Fußballexperten bei ARD und ZDF: Wie Helmut Kohl und Heiner Geißler
Die WM-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen: Gnadenlose Begeisterung und fehlende Kompetenz. Und Scholl ist nicht besser als Kahn.
Wenn die ARD kritisch wird, handelt es sich um eine Panne. „Ist das offiziell?“, fragte der WM-Moderator Matthias Opdenhövel: „Du weißt ja nie bei den schwindeligen Fifa-Flöten.“ Großer Jubel in Onlineforen: Der Mann traut sich was. Tat er nicht. Der Spruch dürfte weitgehend Common Sense in Deutschland sein. Opdenhövel aber sprach nur deshalb aus, was alle denken, weil er irrtümlicherweise dachte, er sei nicht auf Sendung.
Machen wir es kurz: ARD und ZDF haben den „Fifa-Flöten“ (geschätzte) 180 Millionen Euro für die Rechte an den WM-Spielen bezahlt, 2018 und 2022 sind auch schon eingekauft. Wer ernsthaft behauptet, das sei eine Grundlage für unabhängigen Journalismus, hat vermutlich nicht alle Panini-Bildchen im Album. Daimler bringt seine Autos ja auch nicht an den Mann, indem man den absurden Benzinverbrauch kritisiert. Wobei: Die Fifa könnte man leise auch im On hinterfragen, die WM selbst aber schon nicht mehr. Es geht darum, die Show zu verkaufen und damit sich. Nicht möglichst gut, sondern an möglichst viele.
Was hat man den Fußballunterhalter Waldemar Hartmann dafür geprügelt, dass er stets auf das Primat der Unterhaltungsfunktion des Fernsehfußballs bestanden hat. Vielleicht war er ja einfach nur ehrlich. Und nun ist er weg: Und das Niveau ist nicht besser geworden. „Die Paradoxie der Sportberichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen“ nennt die tägliche Medienkolumne Altpapier das Geschäftsgebaren: „Man sichert sich mit viel Gebührengeld Rechte an Sportgroßereignissen mit der zumindest offiziellen Erklärung einer Art Grundversorgung – zieht diese dann aber durch wie irgendein Butterfahrtveranstalter.“
Das heißt: Gnadenlose Begeisterung für das eigene Produkt, das ist vor allem die deutsche Mannschaft. Entsprechende Beschallung, selbst von einem sonst eher zurückhaltenden Spielkommentator wie Gerd Gottlob. „Hofberichterstattung“ (Tagesspiegel) aus dem DFB-Quartier. Inhaltsfreie Aufsager der journalistischen Heizdecke Katrin Müller-Hohenstein. Werbefilmchen, in denen Bundestrainer Löw an einem Strand entlangjoggt, mit entsprechender Musik unterlegt, dass eigentlich nur noch der Nivea-Verweis fehlt. Dafür wird Löws Laufstil vom zugeschalteten Fußballexperten analysiert.
1990: Erstmals engagiert die ARD einen ehemaligen (Bayern-)Profi als Kokommentator. Karl-Heinz Rummenigge sitzt neben Heribert Faßbender und Gerd Rubenbauer. Seine Analysekraft wird definiert durch die Einschätzungen „lebensgefährlich“ und „nicht unrisikovoll“.
1998: Exnationalspieler Günter Netzer wird Studio-Analytiker und agiert neben Gerhard Delling, der den Ahnungslosen nicht spielen muss. Nach vielen Jahren gelten die beiden als „Kult“, wie auch „Derrick“, „Mosaik“ und das Testbild irgendwann Kult sind.
2006: Jürgen Klopp, damals Trainer von Mainz 05, bringt das Fernsehanalytikertum auf ein neues und nach ihm nie mehr erreichtes Niveau, so dass selbst Johannes B. Kerner fast auszuhalten ist.
Bizarres Stimmungsrundenformat
Damit auch wirklich nichts herauskommen kann, hat das ZDF dann noch den Ex-Bayernspieler Hasan Salihamidzic beauftragt, seine Exkollegen in einem bizarren Stimmungsrundenformat zum Lachen zu bringen (er lacht am meisten). Und in der ARD könnte Beckmann aus dem brasilianischen Ex-Bayernspieler Giovane Elber selbst dann nichts Inhaltliches herausbringen, wenn er das wollte. Und wenn gejauchzt wird, es sei „endlich ein guter Schiedsrichter“ am Werk, dann heißt das, dass der Deutsche gepfiffen hat.
Das ist das eine. Aber selbst wenn man akzeptierte, dass es die Notwendigkeit einer Grundversorgung an Jubelberichterstattung gibt, so ist auch das allenfalls die größte Nische, aber sicher kein „Programm für alle“, wie die Sender gern ihre Gebührenverwendung begründen. Es gibt daneben auch einen wachsenden Grundversorgungsbedarf an fachlicher Information, der nicht mit Hinweisen zu Ronaldos Freundin oder zu Löws Joggingtempo befriedigt wird.
Man kann es auch andersherum sehen: Gerade weil bei einer WM viele zusehen, die keine Experten sind, wäre auch eine Grundversorgung mit fachlicher Information hilfreich. Bei der riesigen Menge an Sendezeit wäre das auch problemlos komplementär zu leisten.
