: Fürstenwalde ohne Wald
Weil Brandenburg keine großen Industrieflächen mehr hat, sollen 430 Hektar Wald bei Fürstenwalde zum Gewerbegebiet werden. Das wäre mehr als bei Tesla in Grünheide. Nun macht eine Bürgerinitiative gegen die Pläne mobil
Von Uwe Rada
Der Strand von Berkenbrück ist einer der schönsten an der Brandenburger Spree. An einem Altarm kommen Flussgucker und Wasserratten im Sommer zu Hunderten an den von der Gemeinde betriebenen Strand, andere lassen vom Steg die Boote zu Wasser, genießen zum Sonnenuntergang ein Bier am „Strandidyll“ – und den wunderbaren Blick auf die gegenüberliegende Spreeinsel, hinter der sich einer der größten Wälder der Region bis nach Fürstenwalde erstreckt.
Doch der 430 Hektar große Wald südöstlich von Berlin soll einem Industriegebiet weichen, das noch größer werden soll als die „Gigafactory“ von Tesla in Grünheide. Das sehen Änderungen zum Flächennutzungsplan vor, die die Stadtverordnetenversammlung von Fürstenwalde und die Gemeindevertretung von Langewahl beschlossen haben, auf deren Gemarkungen sich der Wald befindet.
Am Mittwochabend haben deshalb 50 Menschen eine Bürgerinitiative gegründet. „Wenn wir da nichts machen, stehen wir in zehn Jahren ohne Trinkwasser da“, sagte Heike Christoph vom Nabu Scharmützelsee. Zusammen mit Claudia Laue, Grünen-Abgeordnete im Kreistag Oder-Spree, hat Christoph zur Gründung der BI in die grüne Geschäftsstelle in Fürstenwalde eingeladen.
Die Änderung des Flächennutzungsplans ist nötig, weil die östlich der B168 und von der Spree sowie der Autobahn A12 begrenzte Fläche bislang als „Wald“ gesichert ist. In der Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung Fürstenwalde, die der taz vorliegt, heißt es zur geplanten Entwidmung des – bislang namenlosen – Waldes: „Anlass ist die beabsichtigte Entwicklung eines großflächigen gewerblich-industriellen Vorsorgestandortes (GIV) in Fürstenwalde Ost.“
Hintergrund des geplanten Industriegebiets ist der industrielle Aufschwung in Brandenburg. „Inzwischen ist ein Großteil der Gewerbegebiete bereits voll ausgeschöpft, sodass die verfügbaren Flächen für die Gewerbe- und Industrieansiedlung derzeit rund 22 Hektar umfassen“, heißt es im Antrag an die SVV Fürstenwalde, der bereits im Februar verabschiedet wurde. „Insgesamt zeigt sich in Brandenburg ein Mangel an großen verfügbaren Gewerbeflächen.“
Sollte also bald wieder ein Investor wie Elon Musk beim Brandenburger Wirtschaftsminister an die Tür klopfen, hätte der das Problem, eine entsprechende Fläche zur Verfügung zu stellen. Das bestätigt auch die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes Brandenburg (WFBB). Über 50 Hektar werde es knapp, sagte WFBB-Sprecher Alexander Gallrein der Märkischen Oderzeitung. Der Standort in Fürstenwalde Ost und Langewahl sei deshalb ein „Kronjuwel“.
Neben der SVV in Fürstenwalde hat auch die Gemeindevertretung im benachbarten Langewahl der FNP-Änderung zugestimmt. Der Gemeinde im Amt Scharmützelsee gehören 350 der 430 Hektar Wald. Auch die Flächen gegenüber dem „Strandidyll“ in Berkenbrück sind Gemeindegebiet. Noch aber ist der geplante Industriestandort ein Wald. Kein reiner Kiefernforst wie der, der für Tesla in Grünheide gerodet wurde, sondern ein „strukturierter Wald mit viel Verjüngung“, wie Heike Christoph bei der Gründung der Bürgerinitiative betonte.
Bei einer Begehung Mitte Juni hat der Nabu den Wald in Augenschein genommen. „Kiefernreinbestände gibt es dort nur wenige“, erläuterte Christoph. „Der größte Teil des Waldes ist umgebaut und filtert Regenwasser für die Spree.“
Sie spricht von einem „zusammenhängenden Waldökosystem“ und der „ökologischen Funktion der Wasserspeicherung“, die auch bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht wiederhergestellt werden könnten. Vielleicht sollte man den 80 Jahre alten Wald wegen seiner ökologischen Leistungen und der Nähe zu Fürstenwalde deshalb „Fürstenwald“ nennen.
Allerdings ist dieser Fürstenwald, von dem 320 Hektar Eigentum des Landesbetriebs Forst Brandenburg sind, bislang kaum geschützt. Weder wurden seine Waldfunktionen wie Kühlung der Temperaturen, Feuchtigkeit, Wasserrückhalt von der Unteren Forstbehörde kartiert, noch liegt ein Landschaftsplan vor. Allein ein kleiner Uferstreifen an der Spree ist seit 2021 als „Naturschutzgebiet Spreetal“ geschützt.
Seine Bedenken hat der Nabu inzwischen im Rahmen der vorgeschriebenen Beteiligung der „Träger öffentlicher Belänge“ mitgeteilt. Für Heike Christoph gehört dazu auch die dramatische Situation der Spree und ihres Wasserhaushalts. Nur noch die Hälfte des langjährigen Mittels trug die Spree im Juni in Berlin. Mit dem Kohleausstieg fehlt dann auch das abgepumpte Grundwasser in der Lausitz, das bislang in die Spree geleitet wurde. „Dabei gewinnt gerade der Osten Berlins sein Trinkwasser aus dem Uferfiltrat der Spree“, betonte Heike Christoph auf der Gründungsversammlung der Bürgerinitiative.
Heike Christoph, Nabu Scharmützelsee
Wenn die Änderungen des Flächennutzungsplans voraussichtlich im Herbst ausgelegt werden, sollen daher möglichst viele Bürgerinnen und Bürger Einspruch erheben. Darüber hinaus fordern Grüne und Nabu die Stadt Fürstenwalde auf, eine bislang als vertraulich eingestufte Machbarkeitsstudie zu veröffentlichen.
Einer der Stadtverordneten, der gegen die FNP-Änderung gestimmt hatte, deutete an, dass es darin auch Bedenken gegen die Pläne gebe. So sei die Fläche über die Bundesstraße und die Autobahn nur für LKW zugänglich. Einen Bahnanschluss wie bei Tesla gebe es nicht. Und ein Hafen an der Spree lässt sich nicht bauen, weil die Ufer unter Naturschutz stehen.
Zum Bündnis aus Nabu, Grüner Liga, Grünen, Linken und ÖDP, das sich am Mittwoch zusammengeschlossen hat, gehört auch die Bürgerinitiative Grünheide, die den Widerstand gegen Tesla organisiert hat. „Ihr habt gute Startbedingungen“, machte deren Gründer Steffen Schorcht der neuen Initiative in Fürstenwalde Mut.
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