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Selenskyj und MerzFürs nähere Kennenlernen keine Zeit

Zum ersten Mal reist der ukrainische Präsident zum Bundeskanzler nach Berlin. Kyjiw braucht schnell Klarheit in Sachen Hilfe.

Schon im März unterhielten sich der damals designierte Bundeskanzler Friedrich Merz und Wolodymyr Selenskyj in Kyjiw Foto: Michael Kappeler/dpa

Luzk taz | Man kennt sich bereits. Zuletzt Anfang Mai hatten sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Bundeskanzler Friedrich Merz in Kyjiw getroffen und auch mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Doch angesichts der Lage auf dem ukrainischen Schlachtfeld kommt Selenskyjs Besuch bei Merz an diesem Mittwoch in Berlin zur rechten Zeit. Die Ukraine wartet weiterhin auf ausreichend Flugabwehrsysteme.

In den vergangenen Tagen bombardierte die russische Armee die Ukrai­ne mit einer Rekordzahl an Waffen – allein in einer Nacht feuerten sie über 300 Drohnen und Raketen ab. Die Menschen in Kyjiw suchten Schutz in der Metro. In gesamten Land starben mehr als 20 Menschen. Im Gebiet Schytomyr töteten russische Angriffe drei Kinder einer Familie – sie waren 8, 12 und 17 Jahre alt.

Deshalb muss Selenskyj im Mai 2025, wie schon vor drei Jahren, um die Welt reisen – nicht nur um politische Unterstützung zu gewinnen, sondern auch um Waffen und Verteidigungssysteme zu beschaffen.

Kurz vor Selenskyjs Reise berichtete die Washington Post, Deutschland plane, ältere Raketen für das Patriot-Flugabwehrsystem an die Ukraine zu liefern. Zuvor hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigt, Deutschland werde der Ukraine Patriot-Raketen und vier Iris-T-Systeme – Waffen mit kurzer und mittlerer Reichweite – übergeben.

Weiter Hoffen auf Taurus

Noch relevanter für die ukrainische Lage im Krieg erscheint, dass Kanzler Merz Hoffnungen darauf geweckt hat, die Reichweitenbeschränkungen für die vom Westen gelieferten Waffen an die Ukraine aufzuheben. Natürlich wartet man in der Ukraine in diesem Zusammenhang auf die Taurus-Marschflugkörper. „Aber all das sind nur Informationen anlässlich des bevorstehenden Berlin-Besuchs von Selenskyj, die von wichtigeren und schmerzhafteren Themen ablenken könnten“, erklärte Viktor Savinok, leitender Analyst am Instytut Zachodni (Westinsitut) im polnischen Poznań.

Selenskyj wird in Berlin viel zu tun haben. Er und sein Team müssen sich mit der neuen Bundesregierung vertraut machen, die erst seit Anfang Mai im Amt ist. Doch für ein Kennenlernen bleibt wenig Zeit. Analyst Savinok betont, Kyjiw erwarte neue Impulse, die Merz in Bezug auf die Dynamik deutscher Waffenhilfe versprochen habe. Deutschland hat bereits 3 Milliarden Euro für Militärhilfe zugesagt und weitere 9 Milliarden bis 2028/29 angekündigt. Selenskyj will jedoch Klarheit: Welche Schwerpunkte setzt Deutschland künftig? Wo wird die Zusammenarbeit vertieft? Welche Teile der zusätzlichen Produktion könnten in der Ukraine angesiedelt werden?

„Kyjiw hofft auf eine Ausweitung der Produktion westlicher Waffen in der Ukraine selbst, da dies die Angelegenheit vereinfachen würde: Die Ukrai­ner benötigten keine Genehmigungen und Lizenzen, auch logistisch würde es leichter“, sagt Savinok. „Aber deutsche Zweifel bezüglich der regulatorischen Rahmenbedingungen und der Korruption in der Ukraine bremsen diese Pläne. Und auch, dass sowohl die alte als auch die neue Regierung in Deutschland nichts in Bezug auf Garantien und Unterstützung für Investitionen versprechen.“

Was wird mit dem EU-Beitritt der Ukraine?

