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Friedensprozess in EritreaAus Feinden werden Freunde

Seit Äthiopien und Eritrea Frieden geschlossen haben, belebt sich der Handel zwischen den beiden Ländern. Aber die Wehrpflicht für Eritreer bleibt.

Im September 2018 öffnet sich nach 20 Jahren die Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien, an der eine Mutter ihre Tochter trifft Foto: afp

Jahrzehntelang war Eritrea komplett von der Außenwelt abgeschottet, die Ausreise aus dem Land nicht erlaubt. Seit Kurzem können Eritreer ohne Papiere und ohne Genehmigung die Grenze zu Äthiopien überqueren. Seitdem im Rahmen des Friedensschlusses zwischen den beiden verfeindeten Nachbarländern im September die Grenze nach zwanzig Jahren Sperrung wieder geöffnet wurde, kommen sie mit Bussen und Ochsenkarren oder laufen einfach die Straße entlang. Es gibt sogar wieder eine Flugverbindung zwischen den beiden Hauptstädten Asmara und Addis Abeba.

Die meisten Eritreer versuchen, dem verpflichtenden, viele Jahre dauernden Wehrdienst zu entkommen, der jeden Erwachsenen betrifft. Andere sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Äthiopien oder weiter weg in Europa.

Da keine Kontrollen mehr stattfinden, weiß niemand, wie viele Eritreer die Grenze überquert haben. Lokale Behörden auf der äthiopischen Seite sagen, dass auf jeden Fall mehr als 25.000 Menschen angekommen sind. Andere Quellen schätzen die Zahl höher. Die Neuankömmlinge lassen sich als Flüchtlinge registrieren, aber bleiben meistens nicht lange im Flüchtlingslager. Viele haben angeheiratete Familien in Äthiopien, wo sie Unterkunft finden, oder ziehen weiter, um anderswo ein neues Leben aufzubauen.

Jahrelang war die heimliche Flucht Hunderttausender Eritreer über Sudan, Ägypten und Libyen Richtung Europa eines der düstersten Kapitel der europäischen Flüchtlingspolitik gegenüber Afrika. In den vergangenen zwanzig Jahren sind nach Schätzungen etwa 600.000 der fünf Millionen Einwohner aus ihrem Land geflohen, zumeist unter Lebensgefahr und mit hohem Risiko für zurückbleibende Angehörige. Jetzt plötzlich lässt das Regime des autoritär regierenden Präsidenten Isaias Afewerki große Teile der Bevölkerung ohne Hinderung ziehen.

In Eritrea herrscht Verwirrung

Eritrea ist ein politisch undurchsichtiges Land, und man kann nur mutmaßen, was hinter der Öffnung steckt, meint die britische Journalistin und Eritrea-Kennerin Michela Wrong. „Ich denke, dass die Behörden ein wenig ratlos darüber sind, wie sie auf die neue Beziehung mit dem Nachbarn und ehemaligen Feind reagieren sollen. Die Situation der Abschottung war jedem vertraut. Jetzt, da sie beendet ist, herrscht Verwirrung.“

Äthiopien und Eritrea waren lange verfeindet. Eritrea, einst italienische Kolonie, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom unabhängigen Äthiopien übernommen und errang erst 1993 seine Unabhängigkeit nach einem blutigen Befreiungskrieg. Zwischen 1998 und 2000 führten die beiden Länder erneut Krieg ge­gen­ein­ander um ihre nie genau demarkierte Grenze. Mindestens 70.000 Menschen kamen ums Leben.

Das Friedensabkommen aus dem Jahr 2000, das unter anderem Äthiopiens Rückzug aus umstrittenen Gebieten vorsah, wurde aber von Äthiopien nicht umgesetzt. Erst als im April 2018 der neue Premierminister Abiy Ahmed in Addis Abeba die Macht übernahm und politische Reformen einleitete, vollzogen die beiden Länder endlich ihren Friedensschluss auf einem Gipfeltreffen im Juli. Es folgte die Öffnung der Grenze am 11. September.

