Fußballer Philipp Wollscheid: Vom Kaff zum Club

Nürnbergs Philipp Wollscheid ist kein typisches Fußballtalent. Er kommt von einem Dorfverein, wo es noch Vorstopper und Libero gibt.

Euphoriesprünge nach seinem Tor gegen Stuttgart: Philipp Wollscheid. Bild: dapd

NÜRNBERG taz | "Meine Laufbahn ist eher nicht typisch." Philipp Wollscheid lässt den Satz fast beiläufig fallen. Und dabei schmunzelt der 22-Jährige noch verlegen.

Doch es muss ihm gar nicht peinlich sein, die verschlungenen Pfade noch einmal nachzuerzählen, die eben auch auf die glitzernde Bühne Bundesliga führen können. Da spielt Wollscheid mit dem 1. FC Nürnberg heute beim schier übermächtigen FC Bayern vor.

13 oder 14 deutsche Spieler werden beim bayerischen Derby bei Anpfiff auf dem Platz stehen, aber keiner ist solch ein Spätstarter wie Nürnbergs Nummer 38. SV Morscholz, FC Wadrill, VfL Primstal, SV Morscholz und SG Noswendel-Wadern hießen seine Verein bis zum 18. Lebensjahr.

Von seinen "Jugendmannschaften im Saarland, kleine Dörfer, unteres Level", spricht Wollscheid anerkennend. "Da haben wir noch mit Vorstopper und Libero gespielt: zweimal Training die Woche, mehr nicht. Meine Jugendzeit war ein bisschen anders, aber ich bereue das nicht, ich hatte eine glückliche Jugend. Ich konnte lange zu Hause wohnen, mir hat das bei der Persönlichkeitsbildung gut getan. Ich weiß nicht, ob ich dieselbe Karriere gemacht hätte, wenn ich mit 15 schon ausgezogen wäre."

Eigentlich soll so eine Karriere im deutschen Fußball, gerühmt für Talentförderprogramme, Internate und Elitebildung, gar nicht mehr möglich sein. Aber der bis vor einem Jahr nie für eine DFB-Juniorenauswahl zum Einsatz gekommene Abwehrspieler hat noch mehr Kuriositäten zu bieten.

Als er dann nämlich endlich beim damaligen Oberligisten 1. FC Saarbrücken angekommen und aufgestiegen war, haben sie ihn dort 2009 nicht mehr gewollt. Sein Freund und Berater Guido Nickolay vermittelte ihm schließlich das Engagement in Nürnberg - in der zweiten Mannschaft.

Es war die Zeit, in der ein Spieler, den viele aktuell als einen der fortschrittlichten Verteidiger der Liga betrachten, erst die Grundregeln der Viererkette paukte. "In den ersten Vorbereitungsspielen der Profis habe ich nie richtig gewusst, wie ich mich verhalten soll", gibt Wollscheid zu.

Amateurtrainer René Müller gab dem unbedarften Emporkömmling mit Abitur, dessen Auffassungsgabe allerorten belobigt wird, so manche zusätzliche Theoriestunde. "Wir haben oft vor der Taktiktafel gesessen. Es ging da wirklich um ganz banale Dinge. Ich denke, dass ich schnell verstanden habe, was auf dieser Position gefordert wird", sagt der grundsolide Charakter heute mit stoischer Gelassenheit.

Seit November 2010 dabei

Wer sieht, wie Wollscheid heute die fränkische Defensive befehligt, kann kaum glauben, dass er erst im November des vergangenen Jahres in der höchsten Spielklasse debütierte: Es herrschte Chaos in der Club-Abwehr, bis in der Pause des Spiels gegen den 1. FC Kaiserslautern Wollscheid eingewechselt wurde. Beim Stande von 0:3.

Danach hat Trainer Dieter Hecking nie mehr auf ihn verzichtet. "Der Mertesacker aus Morscholz" haben ihn die Nürnberger Nachrichten getauft, was neben seiner ersten Station damit zu tun hat, dass auch Wollscheid ein kluges Stellungsspiel pflegt, das den Verzicht auf grobe Fouls und hektische Grätschen möglich macht.

Und einen gepflegten ersten Pass spielt er mit demselben Selbstbewusstsein, wie er Kollegen mit ausgestreckten Armen signalisiert, sich doch bitte schön entlang der Linie zu bewegen. Und wenn immer die Gelegenheit günstig ist, taucht der 1,94 Meter große Mann auch vorne auf; bereits fünf Bundesliga-Tore hat er erzielt, vorzugsweise auf die wuchtige Art per Kopf. In dieser Spielzeit ist ihm das gegen Bremen und Stuttgart gelungen.

Nürnbergs Sportvorstand Martin Bader hat dem jungen Mann in diesem Frühjahr flugs einen bis 2014 datierten Kontrakt mit einem ordentlichen Salär gegeben: Es soll in der Liga viele Scouts geben, die Wollscheid schon im Sommer empfohlen haben. Es heißt auch, Bayer Leverkusen besitze längst eine Art Vorkaufsrecht auf ihn. "Es gibt überhaupt keine Absprache mit anderen Vereinen", widerspricht Wollscheid.

"Ich fühle mich sehr wohl in Nürnberg und spiele in einem Verein, der auf junge Spieler setzt. Da will ich ein Teil davon sein." Ganz artig präsentiert er sich. Wollscheid ist ein junger Mann mit Manieren. Hat er wohl von den stolzen Eltern. Vater Stefan und Mutter Sonja haben schon in Regionalliga-Zeiten kaum ein Spiel ausgelassen, von Wollscheids bisherigen 29 Erstliga-Partien haben sie keine versäumt. Beim bayerischen Derby sind sie sowieso dabei.

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