Fußball-Derby in Berlin: Die Anderen und die Modernen
Union Berlin ist Hertha BSC näher gekommen. Und doch sind die Klubs vor ihrem ersten Bundesligaduell weiter voneinander entfernt als je zuvor.
2.400 Hertha-Fans werden sich auf den Weg machen. Mehr Plätze für Auswärtsfans gibt es im 22.000 Zuschauer fassenden Stadion an der Alten Försterei nicht. Und so wurden die Tickets unter den Mitgliedern und Dauerkartenbesitzern verlost. Das kennen die Hertha-Fans sonst nicht. Im Olympiastadion gibt es für gewöhnlich viel mehr Plätze als Interessenten dafür.
Union-Fans dagegen kennen das Spiel mit dem Lostopf. Nachdem 11.500 Dauerkarten vergeben wurden und weil 2.000 Plätze für Sponsoren und andere Gäste mit Sonderstatus reserviert sind, werden für jedes Heimspiel etwa 6.000 Karten verlost. An der Verlosung können nur Mitglieder teilnehmen. Deren gibt es mittlerweile über 32.000. Dass so viele Menschen bereit sind, 10 Euro im Monat zu zahlen, um das Recht zu haben, an einer Eintrittskartenverlosung teilzunehmen, zeigt vor allem eins: Union ist in.
Bei denen vor allem, die fremdeln mit dem, was gemeinhin als moderner Fußball bezeichnet wird. In wohl keinem anderen Klub der ersten Liga ist die Fanszene so eng mit der Vereinsführung verzahnt wie bei Union. Wenn in der Liga Sicherheitsregeln diskutiert werden, sind aus Köpenick immer andere Töne zu vernehmen als anderswo. So setzt sich der Klub für die Legalisierung von Pyrotechnik ein.
Institutionalisierte Nähe zu den Fans
Auch in den Gremien zeigt sich die Fannähe. Präsident Dirk Zingler erzählt immer wieder gerne, wie er es aus der Kurve an die Spitze des Klubs geschafft hat. Dort ist er nicht der Einzige mit Kurvenerfahrung. Auch Dirk Thieme war erst nur Fan, dann Fanvertreter und sitzt jetzt im Präsidium. Dass er gleichzeitig Chef der Stadion AG ist, würden sie in Köpenick gerne als kitschige Familiengeschichte erzählen und sich vielleicht nicht daran stören, dass er von Aufträgen profitiert, die ihm das Vereinspräsidium gibt, dem er selbst angehört.
Das Anderssein ist Religion bei Union. Und auch wenn mit Aroundtown mittlerweile ausgerechnet ein Immobilienkonzern Trikotsponsor ist, der vom Boom der Steine in Berlin massiv profitiert, hat in den Augen der Fans das antikapitalistische Antlitz des Klubs nur einen kleinen Kratzer abbekommen.
Ganz nah gekommen ist man der inzwischen auch gut vermarkteten Andersartigkeit der Konkurrenz aus Charlottenburg. Beide stehen im Achtelfinale des DFB-Pokals, in der Liga hat Hertha gerade einmal vier Zähler mehr als Union eingefahren, und was die Mitgliedszahlen angeht, ist Union auch nicht mehr weit weg von den 36.900 Mitgliedern, die die Blau-Weißen auf ihrer Website ausweisen. Und doch bezeichnet der Geschäftsführer von Hertha, Oliver Ruhnert, vor dem Stadtduell Herthas Anspruch, die Nummer eins in Berlin zu sein, als legitim.
Hertha auf dem Weg zum Big City Club
Das Schielen nach ganz oben hat eine lange Tradition tief im Westen der Stadt. „Die Zukunft gehört Berlin“ ist das aktuelle Motto des Klubs. Berlin steht dabei für Hertha. Dass die Berliner so breitbrüstig auftreten, hat mit dem ganz großen Deal zu tun, der vor der Saison verkündet worden ist. Mit dem Einstieg der Tennor AG als „strategischer Partner“, wie es so schön heißt, hat sich Hertha hochoffiziell auf die Seite des modernen Fußballs geschlagen.
Nachdem die vom einst als windig verschrienen Lars Windhorst geführte Finanzholding 125 Millionen Euro für 37,5 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien gezahlt hat, hat Hertha jede Menge Bodenhaftung verloren.
Damit Hertha ein „Big City Club“ wird, wie Windhorst gesagt hat, will er demnächst weitere Anteile für 100 Millionen Euro übernehmen. Hertha soll regelmäßig in der Champions League spielen.
Wer so einen Gegner in der Stadt hat, der wird sich nicht schwertun, sein Underdog-Image weiter zu pflegen. In dieser Hinsicht ist Hertha für Union ein dankbarer Gegner.
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