Zudem gibt es in der Ukraine Skepsis gegenüber einem Teil der CDU-Politiker, die denken, ein Waffenstillstand könnte den Weg zurück auf den russischen Markt ebnen. Savinok verweist auf die Träume einiger deutscher Politiker und Unternehmer, die Nord-Stream-Pipelines wieder in Betrieb zu nehmen. Dies würde ihrer Logik zufolge billiges russisches Gas nach Deutschland zurückbringen und die Industrie wettbewerbsfähiger machen. Die Ukraine will solche Diskussionen beenden, sagt Saviok. Auch um mögliche Einnahmen des Kremls zu verringern.

Ein weiteres Thema der Gespräche zwischen Merz und Selenskyj könnte die Außenpolitik sein. Die EU plant ein neues Sanktionspaket gegen Russland, und Kyjiw interessiert sich für Berlins Haltung zu einem anderen zentralen Punkt: die Gespräche über einen EU-Beitritt der Ukraine. Formal könnten die Verhandlungen über mindestens einen Themencluster bereits am 26. oder 27. Juni aufgenommen werden, wenn der EU-Rat zusammentritt. Doch vor allem Ungarn unter Ministerpräsident Orbán blockt.

„Dieser Besuch in Berlin dient dazu, sich in wichtigen Fragen abzustimmen: Sanktionen gegen Russland, Waffen, EU“, fasst Politologe Viktor Savinok zusammen.

Aus dem Ukrainischen: Gaby Coldewey

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5 Kommentare

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  • Sicherlich wird Friedrich kompetente Berater, nicht unbedingt aus der Rüstungsindustrie, um sich haben.



    Intelligenz und Achtung - vor Recht und Gesetz sind jetzt nämlich absolut Angesagt.



    Wir leben nicht in Zeiten der Hotten Totten, wo sich Ruddelführer ihre eigenen Regeln selber gemacht haben. Im 21. Jahrhundert haben festgeschriebe Regularien - Gesetzte und Rechte im Umgang mit anderen Staaten bestand.

  • Selenski hat anscheinend keine Zeit für seine Landsleute in Deutschland. Da könnte er aber Werbung für das machen was die UA am meisten braucht, nämlich Soldaten. Aber ihm scheint das Geld aus D wichtiger zu sein. Gut, das sind halt Prioritäten.

    Und, " „Aber deutsche Zweifel bezüglich der regulatorischen Rahmenbedingungen und der Korruption in der Ukraine bremsen diese Pläne."

    Nanu, Korruptiuon in der Ukraine? Wer kontrolliert eigentlich was mit dem Geld und den Waffen passiert wenn sie über die Grenze gehen? Das scheint niemanden in der Regierung zu intressieren, das verschwindet alles in einem schwarzen Loch?

  • Also wenn ich wetten müsste, würde ich sagen die Ukraine wird (mindestens) in den nächsten 20 Jahren kein EU Mitglied. Das sind Abstimmungen, die Einstimmigkeit erfordern - und ich wage die Prognose, diese Einstimmigkeit wird an Frankreich,, Spanien oder Polen oder einem der anderen Empfängerländer von EU-Agrarsubventionen scheitern. Tritt die Ukraine der EU bei wäre sie instant einer der größten, wenn nicht der größte Empfängerstaat - und zwar auf Kosten der anderen großen Empfängerstaaten. Glaubt ernsthaft irgendjemand, dass die Franzosen, Spanier oder Polen dem zustimmen werden? Deutschland kassiert auch nicht schlecht. Gerade ist der vergünstigte Zugang für ukrainische Landwirtschaftsprodukte genau daran gescheitert - trotzdem wird hier wild spekuliert. Oder die EU bräuchte neue Geldtöpfe und das in einer Zeit, in der die EU nicht wohlgelitten ist. So bitter das ist: aber so lange nur geredet wird, sind alle euphorisch, wenns dann ums Geld geht werden alle kleinkariert.

    [Das ist nicht was ich mir wünsche, sondern was ich glaube das passiert]

    • @Einfach-Jemand:

      Ich denke die Ukraine wird EU Beitritt als Bedingung für einen Frieden machen allein schon um den militärischen Beistand der EU zu haben.

      • @Machiavelli:

        Das ist eine merkwürdige Überlegung. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, ändert das nichts an dem von mir geschilderten Problem.