisch und gleichzeitig amüsiert, das hat etwas von der distanzierten Ironie eines balzacschen Erzählers.
Es heißt immer, Fußballer seien dann besonders gut, wenn sie nicht viel über sich nachdächten. Tatsächlich denkt Marcel Risse nicht viel über die Figur Marcel Risse nach. Er ist, wenn er nach der Figur gefragt wird, ein Meister des Herumeierns. Als Marcel Risse einmal sagen sollte, was ihn besonders auszeichne, da begann seine Antwort so: „Ja, ich … ich kann ganz … äh … Ich bin … bin ’n ganz guter Läufer, also. Ich bin schnell und vielleicht auch ausdauernd.“
Das ist unbestritten wahr, und es ist ein grobes Understatement. Marcel Risse kann auf der rechten Seite vorne, hinten, oben und unten spielen; er ist der Inbusschlüssel im Kölner Ikea-System. Kann man immer mal gebrauchen, auch weil er noch immer als einer der schnellsten Spieler der Liga gilt, und er kann auch noch ein paar Sachen mehr, wie man inzwischen weiß: Flanken. Gegenspieler in Grund und Boden, Moment, eintüten. Und außerdem: Freistöße aus einem halben Kilometer Entfernung in den Winkel hauen (auch da hat er sich als großer Meister des Herumeierns erwiesen).
Nichtsdestotrotz und -weniger denkt Marcel Risse viel über Marcel Risse nach. Bevor er in Köln zur tanzenden Säule des Systems wurde, hat man ihn vor allem auf eines angesprochen: auf seinen Mentaltrainer. Das gibt es in der Bundesliga noch nicht so oft, dass einer einen Mentaltrainer engagiert. „Irgendwann habe ich festgestellt, dass es nicht an meiner Konzentration liegt, sondern an meiner Persönlichkeit, dass ich mir ständig so viele Gedanken mache.“ Ja, am Ende liegt es immer nur daran, dass man einen Kopf hat, in dem was herumeiert. Und dann braucht man halt doch einen Therapeuten, der die Gedanken in eine Umlaufbahn bringt.
Et kütt wie et kütt
Freilich, ist das denn nötig? Brauchen gut verdienende, gesetzte Mittzwanziger zur reinen Leistungssteigerung einen Therapeuten, der sich dann auch Trainer nennt, weil das besser klingt? Marcel Risse noch mal: „Gut möglich, dass ich meine innere Mitte aufgrund der Lebenserfahrung im Alter von 40 oder 50 Jahren auch erreiche, doch für einen Profisportler ist das zu spät.“ Und das stimmt, leider. Es ist halt nicht seine Schuld, dass in ganz Deutschland selbst schwer Traumatisierte wochenlang auf einen Therapieplatz warten müssen, während er für einen Flatterball mehr im Jahr Privatbetreuung bekommt.
Nicht Marcel Risse ist bescheuert, das System ist es, und er weiß das. Man merkt es an seinem defensiv-suggestivem Blick. Jetzt hat Marcel Risse noch einmal Schlagzeilen gemacht, weil er sich gegen Hoffenheim das Kreuzband gerissen hat. Seither hat Köln nicht mehr gewonnen, und Modeste hat nur noch einmal getroffen (okay, gegen Leverkusen, zählt doppelt). Mag Zufall sein, so würde es vielleicht auch Marcel Risse sehen. Dramatisieren wird er all das sicher nicht.
Marcel Risse hat auf seinem linken Arm ein Motto tätowiert, das seine Fernschüsse ebenso abdeckt wie seine Verletzungen. „Et kütt wie et kütt“, steht da. Und, mein Gott: Das stimmt halt auch. Mal hauste den Ball in den Winkel, mal reißt dir das Kreuzband. Was soll man dazu sagen: nix. Das ist es, was Marcel Risse weiß, und viele andere in diesem Theater eben nicht.
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