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Fünf Monate bis zur BundestagswahlDer grüne Scheinriese

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Grünen küren clever Baerbock, in der Union schlagen sich die Machos – welch ein Kontrast. Trotzdem sollte man die Union nicht abschreiben.

Für die Grünen könnten wieder trübere Tage kommen: die Parteichefs Baerbock und Habeck im Regen Foto: Christian Charisius/dpa

F ür die Grünen sieht es derzeit glänzend aus. Sie haben nicht nur eine strahlende Kanzlerkandidatin, sondern auch eine kompakte Erzählung: Sie streben die ökologische Modernisierung der Wirtschaft an, nicht mehr gegen, sondern mit den Konzernchefs. Sie setzen auf den Markt und eine Ordnungspolitik, die nur noch schwerlich als Verbotspolitik denunzierbar ist. Und sie zeigen sich fast beängstigend geschlossen. Basisdemokratie war vorgestern. Der Flügelstreit fällt mangels eines ernst zu nehmenden linken Flügels auch aus.

Die Union wirkt hingegen konfus. Armin Laschet ist bei der eigenen Basis und dem Publikum unbeliebt. Die Union hat noch nicht mal ein Wahlprogramm. Ihr Image, für pragmatische Lösungen zu sorgen, hat tiefe Kratzer. Machtkampf und Maskendeals haben das Vertrauen in die Kernkompetenz der Union erschüttert.

Hier die professionelle Inszenierung von Annalena Baerbock, dort eine verzweifelte Machowirtshausschlägerei – größer kann der Kontrast kaum sein. Doch wenn man genauer hinschaut, erkennt man Ähnlichkeiten. Baerbock und Laschet sind beide Figuren des Apparats. Beide strahlen weniger hell als ihre Konkurrenten, Robert Habeck und Markus Söder, die beide jenseits der eigenen Stammklientel punkten könnten. Der Philosoph Habeck gegen den Populisten Söder, das wäre im Wahlkampf ein hübsches Match geworden. Baerbock gegen Laschet wird eher ein Kampf um Spiegelstriche.

CDU und Grüne haben sich somit für Bodenhaftung und gegen die Höhenflüge entschieden. Ihre Entscheidungen folgen jener typisch bundesdeutschen mittleren Vernünftigkeit, die auf Risikominimierung zielt. Denn Habeck wären im Wahlkampf Wissenslücken und verblüffende Ahnungslosigkeit zuzutrauen gewesen. Und beim Armdrücken in der Union hat man die Abgründe von Söders Populismus light gesehen. Parteigremien wurden da in fast Trump’scher Manier niedergemacht. Bei Söder ist nur Verlass darauf, dass bei ihm auf nichts Verlass ist. Die Union als eine Art Liste Söder? Das dann lieber doch nicht.

Der mediale Honeymoon wird vorübergehen

Scheinbar rückt nun Grün-Schwarz ganz nahe. Die Grünen wären aber naiv, wenn sie die Krönungsfeierlichkeiten für Baerbock für Hartwährung hielten. Die von journalistischen Fans derzeit heftig umschwärmte Baerbock (Mutter! Modern! Jung! Feministisch!) wird schon als neue Merkel auf den Thron gehoben. Doch ein ehernes mediales Gesetz lautet: Wer hochgejubelt wird, wird auch wieder heruntergeschrieben. Der mediale Honeymoon mit Annalena wird vorübergehen. Ist sie nicht doch zu unerfahren? Warum redet sie jetzt schon genauso stanzenhaft wie alle anderen?

Die Grünen wollen 12 Euro Mindestlohn und die Vermögenssteuer. Wie das mit der Union gehen soll, ist ihr Geheimnis

Die Grünen wollen 12 Euro Mindestlohn und die Vermögenssteuer wieder einführen, 50 Milliarden pro Jahr investieren und die Schuldenbremse faktisch abschaffen. Die Frage, wie sie das mit der Union oder gar der FDP umsetzen wollen, wurde Baerbock großherzig erspart. Bei den Grünen ist die Kluft zwischen hehrem Anspruch und grauer Wirklichkeit tief. Das kann man im seit zehn Jahren grün regierten Baden-Württemberg sehen, wo die Energiewende, das grüne Kernprojekt, so gar nicht vorankommt. Im Wahlkampf, der immer ein Säurebad ist, werden die Grünen in weniger mildem Licht erscheinen als jetzt – ihre Mittigkeit als gewöhnlich, ihr Reform­elan als doch etwas anstrengend.

Die Deutschen wählen zudem strukturkonservativ. Sie jagen ungern Regierungen vom Hof und wählen lieber unspektakulär. Wenn im Herbst zudem der Pandemie-Ausnahmezustand endet, wird die sehnsüchtig erwartete Normalität zurückkehren. Normalität aber ist ein Humus, auf dem das Bekannte gedeiht und auf dem es das Neue schwer hat.

Es ist keine kühne Vermutung, dass dies der zerzausten Union nutzen wird. Man sollte sie nicht zu schnell abschreiben. Vorausgesetzt, dass Laschet, der oft so schwankend wirkt, ab jetzt keinen, aber wirklich keinen Fehler mehr macht.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 'Doch ein ehernes mediales Gesetz lautet: Wer hochgejubelt wird, wird auch wieder heruntergeschrieben.'

    Stefan Reinecke fängt schon mal mit dem Herunterschreiben an, spart nicht an Klischees und vergisst dabei, dass Baerbock zwar Kanzlerkandidatin ist, ihr aber eine ziemlich bunte Partei beseite steht, unter anderem auch der strahlende Habeck.

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Laschet holt Merz ,als Wirtschaftexperte ,in sein Team. Irgendwie schafft der " BlackRock Jünger " es doch noch in exponierter Wirtschaftsposition in die Bundesregierung.

    Viel Spaß damit , liebe GRÜNEN!

  • Stimmt schon, wenn ein Kanzlerin Baerbock das Reformpotential des alten weißen Cis-Mannes Joe Biden erreichte, wäre das schon ein Wunder. Dennoch ist eine grüne Kanzlerschaft die Mindestvoraussetzung für sozial-ökoligische Bewegung in der deutschen Politik. Es braucht aber auch Druck von der Straße und da hier nicht viel zu erwarten ist leider wohl auch medial verwertbare und unmittelbar schmerzhafte Klima/Umweltkatastrophen (Hitzetote, Trinkwasser- und Lebensmittelknappheiten) damit der existenzielle Ernst der Lage in den Köpfen und Herzen von Mehrheiten ankommt und ernsthafter Handlungswille entsteht.

  • Bislang hat Baerbock sich zu Natur- und Artenschutz noch gar nicht, zum Klima kaum mehr als mitbein paar abstrakten Zielzahlen, dafür aber sehr dezidiert zum transatlantischen Bündnis, zu NATO und Aufrüstung und regelrecht emotional gegen Russland und China geäußert.

    Noch dicker gedämmte Häuser, geheizt mit amerikanischem Fracking-Gas, Elektroautos und riesige stromfressende Cloudserver-Rechenzentren und kurz hinter den Städten, deren gentrifizierte Altbauviertel von der gutverdienenden Schicht der Grünen-Wählerschaft bewohnt wird, in Sicht- und Hörweite des Suburbia-Plebs gigantische Windräder, die hoch subventioniert



    werden, damit die Investoren nicht enttäuscht werden.

    Leider wird der Pöbel, der da wohnt, wo längst die letzte Bahnlinie stillgelegt und die Busverbindungen extrem ausgedünnt wurden, auch weiterhin in die Fabriken, Logistikzentren und Dienstleistungsfirmen fahren müssen um sich selber zu ernähren und o.a. zu finanzieren. Wir haben und hatten genug Beispiele maßgeblicher grüner Regierungsbeteiligung, die genau an diesen infrastrukturellen und sozialen Problemen nichts geändert haben und wenn Kanzlerin Baerbock eines Tages ihre eigene Politik loben wird, wundern sich andere, warum das Klima davon völlig unberührt blieb.

    Es ist völlig absurd, zu glauben, unter Beibehaltung des neoliberalen Kapitalismus und der transatlantischen Ideologie könne etwas Gutes für Klima und Artenschutz erreicht werden. Daran wird das große Vorbild Biden genau so scheitern wie unsere Grünen!

    • @Khaled Chaabouté:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an:

      “ Es gibt noch mehr Forist:innen, die sich ebenfalls fundiert und kritisch äußern. Erst später entdeckt. Hätte ich mir meine Mühe sparen können.



      taz.de/Fuenf-Monat...bb_message_4115316



      Und erfreulicherweise gibt es sowas häufiger zu lesen. Karl Valentin hat ja recht, aber zusammen sind wir viele.“

      kurz - Na dann.



      Freudig schließe ich mich an! - 😎 -



      Wer weiß - wieviele Stockwerke das Tierheim Viersen hat - am Niederrhein!



      Kann kein ganz schlechter Mensch nich sein!



      “Hauptsache“ mit seinem Landsmann -



      HDH - genuschelt & derDäh - Ein Freund - Heino Jaergers den “zu dessen beliebten Radiosendungen "Praxis Dr. Jaeger/Fragen Sie Dr. Jaeger" animierte.“

      kurz2 - Auch viele. Aber Hallo.

  • "Warum redet sie jetzt schon genauso stanzenhaft wie alle anderen?"

    Ein leider genauso wahrer wie vernichtender Satz zu Annalena.

    • @AvH:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - klärt auf:

      “Stanzen

      “ "Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten.."



      taz.de/Fuenf-Monat...bb_message_4115117



      "Warum redet sie jetzt schon genauso stanzenhaft wie alle anderen?" Weil sie es kann. Ist nämlich gar nicht so einfach.



      de.wikipedia.org/wiki/Stanze de.wikipedia.org/wiki/Stanze#Form







      kurz - Liggers. Mit Jöhten is gut - Löten.



      Doch. Und‘s Stanzerl im 3/4 - Och! - 🥰 -



      ——-



      Das Gstanzl ist eine bayerisch-österreichische Liedform, meist als epigrammartiger Spottgesang.



      & Däh - 😱 -



      In München steht ein Hofbräuhaus



      Ein Roider-Jackl-Brunnen auf dem Viktualienmarkt aber auch!



      de.m.wikipedia.org..._Muenchen_2004.jpg

      Ein klassisches Gstanzl ist:

      Aussee is a lustigs Tal



      das sog i allemal



      san schene Mendscha drein



      da mecht i sein

      “Je nach Herkunft werden die Gstanzln auch Schnaderhüpfl, Schanderhagge, Stückl, Possen-, Trutz- und Spitzliedln, Schleifer, Haarbrecher-Gsangln, Plopper- und Plepper(lieder), Schwatzliedln, Flausen und Schmetterliedln, G’setzln, Basseln, Vierzeilige, Kurschza Liadlan, Schelmeliedle, chorze Liedle, Rappedietzle, Schlumperliedla oder Rundâs usw. genannt. Die Ausdrücke auf „Schand-, Spitzen, Pleppern, Schwatzen, Flausen, Schmettern, Schelm-, Trutz-/Tratzen“ beziehen sich alle auf Dialektworte für dahingesagte oder humorvolle Bemerkungen über andere, wie sie dem Gstanzlsingen im engeren Sinne zugrunde liegen, und stellen teils eigenständige regionale Unterformen dar.“

      Oh je. Is das nich schee?! & Wie gesagt:



      “Gute Gstanzlsänger können aus dem Stegreif stundenlang Gstanzln vortragen, ohne sich zu wiederholen.“

      Ach was - 😂 - AnnaKoboldaLena - 🙀 -

      So geht das - Na Servus - 🥳 -

  • Vor nicht all zu langer Zeit hieß es mal, dass die Krise der Union hilft. Jetzt heißt es, dass das Ende der Krise der Union helfen wird. Scheinbar hilft alles nur noch der Union.

  • Die Union hatte ein Zugpferd: Merkel. Trotz vieler Mängel in den 16 Jahren Regierung hat sie gerade international sehr viel erreicht und den Trumps, Putins und Duertes der Welt einen mächtigen Gegenpol geliefert. Das muss selbst ich zugeben, obwohl ich die Union nur wählen würde, wenn es sonst nur noch die AfD gäbe.

    Das Zugpferd ist aber weg und Laschet ist nur ein müder Gaul. Damit vertritt er genau die Politik der Union und die kommt bei Menschen, die sich mit Inhalten beschäftigen selten gut an.

  • Und dann ist da noch Olaf Scholz mit seiner SPD. Ja, die gibt es noch.