Fussball-Derby in der Hauptstadt: Fangesänge auf Berlinerisch
Am Freitag spielen mit FC Union und Hertha BSC erstmals beide Berliner Vereine in der 2. Liga gegeneinander. Auch musikalisch prallen da zwei Welten aufeinander.
1. FC Union Berlin
Die Anhänger des Ostberliner Klubs erinnern sich und alle anderen gern an die prägende Besonderheit der Vereinsgeschichte, den ewigen Kampf mit den Mächten. "Den Sieg vor Augen, den Blick weit nach vorn / Ziehn wir gemeinsam durch die Nation / Osten und Westen - Unser Berlin / Gemeinsam für Eisern Union". Der Blick musste oft weit nach vorn gehen, weil man oft ziemlich weit hinten stand. Manchmal sah man gar keine Sonne mehr, aber aufgeben ist nicht, so das Credo der Unioner.
Natürlich sind die Ost-West-Gedenktöne für viele Fans mittlerweile eher Teil der Folklore, zumal die Ost-Ost-Rivalität viel stärker ist. Der Erzfeind heißt BFC Dynamo. Aber Folklore gehört nun mal zur Tradition und dass Union vom Berliner Senat viel weniger wohlwollend als Hertha BSC behandelt wurde, ist keine Mär.
Abgesehen davon, dass niemand alles ernst nimmt, was crazy Nina äußert, passt wohl keine Sängerin so gut zu dem Verein aus dem nach 1990 schwer getroffenen Arbeiterbezirk Schöneweide wie sie. Punkig, schlagernd, extrovertiert, ein bisschen irre sind sie beide. Dass Nina Hagen ihre Liebe zu Union nicht durch Anwesenheit auf der Zuschauertribüne zeigt, nimmt ihr niemand übel. Es reicht das Bekenntnis, das Union-Gen von ihrem Vater übernommen zu haben, der ein großer Fan der Eisernen war.
Das schon in der DDR entstandene Image vom Underdog, Tradition und extreme Fanverbundenheit sind für Union zentrale Pfeiler bei der Abgrenzung zum Rundum-Kommerzwesen und zum Rivalen Hertha. So klingts auch aus den Boxen bei den Spielen. Die Stadion-Playlists sorgen des Öfteren bei Besuchern von auswärts für Verwirrung. Sham 69, Rammstein, Beastie Boys, Rainald Grebe, alles ist möglich. Und erst recht natürlich Achim Mentzel, der berühmt-berüchtigte MDR-Stimmungskanonier.
Auch er ist so ein Original: hatte als Rock-n-Roller die DDR-Jugend verrückt gemacht, ehe er in die volkstümliche Schlagerwelt abdriftete. Dafür hat seine Union-Hymne "Stimmung in der Alten Försterei" von 1985 erstaunlichen Rockappeal (beginnt wie "Waiting for the Rapture" von Oasis). Die Langzeitaktualität des Textes kommt selbstverständlich nur durch den Verzicht auf Originalität zustande: "Auf einer grünen Wiese zwei Tore aufgestellt / und zwischen diesen Toren der schönsten Platz der Welt / Angriff - Unioner stürmen vor den Ball hinein ins gegnerische Tor / Hey, hey, hey, Union". Geschrieben wurde der Song von Harry Jeske, seinerzeit Bassist der Puhdys.
Mentzels Union-Lied schaffte es nicht nur in der DDR auf eine Platte, sondern auch jenseits der Mauer. Der Westberliner Fanartikelhändler "Pepe" Mager hatte 1988 beim Ostberliner Amiga-Label für 800 D-Mark die Lizenz erworben, "Stimmung in der Alten Försterei" mit seinem Hertha-Loblied auf einer Vinylsingle ("Freunde hinter Stacheldraht") zu veröffentlichen.
Den seltsamsten Support erhält Union jedoch seit zehn Jahren vom DFB. Im Jahr 2000 schuf der Heimorgelspieler Franz Lambert, bereits Komponist der Fifa-Hymne, auch eine DFB-Hymne. Seither wird sie vor Pokalspielen und Länderspielen in den Stadien aufgeführt und animiert die Unioner gern zum Mitsingen, weil sie eine erstaunliche Ähnlichkeit zum älteren Hagen-Song "Eisern Union" aufweist. Damit, sagen die Unioner, ist es die meistgespielte Vereinshymne in fremden Stadien. Trotzdem flog der Verein jüngst mal wieder in der ersten Pokalrunde raus.