Aber da mangelt es schlicht an Fußballkompetenz. Selbstverständlich gehörte das Hadern über den Kommentator stets zum Fußball. In letzter Zeit hat sich indes einiges getan: Viele Bundesligakommentatoren von Sky sind inzwischen auf hohem fachlichen Niveau. Das liegt daran, dass sie den Job regelmäßig machen. Auch wenn man weiß, dass bei ARD und ZDF selbstverständlich nicht die Besten kommentieren, sondern die Bestvernetzten: Bei den Kommentatoren Steffen Simon (ARD) und Wolf-Dieter Poschmann (ZDF) merkt man am deutlichsten, dass sie die Arbeit nicht hauptberuflich ausüben. Die Versuche, fehlende Analyse durch gespielte Erregungszustände zu kompensieren, machen die Sache nur noch schlimmer.
Kahn und Scholl – die wahren Experten?
An dieser Stelle pflegen die Sender, auf ihre zugekaufte Fachkompetenz hinzuweisen, also die wahren Experten. Das sind Oliver Kahn (ZDF) und Mehmet Scholl (ARD), die beiden Exnationalspieler, die zu aktiven Zeiten beim FC Bayern – und auch schon davor – nebeneinander in der Kabine saßen.
Scholl löste bei der Euro 2012 eine der großen Empörungen der Gegenwart aus – gleich nach Brüderle und dem grünen Veggie-Day –, als er die mangelnde Laufleistung des damaligen Bayern-Profis Mario Gomez mit dem Bonmot kritisierte, er habe Angst gehabt, dass Gomez „sich wund liegt“. Die Sache zeigte zum einen, wie eng die Grenzen für kontroverses Sprechen in dieser Gesellschaft geworden sind. Dass Leute sich über jeden Scheiß aufregen wollen. Dass die Intensität der Aufregung umso größer ist, je geringer die Relevanz der Sache.
Der Witz an der Sache ist, dass Scholl damals Angestellter des FC Bayern war. Bezeichnenderweise sah der FC Bayern die singuläre Kritik eines Bayern-Angestellten an einem Bayern-Angestellten als Problem. Die ARD sah das Abhängigkeitsverhältnis niemals als Problem. Heute ist Scholl zwar nicht mehr formal bei den Bayern angestellt, aber das ist Kahn ja auch nicht. Dennoch sind beide dem FC Bayern sehr nah.
Mit dem heute noch diskutierten Gomez-Spruch wurde das wahre Problem konterkariert, dass nämlich beide öffentlich-rechtlichen Experten dem führenden deutschen Fußballunternehmen verpflichtet sind und letztlich als verdiente Nationalspieler auch dem DFB. Dass beide auch noch von einer Dachterrasse in Rio aus Spiele analysieren, nicht aus den Stadien der Spiele selbst, ist so bizarr, dass es kaum einem mehr auffällt.
Keine kritische Intervention
Man kann jetzt sagen: Es ist in der Logik des Mediums stimmig, das eigene Erlebnis und den eigenen Blick durch Fernsehen zu ersetzen. Außerdem ist es auch im Journalismus längst üblich. Stimmt: Es ist ein zentrales Problem des Fußballjournalismus, sich selbst zu entmündigen, indem man – aus Kostengründen oder Bequemlichkeit – seine Einschätzung der Wirklichkeit von einer Bildauswahl abhängig macht, die der Veranstalter und dessen Vertragspartner komponieren. Das ändert nichts daran, das man bei fachlichem Interesse von den zwei zentralen Analytikern der Nation erwarten können muss, dass sie das Spiel sehen und nicht bloß Fernsehbilder. Wer die Welt verstehen will, muss selbst schauen – von der Tribüne aus.
Sicher kann man zwischen Scholl und Kahn erhebliche Unterschiede ausmachen. Der eine ist lustig, selbstironisch und kann fachlich analysieren, der andere ist unlustig, selbstgefällig und kann sich selbst zitieren. Scholl hat die Gabe, Oberfläche und Tiefe zu versöhnen, er weiß, dass die Welt kompliziert geworden ist und nichts so sein muss, wie es zunächst scheint. Damit stimuliert er seine Anhänger. Leute, die Scholl mögen, hören auch Sportfreunde Stiller oder Wilco und lesen Zeit oder taz.
Kahn hat die Gabe, Tiefe und die Modernisierung des Spiels zu ignorieren und dadurch seinen Anhängern die Sorge zu nehmen, dass selbst der Fußball zu komplex für sie geworden sein könnte. Wer die größeren Eier hat und mehr Gras frisst, gewinnt. So war das immer. Kahn ist nicht zufällig geschäftlich mit Bild verbunden. Das passt. Dennoch ist Kahn womöglich weniger konformistisch als Scholl.
Kontroverse Themen ausgeblendet
Doch wenn man mit größerem Abstand schaut, dann schrumpft die Differenz zwischen beiden darauf zusammen, dass Kahn eher hohoho ist und Scholl eher hihihi. Man wird von Kahn bei einem Ausscheiden mehr Plattitüden des alten Fußballdenken bekommen, aber auch von Scholl keine wirklich kritische Interventionen: nicht zum aktuellen Streit über die mangelnde politische Einmischung des DFB, nicht über den Korruptionsverdacht gegen den langjährigen Bayern-Präsidenten Franz Beckenbauer, schon gar nicht über den Steuerbetrug des langjährigen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß. Ja, nicht mal Grundsätzliches zur Leistung von Bayern-Spielern, wenn es mal nichts zu loben geben sollte.
Aber das wollen die Öffentlich-Rechtlichen auch nicht, sonst hätten sie ja die beiden nicht engagiert. Im Grunde verhält es sich mit Oliver Kahn und Mehmet Scholl so, als würde die Expertenanalyse von Regierung und CDU bei „heute“ von Helmut Kohl erledigt – und in der „Tagesschau“ von Heiner Geißler. Auch er, bei aller Differenz, schützt am Ende immer seine Partei.
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