Die Reformpolitik in Äthiopien weckte auch in Eritrea Hoffnungen auf Demokratie. Trotz der Grenzöffnung hat sich in diesem Bereich aber wenig getan. „Äthiopien zieht Truppen von der Grenze ab, und damit ist die andauernde Wehrpflicht in Eritrea nicht mehr gerechtfertigt“, analysiert Wrong. „Aber Präsident Isaias Afewerki hat sie noch immer nicht offiziell abgeschafft. Die Eritreer sind enttäuscht. Indem die Regierung sie nun ungehindert ausreisen lässt, lässt sie jedoch Druck ab.“

Für Äthiopien ist der Zustrom nicht einfach zu bewältigen. Das Land mit rund 100 Millionen Einwohnern beherbergte schon vorher ungefähr 900.000 Flüchtlinge – vor allem aus den Nachbarländern Sudan, Südsudan, Somalia und eben Eritrea. Durch ethnische Konflikte in verschiedenen Regionen Äthiopiens gibt es auch noch rund 1,4 Millionen Binnenvertriebene. Und dann sind da noch jährlich Zehntausende unfreiwillige äthiopische Rückkehrer, die zurückgeschickt werden aus Ländern, in denen sie illegal arbeiteten, vor allem aus Saudi-Arabien.

Die Geschäfte auf beiden Seiten laufen jetzt gut

Wirtschaftlich betrachtet ist die Grenzöffnung für beide Länder gut. Eritrea hatte sich nicht nur selbst abgeschottet, sondern wurde auch vom Rest der Welt jahrelang mit Sanktionen belegt und isoliert. Es gab kaum noch Außenhandel, viele Güter waren Mangelware. Jetzt kommen täglich äthiopische Händler über die Grenze, um ihre Waren ohne Zollgebühren oder Inspektionen in Eritrea zu verkaufen. Aus Eritrea kommen dagegen viele Busse mit Fahrgästen, die in Äthiopien einkaufen. Die Geschäfte auf beiden Seiten laufen gut.

Äthiopien hat nun auch erstmals seit dem Krieg wieder Zugang zu den eritreischen Häfen von Assab und Massawa am Roten Meer. Die Reisen für äthiopische Laster sind kürzer als nach Dschibuti, bis voriges Jahr der Haupttransitpunkt für Äthio­piens Außenhandel. Von der Wiedereinbindung in die regionalen Wirtschaftskreisläufe profitiert auch Eritreas Regierung,

Michela Wrong sieht auch persönliche Motive des eritreischen Machthabers am Werk. Der Machtwechsel in Äthiopien, der Abiy Ahmed an die Macht brachte, bedeutete vor allem eine Entmachtung der im Land bislang mächtigsten ehemaligen Guerillabewegung TPLF (Tigray People’s Liberation Front). Deren historischer Führer, Meles Zenawi, bis zu seinem Tod 2012 äthiopischer Regierungschef, war der Hauptgegner und Erzfeind des eritreischen Präsidenten, Isaias Afewerki.

Im Guerillakampf waren Isaias und Meles einst Waffenbrüder, doch überwarfen sie sich, nachdem sie in ihren Ländern die Macht ergriffen. Die Rivalität der beiden war auch der Hauptgrund für den objektiv absurden Grenzkrieg von 1998 bis 2000. Jetzt, da Meles tot ist und seine TPLF entmachtet, pflegen Isaias und sein Regime freundliche Beziehungen mit dem neuen äthiopischen Premierminister, Abiy, den Isaias schon zweimal besucht hat.

Dies könnte nun auch das Ende der Diktatur in Eritrea einläuten, so Wrong. „Nun, da die Grenze geöffnet ist, wird es für Isaias unmöglich sein, seinen autoritär und streng kontrollierten Staat gegen die Auswirkungen der sanften Revolution in Äthiopien abzuschotten“, meint Wrong. „Letztendlich werden die Änderungen auch auf Eritrea übergreifen, ob Isaias mitmacht oder nicht.“

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Zitat: „Ich denke, dass die Behörden ein wenig ratlos darüber sind, wie sie [...]reagieren sollen. Die Situation der Abschottung war jedem vertraut. Jetzt, da sie beendet ist, herrscht Verwirrung.“

    Die britische Journalistin und Eritrea-Kennerin Michela Wrong „heißt [womöglich auch] nur so“, wie sie heißt.