Hertha BSC Berlin
All die Fans brüllen sich den Hals aus / Und der Stürmer, der stürmt vor / Alle jubeln, wenn der Ball rollt / Voll hinein ins Gegnertor". So weit, so unklar, welchem Verein hier gehuldigt wird. Gäbe es da nicht die Melodie und den Refrain "Nur nach Hause gehn wir nicht". Kein Zweifel mehr, hier kommt Frank Zander mit seiner Hertha-Hymne. Eigentlich hatte er sie 1993 geschrieben, um sich vor den sensationell ins DFB-Pokalfinale eingezogenen Hertha-Amateuren zu verbeugen. Doch dann setzte sich das Lied bei den Fans fest, kein Wunder, da es ein Cover des Rod-Stewart-Schunkler "Sailing" ist.
Wenn sich im Fußball ein Musikstück verselbständigt, ist das meistens ein gutes Zeichen. Nur Vereinslieder, die sich selbst den Weg ins Stadion bahnen, sind wahre Vereinslieder. Deshalb und nur deshalb kann man auch nichts gegen den Ballermann-Stampfer "Das geht ab!" von Die Atzen sagen. Der Partyrapp wurde von den Hertha-Fans in die Stadionkurve getragen, als der Klub aus Versehen auf Meisterkurs war. Und als er abstürzte, machten sie aus dem Refrain "Wir holen die Meisterschaft" einfach "Wir steigen niemals ab!"
Alles falsch, aber nicht halb so schlimm wie die sonstigen Versuche, die alte Dame Hertha mit neumodischem Schnickschnack aufzuhübschen, um sich als Vorzeigeklub der Hauptstadt zu präsentieren. Eventgläubigkeit und Anbiederung an die Edelfans in den VIP-Logen führten 2008 dazu, dass die Profispieler Verdis Gefangenenchor aus "Nabucco" in einen Herthajubelchor umwandelten (nachzuhören auf der CD "Blau und weiß"). Die meisten jener Sänger sind längst über alle Berge und schwören neuen Klubs die Treue.
Dass früher im besungenen Fußball auch bei Hertha nicht alles, aber manches besser war, beweist der charmante Schlager "Blau-weiße Hertha" von den drei Travellers aus dem Jahr 1961. In herrlicher Altbackenheit klingt es molleschäumend laubenpieperhaft: "Blau-weiße Hertha, du bist unser Sportverein / Blau-weiße Hertha, du wirst es für immer sein / Wo du spielst, da rollt das Leder ungestüm ins Tor / Wo du schießt, da ruft ein jeder: Hertha vor, noch ein Tor / Blau-weiße Hertha, dir gehört der Sieg." Rührend gestrig, aber eben nicht peinlich.
Und welch ein Unterschied zur verquasten Schlagerlyrik, mit der der Hesse (!) Matthias Reim 1997 "Hertha, Hertha, unsere Hertha" umgarnte. "Deine Waffe ist die Stärke / Wenns drauf ankommt, du zu sein / Dunkle Schatten, alte Sehnsucht / Geh den Weg ins Licht hinein!" Vielleicht ist ja das Flutlicht gemeint oder doch gleich das Glück der Nation? Immerhin finden sich Anklänge der Nationalhymne im Intro. Reims Hertha-Lied ist ein später Gruß aus dem ZDF-Hitparaden-Berlin und dürfte selbst von hartgesottenen Alt-Herthanern kaum zum "Kultlied" geadelt werden.
Heute steht Hertha nicht nur sportlich als Verein da, der sein Potenzial nie ausschöpfen konnte. Auch musikalisch hat er die mit Berlin verbundenen Chancen vertan. 2006 hatte der Hertha-Fan Christian Ulmen versucht, die alte Dame und Seeed zu verkuppeln. Weil die Band wie die Mannschaft sei: "Berlin, multikulturell, gut". Der damalige Klubmanager Dieter Hoeneß fand es eine gute Idee, im Prinzip. Seeed-Sänger und seit seiner Jugend Hertha-Fan Pierre Baigorry bekundete Interesse an einer Kooperation von Jung und Alt, sprich mit Frank Zander.
Es endete auf Berliner Art: Nichts passierte. So schrieb Baigorry alias Peter Fox eben keine Blau-weiß-Hymne, sondern die Hass-Liebes-Hymne auf Berlin "Schwarz zu blau". Dafür kassierte er 2009 bei der "Echo"-Verleihung in Berlin den Preis in der Kategorie "HipHop urban" - aus den Händen von Hertha-Kapitän Arne Friedrich .
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