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Frühkapitalismus"Turn around" vor dem Richter

Bei "mdexx" in der Neustadt geht der Arbeitskampf seinen gewohnten Gang: Die Geschäftsführung mauert, die Mitarbeiter streiken, Herr Grauvogel kommt.

Die Geschäftsführung drinnen will sich nicht den Protestierenden draußen treffen. Bild: Jan ZIer

Er kam nicht. Dietrich Tinken, Geschäftsführer des Arbeitskampf-erschütterten Transformatoren-Herstellers "mdexx" in der Neustadt, versetzte seine 450 Angestellten, die gestern auf ihrer Betriebsversammlung auf Auskünfte warteten.

Dabei war ihm doch "freies Geleit" zugesichert worden. Eine "etwas scherzhafte Formulierung", wie Betriebsrat Herbert Strosetzky auf Nachfrage erklärt. Verhältnisse wie in Frankreich, wo Firmenbosse schon mal von ihrer Belegschaft gekidnappt werden, gäbe es in der Neustadt natürlich noch nicht. Wobei neulich, als der Bevollmächtigte der neuen Schweizer Besitzer vom "mdexx", Winfried Hartwig, zur Belegschaft sprach, da seien die Emotionen doch sehr hoch geschwappt.

Hartwig ist "Turn around-Manager", man könnte auch Sanierer sagen. Er hat den Kollegen mitgeteilt, 20 Jahre im selben Betrieb zu arbeiten, das sei heutzutage nun mal nicht mehr zu erwarten. Für die "mdexx"-Leute musste dieser Allgemeinplatz geradezu zynisch klingen. Als ihr Arbeitgeber noch Siemens hieß, hatten viele schon Jahrzehnte an Betriebszugehörigkeit auf dem Buckel. Doch nachdem der Schweizer Finanzfonds CGS Anfang 2009 das Werk übernahm, ging alles sehr schnell: Schon im Sommer kündigte das Management an, mindestens 200 der 470 Arbeitsplätze abzubauen und Teile der Produktion nach Tschechien zu verlagern.

Der Verdacht liegt nah, dass Siemens seine Magnetronic-Sparte bewusst abstieß, um deren Abwicklung nicht selbst am Hacken zu haben. Insofern wirken die Spruchbänder mit den Worten "Siemens, lass uns nicht hängen", die die "mdexx"-Leute bei ihren Warnstreiks dabei haben, wie ein seltsam hilfloser Appell. Die Plakat-Variante "Ausgegliedert, verkauft, arbeitslos" scheint da eine treffendere Analyse.

Konkret haben derzeit 198 KollegInnen eine Kündigung in der Tasche, gegen die sie allerdings mit guten Erfolgsaussichten gerichtlich vorgehen können. Allzu abenteuerlich war das Gebaren der Geschäftsführung vor knapp einer Woche: Nachdem sie am Vormittag noch einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht samt vorläufigem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zugestimmt hatte, stellte sie in der selben Nacht noch die Entlassungsunterlagen zu. Nicht nur die Linkspartei fühlte sich an "frühkapitalistische Methoden" erinnert, auch die evangelische Kirche und andere gesellschaftliche Organisationen erklärten ihre Solidarität mit den MitarbeiterInnen.

Das Vertrauen in die Zusagen der Geschäftsführung sei nachhaltig erschüttert, erklärt Betriebsrat Strosetzky wenig überraschend. Deswegen sei der angekündigte Besuch von Tinken, immerhin seit 30 Jahren selbst im Betrieb, auf der gestrigen Versammlung als so wichtig angesehen worden. Dort habe sich zwar das mittlere Management für die nächtliche Kündigungsaktion entschuldigt, Tinkens Fortbleiben jedoch habe "sehr schwere Enttäuschung" ausgelöst.

Bis heute Morgen wollen die MitarbeiterInnen ihren Warnstreik fortsetzen. Die Mahnwache am Haupttor solle außerdem verhindern, dass "in einer weiteren Nacht- und Nebelaktion die Maschinen abtransportiert" werden. Um neun Uhr allerdings kommt ein Besucher, den die Streikenden wohl gern passieren lassen: Michael Grauvogel vom Arbeitsgericht, der vor Ort abermals Güteverhandlungen führen will. Es ist bereits sein dritter Hausbesuch.

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