Fußballfieber in Australien: Wie der Ball ans Ende der Kugel kam

Wer denkt, Fußball finde nur auf dem Feld statt, liegt falsch. Krankheitsbedingt hat unsere Autorin außerhalb der Stadien das Turnier ganz neu erlebt.

Sam Kerr und Mackenzie Arnold (r.) von Australien sind auf dem Spielfeld.

Hat nicht gereicht: Sam Kerr und Mackenzie Arnold (r.) nach dem verlorenen Halbfinale Foto: ap

Es gibt im Englischen den schönen Begriff watershed moment. Ein Augenblick, nach dem nichts mehr so sein wird wie zuvor. Den watershed moment, als Fußball in Australien groß wurde und Frauenfußball ein Weltspektakel, habe ich quasi über Bande erlebt. Wegen einer Kopfverletzung just am Tag nach dem Eröffnungsspiel habe ich den Großteil dieser WM in Krankenhäusern und Arztpraxen verbracht.

Man könnte meinen, ohne Stadion erlebe man nichts von einem Turnier, aber das ist falsch – man sieht die WM in Vignetten, in unzähligen Gesprächen an der Grasnarbe. Arzttermine verliefen üblicherweise so: Erst das Wichtige, und dann das wirklich Wichtige – also WM-Analyse. Ich muss auch bei Männerturnieren länger zurückdenken, um mich an eines zu erinnern, das so allgegenwärtig und so populär war.

Diese Vignetten waren so berührend wie unterhaltsam. Ein Arzt erging sich in langen Theorien zur Verletzung von Sam Kerr, ernsthaft überzeugt, die sei bloß Fake. Kerr als Wunderwaffe. Ein philippinischer Arzt, aufgewachsen in Manila, erzählte von seinem stolzesten Moment, dem 1:0-Sieg der Philippinen über Neuseeland. Und verbreitete dann so enthusiastisch auf dem Flur, da im Zimmer liege eine WM-Journalistin, dass mir ungefähr jede Pflegerin erst mal von ihren Ticketkäufen berichtete. Ich fühlte mich wie eine Stellvertreterin Sam Kerrs.

Es sind immer noch mehr Männer, die den Fußball-Smalltalk pflegen, aber längst nicht nur. Die Neurologin will nach Gesprächsende erst mal wissen, was ich vom Ausscheiden der USA halte. Und all das mit einer selbstverständlichen Ernsthaftigkeit, die es in Europa bei Frauenturnieren nicht gibt. Bei der WM in Frankreich dominierte ein gönnerhaftes „Mehr Sichtbarkeit für die Frauen“-Narrativ. In Aus­tralien sagen sie eher berauscht: „Public Viewing beim Fußball, kannst du dir das vorstellen?“

Es dauert nur

Das sickert auch aus den Großstädten heraus. Eine Taxifahrt zwischen Kanwal und Wyong. Hier leben die Leute, die sich die explodierenden Mieten in Sydney nicht mehr leisten können, zwei Stunden Pendelweg in die Stadt. Wir fahren in meinen Vorort, den der Fahrer abfällig „Smackhead Village“ nennt, wegen der vielen Drogensüchtigen. Er ist ein bisschen ein Hillbilly-Typ, sehr nett und sehr frei von politischer Korrektheit. Er schimpft viel über seine Ex und klagt darüber, was man heute alles nicht mehr sagen dürfe, um es dann trotzdem zu sagen. Aber natürlich guckt er auch WM. „Diese vollen Stadien, das ist toll für die Mädels“, sagt er und meint das.

Er will wissen, wie Frauenfußball in Deutschland so dastehe. Und er erzählt von seinen beiden Töchtern, die jetzt Rugby spielten. Mädchen beim Rugby! Er mache sich große Sorgen, wegen der Verletzungen. „Sie sagen mir: Papa, du hast doch früher auch Rugby gespielt. Klar, aber wir waren Jungs.“ Ich sage vorsichtig, was man so sagt in solchen Fällen. „Ja, ja“, sagt er, „ich weiß schon. Ich komme auch noch an den Punkt. Es dauert nur.“ Es gibt gute Nachrichten von der Grasnarbe bei diesem Turnier.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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