Fusion Deutsche Wohnen und Vonovia: Resterampe für Berlin
Die Deutsche Wohnen wirbt bei ihren Aktionär*innen für das Übernahmeangebot. Der Jubel der SPD über den Ankauf von 20.000 Wohnungen stößt auf Kritik.
Über den Preis gibt es noch keine Klarheit; Kollatz hatte angedeutet, dass dieser über den 2,1 Milliarden Euro, die für den Rückkauf des Stromnetzes fällig werden, liegen wird. Die Stadtentwicklungsexpertin der Grünen, Katrin Schmidberger, forderte im Gespräch mit der taz hingegen eine „ordentliche Prüfung“ und ein „transparentes Verfahren, wie man zu welchen Häusern und Werten kommt“. Sie sagte: „Wir können uns nicht nur die Resterampe geben lassen, wo sie in den letzten 10, 20 Jahre die Instandsetzung haben liegen lassen.“ Stattdessen sollten sozialräumliche Kriterien, etwa der Verdrängungsdruck, entscheidend für die Frage sein, welche Bestände übernommen werden.
Überhaupt ist der Unmut bei Linken und Grünen über die SPD groß, die den anvisierten Ankauf im Alleingang verkündet und als riesigen Erfolg verbucht hatte. In einem Schreiben von Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz, das sich ausschließlich an die Gremien der Partei richtete, war der Kauf als „Herzstück der Vereinbarung“ – den mit der Fusion einhergehenden Versprechen von Mietenbegrenzung und Neubau – bezeichnet worden. Linken-Landeschefin Katina Schubert hatte im Neuen Deutschland kritisiert: „Wenn das Land Berlin ankauft, ist das nicht die Angelegenheit einer Partei.“
Zurück in die Hände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen insbesondere Sozialbausiedlungen der 1970er Jahre geholt werden, wie etwa am Kottbusser Tor. Vor allem aber sind es Wohngebiete außerhalb des Rings, wie die High-Deck-Siedlung in Neukölln, die Thermometersiedlung und der Ernst-Lemmer-Ring in Steglitz-Zehlendorf und das Falkenhagener Feld in Spandau – genau jene Bezirke, in denen die drei Großen der SPD, Franziska Giffey, Matthias Kollatz und Raed Saleh kandidieren und die der SPD gleichwohl als Wählerreservoir dienen. Saleh ließ es sich auch nicht nehmen, die frohe Botschaft für sein Viertel im Tagesspiegel zu bejubeln.
Wahlkampf der SPD
Den Verdacht eines – womöglich teuren – Wahlkampfmanövers auf Kosten der Wohnungsbaugesellschaften, die sich dafür weiter verschulden müssen, nähren auch noch andere Punkte. Die Koalitionspartner Linke und Grüne wurden von der SPD-Spitze erst kurz vor der Verkündungs-Pressekonferenz mit den Chefs der Konzerne am vergangenen Dienstag überhaupt informiert. Auf dieser nannte Kollatz einen Zwei-Monats-Zeitraum, in dem der Deal abgewickelt werden soll – also noch vor der Wahl und der voraussichtlichen Abstimmung über die Enteignung von privaten Wohnungsbaukonzernen, die die SPD gern scheitern sehen will.
Schmidberger kündigte an, sich noch diese Woche mit den Spitzen der Partei zu beraten und danach einen umfangreichen Fragenkatalog an die SPD zu schicken. „Wir unterschreiben keinen Blankocheck“, sagte sie. Bei jedem Grundstückkauf von mehr als drei Millionen Euro müsse das Parlament beteiligt werden, so Schmidberger, dies, oder ein entsprechendes Gremium der Koalition, brauche es auch hier. Ihre Devise: „Wir wollen, dass es verantwortungsvoller Ankauf wird.“
Für Vonovia soll der Verkauf der Wohnungen einen Teil der Gesamtkosten der Fusion von 18 Milliarden Euro decken. Zusätzlich plant der Konzern das Emittieren neuer Aktien und die Herausgabe von Anleihen. Das Angebot für die 150.000 Wohnungen der Deutsche Wohnen, bei dem pro Aktie 53 Euro geboten werden, bezeichnete Michael Zahn als fair. Es liege deutlich über dem Aktienkurs der vergangenen drei Monate, sagte er am Dienstag.
Durch den Zusammenschluss entstünde „Europas größter Wohnimmobilienkonzern“, der notwendige Investitionen besser schultern könne. „Wir müssen Antworten finden im Hinblick auf die fortlaufende Regulierung, die wir auch in Zukunft erwarten dürfen“, sagte Zahn. Mit der Einverleibung des Deutsche Wohnen-Bestandes käme Vonovia auf 550.000 Wohnungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste