Frust nach Urteil gegen Krypto-Betrüger: „Ungerecht und Skandalös“
Das Amtsgericht Osnabrück hat Mohammed Ü. wegen Betrugs im Kryptowährungshandel verurteilt. Doch viele Geschädigte finden das Urteil unzureichend.
Ü. redet über seine Kindheit, Überforderungen und Drogenabstürze. Über angebliche Millionen-Umsätze. Über seine Expertise, erworben „im Internet“. Über den „Rausch“ in den er geriet. Er habe niemanden betrügen wollen, sei Opfer widriger Umstände. Zuweilen prahlt er. Was er sagt, bleibt weitgehend unhinterfragt.
Zwischen Herbst 2022 und Frühjahr 2023 soll Ü. für Coachings zum Kryptowährungshandel hohe Vergütungen verlangt und garantiert haben, diese kämen durch Finanzmarktgewinne wieder herein. Er habe vorgespielt, einen Fonds mit risikofreier Geldanlage aufzulegen, Kontakt zu einer Person zu haben, die in der Lage sei, Kapital bis auf das Fünffache des Ausgangsbetrages zu vermehren. Manche glaubten ihm. Knapp 177.000 Euro soll er sich von ihnen verschafft haben.
Die Verhandlung ist schnell vorbei. Das Gericht initiiert ein Verständigungsgespräch. Im Rahmen einer Teileinstellung, straffrei für die Coachingverträge, erhält Ü. eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung, wegen gewerbsmäßigen Betrugs in zwölf Fällen. Zwei weitere Prozesstage, angesetzt auch für Zeugenaussagen von Geschädigten, werden gestrichen. Fall erledigt.
Keine Anzeige wegen nervlicher Belastung
84.000 Euro sollen bei Ü. „beigetrieben“ und an die Geschädigten ausgezahlt werden, schreibt Gerichtssprecherin Damaris Fleige der taz. Beim Strafmaß habe man berücksichtigt, dass Ü. „bereits zehn Monate Untersuchungshaft verbüßt und sich geständig und reuig eingelassen hat“. Daher sei „eine Vernehmung der Zeugen zur Sachaufklärung nicht erforderlich“ gewesen.
M.* ist einer der Geschädigten. „Das ist ungerecht und skandalös!“, sagt er der taz. „Es hieß vorher, wir sollten Videoclips der Coachings mitbringen, Chatverläufe, da die Richterin nichts davon gesehen hat. Aber dann rief sie mich an und sagte, die Sache sei beendet.“
M. hat Ü. 15.000 US-Dollar für ein Coaching gezahlt, das dann schnell abbrach. „Er hat ein paar Basics erzählt. Für mehr war er nicht vorbereitet.“ Insgesamt hat M. 25.000 US-Dollar gezahlt, obwohl er anfangs skeptisch war. Aber Ü. habe überzeugend geklungen. „Er gab sich achtsam, als wolle er nur helfen, so hat er sich das Vertrauen erschlichen. Er kann sich gut verkaufen; wir sind ja keine Trottel, die einfach auf einen Scammer reinfallen. Er hat uns geblendet, getäuscht. Tiefere Kenntnisse besaß er nicht.“
M. weiß von „rund 30“ Geschädigten, die „von einem Schaden von mindestens 370.000 US-Dollar berichten“. Viele hätten keine Anzeige erstattet, da sie der nervlichen Belastung nicht standhalten konnten, nicht mehr über finanzielle Mittel oder Vertrauen ins Rechtssystem verfügten.
Auch Tim H.* gehört zu den Geschädigten, und auch ihn konsterniert das Urteil. „Warum einige zentrale Anklagepunkte fallengelassen wurden, etwa der Betrugsvorwurf in Bezug auf das Coaching, und warum die Geschädigten nicht gehört wurden, ist mir unverständlich“, sagt er der taz.
Auch der Aachener Rechtsanwalt Benjamin Alt sieht das Handeln der Osnabrücker Staatsanwaltschaft und des Gerichts kritisch. Er vertritt zehn der Geschädigten. „Was im Verfahren passiert ist, ist teils für mich nicht verständlich“, sagt er der taz. „Ich habe der Staatsanwaltschaft sehr viele Informationen zusammen mit den Geschädigten mundgerecht aufbereitet. Als das Gericht dann die Zeugen lud, übrigens erst wenige Tage vor dem Prozess, hatte es einen zentralen Geschädigten vergessen.“
Kurzzeitige Entführung des Angeklagten
Auch der Einlieferungsweg für Unterlagen sei ein Problem gewesen. „Das läuft bei der Staatsanwaltschaft wohl in der Abteilung für Cyberkriminalität. Aber die waren nicht in der Lage, digital sämtliche Unterlagen zu empfangen. Wir sollten alles mit der Post an die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft schicken – auch Videos, per USB-Stick.“
Einen Tag nach dem Urteil hat Alt die Staatsanwaltschaft angeschrieben. Es bestehe seitens der Geschädigten der Verdacht, dass Ü. „niemals beabsichtigt habe“ das Coaching vollständig durchzuführen. „Dies wäre bei der Vernehmung der Zeugen voraussichtlich zur Sprache gekommen.“ Offenbar sei auch keine „intensive Befragung“ von Ü. erfolgt, ob er derzeit noch über finanzielle Mittel verfüge, für die Wiedergutmachung. Das verwundere seine Mandanten, weil mehrere einen wesentlichen Teil ihrer Ersparnisse verloren haben.
Wie zornig mancher Geschädigte war, zeigt sich in einem skurrilen Detail, das gesondert verhandelt wurde: Einer von ihnen hat Ü. kurzzeitig entführt, um sich sein Geld persönlich zurückzuholen – was fehlschlug.
Die Staatsanwaltschaft schweigt auf Fragen der taz. Die „Pressehoheit“, teilt Alexander Retemeyer mit, ihr Sprecher, liege beim Gericht.
*Name der Redaktion bekannt
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