Fußball im Kölner OB-Wahlkampf: Mehr Fläche für den Geißbock
Der 1. FC Köln möchte sein Gelände vergrößern und beansprucht Grünflächen. Der Zugriff des Profisports auf die grüne Lunge der Stadt ist umstritten.
Zwei Wahlen, die beim ersten Blick nur marginal etwas miteinander zu tun haben – und dennoch sind sie eng miteinander verzahnt. Wechselwirkungen zwischen Fußball und Politik, zwischen Breitensport und Bundesliga, zwischen Kapitalinteressen und Umweltschutz: In Köln geht es um Grünflächen im öffentlichen Raum, die ein leistungsorientiert denkendes Fußballunternehmen für sich nutzen möchte. Doch der Widerstand dagegen ist groß, die Diskussionen seit Jahren emotional. Die neue Stadtführung wird entscheiden, wie es damit weitergeht.
Wer ins Rathaus einzieht, zeigt sich an diesem Sonntag nach der Stichwahl zwischen Berîvan Aymaz (Grüne) und Thorsten Burmester (SPD). Die derzeit noch amtierende Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) hatte angekündigt, nach zehn Jahren als OB nicht erneut kandidieren zu wollen.
Ihre mögliche Nachfolgerin Aymaz ist in der Türkei geboren und derzeit Vizepräsidentin des Landtags in NRW. Zuvor war die 53-Jährige Sprecherin für Integrationspolitik und Internationales der Grünen-Fraktion. Sie könnte die erste grüne Oberbürgermeisterin einer deutschen Millionenmetropole werden. Burmester war von 2022 bis 2024 Vorstandsvorsitzender beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Frühere Stationen waren in der Verwaltung auf Bundes- und Länderebene und im Team von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Beim ersten Wahlgang entfielen 28 Prozent der Stimmen auf Aymaz, Burmester holte 21 Prozent. Im Kölner Stadtrat stellen die Grünen mit 22 Sitzen die größte Fraktion, SPD und CDU haben jeweils 18. Welches Ratsbündnis zustande kommen wird, ist unklar, die Mehrheitsbildung dürfte kompliziert werden. Das ist die Ausgangslage vor dem Kommunalwahlsonntag in Deutschlands viertgrößter Stadt.
Mitgliederversammlung beim 1. FC Köln
Einen Tag zuvor wurde es in Müngersdorf spannend, ohne dass da ein Heimspiel des 1. FC Köln stattfindet. Der FC, sportlich zuletzt in die Bundesliga aufgestiegen, lädt zur Mitgliederversammlung ein. Der Traditionsverein hat derzeit über 150.000 Mitglieder, ist einer der größten Fußballvereine in Deutschland. Neben dem Karneval ist der FC für viele das wichtigste Aushängeschild der Stadt.
Im Vergleich zum Großteil der anderen Bundesligisten fußt er auf einer demokratischen Satzung, weshalb Mitglieder ihr Recht auf Teilhabe wahrnehmen können. Die lange Tagesordnung mit Berichten, Aussprachen und der Wahl dürfte dafür sorgen, dass die Veranstaltung sich den ganzen Tag hinzieht. Erstmals kandidieren drei Teams für den Vorstand des Vereins.
Eines der Kernthemen im Kommunal- und Vorstandswahlkampf ist der Ausbau des „Geißbockheims“, dem bereits 1953 erbauten Vereinssitz des 1. FC Köln. Die Anlage ist im Besitz der Stadt und vom FC nur gepachtet, sie umfasst neben Klubhaus und Geschäftsstelle mehrere Trainingsplätze und ein kleines Stadion. Ist vom Geißbockheim die Rede, ist die gesamte Anlage gemeint. Sie liegt im Äußeren Grüngürtel, einer halbkreisförmigen Grünzone in der Stadt, deren Entstehung maßgeblich der damalige OB Konrad Adenauer vorangetrieben hatte.
Teil des Grüngürtels ist das Landschaftsschutzgebiet Gleueler Wiesen auf dem der 1. FC Köln bauen will. Der Verein, die Ratsfraktionen und Bürgerinitiativen streiten seit mehr als zehn Jahren, ob dieses Projekt überhaupt umgesetzt werden soll.
Im Dezember 2015 hatte der Stadtentwicklungsausschuss mit einer Mehrheit aus Stimmen von SPD, CDU, FDP und den Grünen den Beschluss gebilligt, für das Geißbockheim einen Bebauungsplan zu erstellen. Der FC möchte auf dieser Grünfläche drei Fußballplätze bauen, zudem Kleinspielfelder für alle Kölnerinnen und Kölner – das war wesentlicher Bestandteil der Gespräche zwischen Stadt und dem Verein, denn die Öffentlichkeit sollte auch davon profitieren. 2020 beschloss der Stadtrat, dass der FC seine Pläne umsetzen kann. SPD, FDP und CDU stimmten dafür, die Grünen waren dagegen. Seitdem ist jedoch nicht viel passiert, auch Gespräche über Ersatzflächen haben nicht gefruchtet.
