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Friedensverhandlungen in IstanbulMoskauer Schmierenkomödie

Kommentar von Barbara Oertel

Niemand soll glauben, dass Russland ernste Absichten verfolgt. Auch wenn Putin selbst es war, der die Verhandlungen initiierte.

Terror ohne Ende: Nach einer russischen Dronenattacke auf Kiev am 7. Mai Foto: Thomas Peter/reuters

G ebannt und voller Hoffnung starrt alle Welt seit über einer Woche auf den Beginn direkter Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland, der ersten seit gut dreieinhalb Jahren. Und, nur zur Erinnerung: initiiert von Wladimir Putin höchstselbst. Vielleicht geht da ja endlich doch etwas, um das tägliche Sterben und Leid der Ukrai­ne­r*in­nen sowie die Zerstörung ganzer Landstriche in der Ukraine zu beenden? Wer wünschte sich nicht, dass Frieden einkehren möge.

Zumindest was die russische Seite angeht, sind allerdings Zweifel angebracht. Denn die Aufführung, die dieser Tage über die Bühne geht, ist ein Schmierentheater, dessen Inszenierung der Kreml zu verantworten hat. Unter dem Titel „Demütigen, erniedrigen und beleidigen“ zieht Moskau alle Register. Dass Wladimir Putin sich persönlich in die Türkei begeben würde, konnte ohnehin kaum jemand ernsthaft erwarten.

Doch die Zusammensetzung der russischen Delegation der unteren Ränge, tagelang wie eine geheime Verschlusssache behandelt, grenzte ans Absurde. Sie ist indes äußerst aufschlussreich. Nicht ohne Grund gibt Wladimir Medinski den Verhandlungsführer. Der Pseudohistoriker saß bereits 2022 mit am Tisch, um die Kapitulation der Ukraine unterschriftsreif zu verhandeln – bekanntermaßen ohne Erfolg. Genau an diesen Punkt will Medinski, und nicht nur er, jetzt anknüpfen. Fragen erübrigen sich.

Der scheinbare Verhandlungswille Moskaus bedeutet nichts anderes, als dass die Ukraine dauerhaft unterworfen, wenn nicht gar als eigenständigen Staat ausgelöscht werden soll. An dieser Agenda hat sich seit dem 24. Februar 2022 um kein Jota etwas verändert. Wenn dabei auch noch auf „diplomatischem Weg“ Gebietsgewinne abfielen, die Moskau militärisch bislang nicht erreicht hat, umso besser. Medinski schwadroniert jetzt von „Kompromissbereitschaft“.

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Allenfalls ein Anfang

Das jedoch sollte niemand ernst nehmen, auch wenn sich viele immer noch – sei es aus Naivität, Ignoranz oder Unkenntnis – blenden lassen. Genau aus diesem Grund tut der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenkyj gut daran, den Verhandlungen fernzubleiben, gleichzeitig aber doch eine Abordnung nach Istanbul zu entsenden. Wer wenn nicht er muss ein Interesse an einer Beendigung des Kriegs haben. Nicht zuletzt ist Selenskyj auch gezwungen, US-Präsident ­Donald Trump bei Laune zu halten.

Die ändert sich zwar stündlich, dient aber vielfach als Grundlage von Entscheidungen. Kyjiws europäischen Verbündeten wurden erneut die Rollen als Beobachter zugewiesen. Immerhin haben sie sich gerade in den vergangenen Tagen um Geschlossenheit bemüht. Doch was ist diese praktisch wert? Ein weiteres Sanktionspaket der EU gegen Russland liegt bereits in der Schublade und sollte möglichst schnell in Kraft gesetzt werden. Denn mit greifbaren Ergebnissen in Istanbul ist kaum zu rechnen. Die Gespräche können allenfalls ein Anfang sein, mehr aber auch nicht.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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