    Das Phänomen, auf das sie sich bezieht, ist jedenfalls aus anderen Weltgegenden bestens bekannt. Aus Deutschland, Südafrik oder Russland etwa. Behörden handeln (zumindest offiziell) nicht aufgrund von Meinungen, sondern auf Basis gesetzlicher Grundlagen. Diese aber entsprechen fast immer den Umständen, die zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung geherrscht haben. Ändern sich die Umstände, passen die Gesetze nicht mehr zur Realität. Die Behörden fühlen sich dann verwirrt. Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort der Fall, unverzüglich quasi.

    Im Fall Eritreas könnte ich mir vorstellen, war der gesamtgesellschaftliche Schock besonders groß, als nach Kriegsende die geschlagenen Italiener als Kolonialmacht durch Äthiopier abgelöst wurden. Die Italiener waren ja immerhin weiß. Die Äthiopier hingegen hatten eine ähnliche Hautfarbe wie ihre Nachbarn. Sie waren bloß nie kolonialisiert.

    Die Reaktion ist jedenfalls entsprechend brutal ausgefallen. Bis heute scheint das Trauma nachzuwirken. Dass sich mit einem Trauma schlecht regieren lässt, ist offenbar nicht aufgefallen. Kein Wunder. Traumatisiert waren andere (auch „weiße“) Regierungen schließlich ebenfalls. Erkennbare Konsequenzen haben sie daraus aber nie gezogen.

    Um so erstaunlicher nun die „Wende“. Offenbar hatten „die Eritreer“ ihre individuelle „Talsohle“ erreicht. Das Elend ist so groß gewesen, dass es so, wie bisher, unmöglich weiter gehen konnte. Bleibt zu hoffen, dass die Öffnung nun nicht umgehend missbraucht wird von den Nachbarn. Vielleicht, dass dann bald auch das elende Wehrdienstgesetz abgeschafft wird. Bliebe die Jugend im Land, hätte Eritrea eine echte Chance. Man müsste sie nur machen lassen...

    • @mowgli:

      Ihr letzter Satz ist richtig. Alles davor ziemlicher nonsense.

      Eritrea wurde 1991 nach 30 Jährigen Krieg unabhängig.



      Die Hälfte der Bevölkerung war geflohen oder tot und die verbleibende Hälfte war innerhalb des Landes von den Äthiopiern vertrieben worden. Trotzdem hatte der Staat einen sehr guten start, mit schnell wachsender wirtschaft & sehr guten Beziehungen zu den Nachbarn, inklusive Äthiopien & zum rest der Welt.



      In 1998 hat das wieder stabiliserte Äthiopien das 20mal kleiner Eritrea überfallen, ohne irgend eine reaktion der internationalen Gemeinschaft.



      Der Krieg wurde 2000 durch das Algiers Agreement beendet. In diesem wurde festgelegt, dass ein für beide Seiten bindender Schiedspruch einer Kommision den Grenzverlauf festlegt und diese demarkiert wird, garantiert von dem UN Sicherheitsrat & der Afrikanischen Union, begläubigt von den USA, Russland & der EU. 2002 erfolgte der Schiedspruch. Äthiopien hat die umsetzung der Entscheidung verhindert & immer wieder kleinere Militärische aggresion gestartet, wieder ohne reaktion der internationalen Gemeinschaft.

      Heute befindet sich Äthiopien selbst wieder in Aufruhe, teile des Staates sind unregierbar & es gibt Millionen von Opfern von ethnischer Gewalt. Der Staat steht kurz vor dem zusammenbruch. Die position gegenüber Eritrea war nichtmehr aufrechterhaltbar. Der neue Premieminister Abiy hat nichts neues getan, ausser einen 16Jahre alten Schiedspruch zu akzeptieren, wozu die UN Äthiopien schon viel früher hätte zwingen müssen. Eritreas reaktion war von beginn an gerechtfertigt, richtig & vorallem rational. Alle entscheidungen der Eritreischen Regierung in diesem Jahrhundert wurden getroffen um die existenz des Staates zu sichern, welche unter akuter Bedrohung durch Äthiopien stand.



      Anders als von ihnen angenommen, hatte Eritrea keine andere möglischkeit gehabt.

  • Zwei weiße Europäer, die nach selbst nach eigenen Angaben keine Ahnung von der politischen Lage in Eritrea haben, aber trotzdem meinen darüber bescheid zu wissen, weil sie nunmal weiße Europäer sind.

    Die gefühlte moralischie Autorität, die besonders links-liberale in der westlichen Welt täglich zeigen, ist nur schwer zu ertragen.