Jahrzehntelanger Kampf
Die Bürgerinitiative Grüngürtel für alle und der Naturschutzbund Deutschland hatten gegen den Ausbauplan mobil gemacht und geklagt, der Rechtsstreit ist bis heute nicht beendet. Die Umweltschützer wollen den „geliebten Grüngürtel in seiner jetzigen Form als Park für alle Bürger bewahren“ und sprechen sich für einen „landschafts- und klimaneutralen zweiten Standort“ aus.
Die schwankenden Mehrheitsverhältnisse im Rat verhinderten einen Baubeginn auf den Gleueler Wiesen bisher. 2024 war noch ein Kompromiss erarbeitet worden, mit dem ein zweistöckiges Leistungszentrum, aber nicht die drei Plätze auf den Gleueler Wiesen hätten gebaut werden können. Dieser fand ein jähes Ende, weil der FC ein paar Wochen vor der Kommunalwahl angekündigt hatte, sich aus den Verhandlungsprozessen mit Stadtrat und Stadtverwaltung zurückzuziehen.
„Seit über einem Jahrzehnt kämpfen wir für eine zukunftsorientierte Lösung am Geißbockheim. Die Auswirkungen dieser Entscheidung betreffen längst nicht mehr nur den 1. FC Köln. Es ist eine Entscheidung für oder gegen die Zukunft des Sports in unserer Stadt“, erklärte die Geschäftsführung des Vereins. Alle Alternativen seien gescheitert, nun sei „Zeit, zu handeln“.
Darauf folgte Ende August eine Demonstration am zentral gelegenen Kölner Heumarkt. Etwa 3.000 Fans waren vor Ort, um vor der Kommunalwahl Druck auf die Parteien auszuüben. In einem Mitgliederbrief hatte der FC aufgefordert, bei der Entscheidung zur Wahl von OB und Stadtrat zu berücksichtigen, welche Parteien den Verein unterstützen – und welche nicht.
Wahlkampfthema Geißbockheim
Die Kölner SPD rund um OB-Kandidat Thorsten Burmester hatte im Wahlkampf betont, zum Beschluss und zu seiner Vollendung zu stehen und das Vorhaben des FC weiterhin zu befürworten. Der Verein sei „mit seinen Plänen bereits Kompromisse eingegangen“, diese bildeten einen „guten Ausgleich zwischen umweltpolitischen und sportpolitischen Erwägungen“.
Das Wahlprogramm der Grünen enthielt keinen Satz zum Geißbockheim, Spitzenkandidatin Aymaz erklärte aber, „der Schutz des Grüngürtels mit all seinen vielen wichtigen Funktionen“ sei „nicht diskutabel“.
Noch am vergangenen Montag hatten Aymaz und Burmester in einer Podiumsdiskussion ihre unterschiedlichen Standpunkte zum Geißbockheim und der Gleueler Wiese dargelegt. Burmester, so der Kölner Stadt-Anzeiger, habe Verständnis für den 1. FC Köln und seine Ausbaupläne gezeigt. Die Replik von Aymaz: „Gerade in einer Zeit, in der wir den Klimawandel auch in unserer Stadt so stark spüren, müssen wir klarmachen, dass diese grüne Lunge absolut geschützt bleiben muss.“
Parteipolitisch, zwischen Grünen und SPD, sind die Fronten ohnehin seit Langem klar. Da es zwischen den Fraktionen zwei fundamental andere Ansichten zum Thema Geißbockheim gibt, ist vorstellbar, dass dieses Thema auch weiterhin keinen kurzfristigen politischen Rückhalt bekommen wird. Schnelle Lösungen für einen Prozess, der schon zehn Jahre andauert, mit den Grünen als stärkste Fraktion im Stadtrat und einer möglichen neuen grünen OB – das erscheint ambitioniert, unabhängig vom neugewählten Vorstand des Vereins.
Und ob die neue Stadtführung dann wirklich das Geißbockheim als Priorität ansieht, darf bei der Vielzahl der Probleme in Köln angezweifelt werden. Schulen, Straßen und Pflegeeinrichtungen, Wohnungsangebot, die KVB, öffentliche Sicherheit – das dürften in den nächsten Jahren die Schwerpunkte sein, weil sich große Teile der Kölner Bevölkerung wegen dieser Zustände desillusioniert zeigen.
Fakt ist: Die Baumaßnahmen auf den Gleueler Wiesen würden etwa 0,5 Prozent des Äußeren Grüngürtels betreffen, sagen FC und SPD. Hinter diesem niedrigen Prozentsatz schwelen allerdings Konflikte mit großem Spaltungspotenzial – unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat. Die Privatisierung von öffentlichen Flächen in dicht bevölkerten Großstädten dürfe nicht endlos vorangetrieben werden, sagen nicht nur Umweltschützer.
Ein finanziell gut aufgestelltes Wirtschaftsunternehmen aus dem Profifußball bekäme schneller mehr Platz zur Verfügung gestellt als zahlreiche Breitensportvereine, die es sich nicht leisten können. Auch das wird in der Auseinandersetzung diskutiert. Wie also soll man einem Kind erklären, dass sich seine Mannschaft weiter einen Ascheplatz mit anderen Vereinen teilen muss, während der Nachwuchs des FC einen Teil Landschaftsschutzgebiet nutzen kann?
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