Fußball, Propaganda und Revolution: Pässe in die Tiefe der Weltpolitik
Mit „Machtspieler“ ist Ronny Blaschke ein großer Wurf gelungen. Sein Buch zeigt, wie wichtig Fußball ist – in jeder politischen Konstellation.
Um zu würdigen, welche große und wertvolle Arbeit sich der Sportjournalist Ronny Blaschke mit seinem neuen Buch über „Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution“, so der Untertitel von „Machtspieler“, gemacht hat, darf man vielleicht etwas leicht Leseunfreundliches machen, nämlich auflisten, welche Länder und Regionen Blaschke bereist, betrachtet, analysiert hat: Serbien und Kroatien, Russland, die Ukraine, Spanien, die Türkei, Israel und die palästinensischen Gebiete, Ägypten, Syrien, Iran, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien, die Volksrepublik China, Ruanda und Argentinien.
Das wirkt nicht nur so, das ist ein riesiges Bearbeitungsfeld. Fast so groß wie die Teilnehmerliste an einer der jüngeren Fußball-WMs. Blaschke zeigt auf, wie und wo und durch wen der Fußball in diesen Ländern hochpolitisiert ist. Er hat mit Ultras gesprochen, mit Sportlern und Ex-Sportlern, mit Funktionären und verantwortlichen Politikern, mit Wissenschaftlern und Journalisten (Disclaimer: auch mit mir).
Wer die gründlich recherchierten Berichte, die sich, so der von Blaschke eingehaltene Anspruch, jedem Anflug von anekdotenreicher Reisereportage entziehen, gründlich liest, lernt, dass der Fußball entgegen seiner medialen Präsentation immer ein historisch entstandenes gesellschaftliches und politisches Phänomen ist. Immer und überall.
Ultras im arabischen Frühling
Die Rolle ägyptischer Fußballfans beim arabischen Frühling und Sturz des Mubarak-Regimes schildert er kenntnisreich. Auf dem Tahrirplatz in Kairo, dem Zentrum der Revolte, waren Ultras verfeindeter Vereine unterwegs.
Bei seiner Ukraine-Recherche zeichnet Blaschke nach, wie Ultras von Dynamo Kiew sich 2014 den Maidan-Protesten anschlossen. Teils warfen sie Molotowcocktails oder Pflastersteine, teils beschützten oder versorgten sie Verletzte. Man erfährt, dass es von etwa 10.000 Dynamo-Ultras nur 1.000 waren, die sich auf dem Maidan einmischten. Mal gelten sie als proeuropäisch, mal als rechtsextrem, mal als patriotisch.
Kenntnisreich referiert Blaschke die vielfältigen antisemitisch motivierten Attacken gegen israelische Sportler – sie reichen von Ausschlussforderungen bis hin zum Mord, wie in München 1972. Zugleich schildert er die Probleme, die palästinensische Fußballer haben, wenn sie ihren Spielbetrieb aufrechterhalten wollen.
Auch seine anderen Länderstudien sind material- und lehrreich. Ein roter Faden, um eine leicht kritische Bemerkung anzudeuten, ist jedoch oft nicht zu erkennen. Man könnte auch ein Sprichwort variieren, dass nach Beschauen der vielen Bäume letztlich nur die Erkenntnis eines heterogenen Mischwaldes bleibt.
Der Fußball als politisches und gesellschaftliches Phänomen bleibt eigentümlich neutral: Mal gilt er Blaschke als „Vergrößerungsglas“, mal als „Spiegelbild“, und fast immer erscheint er ihm als Medium, dem sich mal diese und mal jene Gruppe instrumentalisierend nähert. Dass das gesellschaftliche System Fußball selbst ein politischer Faktor sein könnte, dieser Spur wird selten nachgegangen. Eine tiefere analytische Einbettung wäre – gerade zur Einordnung des sensationellen empirischen Materials – hilfreich gewesen.
Aber „Machtspieler“ ist immer noch ein großer, nein, ein sehr großer Wurf. Weitere Arbeiten zum politischen Gehalt des Fußballs sollten sich auf Ronny Blaschkes „Machtspieler“ stützen.
Leser*innenkommentare
APO Pluto
Ja der rote Faden scheint wirklich zu fehlen. War aber vielleicht auch nicht beabsichtigt. Das einige Fans oder Spieler zu dieser oder jener Seite neigen, spiegelt nur die Gesellschaft wieder. Welche Lehren sollte der Leser daraus ziehen? Als kurzweilige Lektüre über andere Kulturen sicher interessant.
Wichtiger scheint mir da schon, das die großen kapitalistischen Staaten nicht dabei sind. Das ist wesentlich erhellender.
Über "panem et circenses" als Herrschaftsinstrument will aber bei uns leider keine gesellschaftliche Debatte in Gang kommen. Trotz aller realen Ungerechtigkeiten in Sachen Umverteilung von unten nach oben.