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Friedensprozess für LibyenIn der Sackgasse

In Libyen soll noch dieses Jahr gewählt werden, um den Krieg dauerhaft zu beenden. Doch Kriegsherr Haftar droht bereits mit einer neuen Offensive.

Soll das Land einen und im Dezember wieder abtreten: Abdulhamid Dbaiba, Chef der Übergangsregierung Foto: Yousef Murad/ap

Tunis taz | Die im Juni auf einer Libyen-Konferenz in Berlin sowie vom UN-Sicherheitsrat bekräftigten landesweiten Parlamentswahlen in Libyen sowie der geplante Abzug internationaler Söldner aus dem Land drohen zu scheitern. 75 von den UN bestimmte libysche Delegierte sollten in dieser Woche eigentlich ein Wahlgesetz und die Modalitäten der für Dezember geplanten Wahl beschließen. Doch das „Libysche Politische Dialogforum“ (LPDF) in einem Hotel in der Nähe von Genf endete nach hitzigen Debatten ohne Resultat.

Die aus verschiedenen Regionen und Gesellschaftsgruppen ausgewählten Libyer hatten im Frühjahr eine Übergangsregierung unter Abdulhamid Dbaiba ins Amt gewählt. Doch nun ist man sich über die nächsten Schritte auf dem Weg vom Waffenstillstand zu einem landesweit gewählten Parlament nicht mehr einig.

Während eine Fraktion zunächst einen Präsidenten wählen lassen will, sprachen sich andere für eine Parlamentswahl mit beziehungsweise ohne politische Parteien aus. Andere wiederum wollten die Libyer zunächst über einen Verfassungsentwurf abstimmen lassen. Die ethnischen Minderheiten ­Libyens lehnen diesen jedoch strikt ab und wehren sich gegen die Dominanz der arabischen Kultur und Sprache in dem multiethnischen 6-Millionen-Einwohner-Land.

26 Mitglieder des LPDF schrieben eine Beschwerde an die UN-Mission für Libyen (Unsmil), die in die Schweiz geladen und verschiedene Optionen zur Diskussion vorgelegt hatte. Die heftigsten Wortmeldungen, inklusive rassistischer Beleidigungen des ghanaischen Unsmil-Vize­chefs, gab es bei der Idee einer Parlamentswahl bei gleichzeitiger Verlängerung der Amtszeit der aktuellen Regierung unter Dbaiba.

Umstrittene Wahlen

Dbaiba soll in seiner bis Dezember laufenden Amtszeit die aufgelöste ostlibysche Parallelregierung und die Regierung in der Hauptstadt Tripolis vereinen und die für Dezember geplante Wahl vorbereiten. Doch nach der Vorstellung seines Kabinetts erwähnte er die Wahl im Dezember mit keinem Wort mehr. In Berlin hingegen drängten die internationalen Konferenzteilnehmer die libysche Delegation im Juni, die Wahl durchzupeitschen.

Doch gegenüber der taz äußerten sich Berater von Regierungschef Dbaiba skeptisch: „Wahlen gelten in diplomatischen Kreisen als Meilenstein im Übergangsprozess von einer Konfliktregion zur Demokratie“, sagte Abdelnasser al-Najah, „doch ohne die Etablierung von politischen Parteien werden dadurch eventuell nur die bestehenden Stammes- oder Milizenstrukturen verstärkt. Zudem benötigen Zivilgesellschaft und Politiker die Garantie von den internationalen Partnern (der libyschen Akteure, Anm. d. Red.), dass die Ergebnisse auch anerkannt werden.“ 2014 hatten Milizen aus Misrata und Tripolis die Ergebnisse der Parlamentswahl bestritten.

Das einwöchige Arbeitstreffen bei Genf zeigt, wie groß die Spaltungen in dem Land weiterhin sind. Delegierte berichten zudem von Bestechungsversuchen, Drohanrufen und Geheimabsprachen während der Genfer Gespräche. „Diese auf Geld oder Stammesbeziehungen basierenden Parallelabsprachen gefährden den Einfluss der Zivilgesellschaft und der Frauen auf den demokratischen Übergangsprozess in Libyen“, sagte Elham Saudi, Menschenrechtsaktivistin und LPDF-Mitglied, der taz am Telefon aus Genf.

Von Deutschland, einem der größten Geldgeber der UN-Mission für Libyen, fordern Aktivisten wie Saudi, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die sich Wahlen und dem Friedensprozess in den Weg stellen. Der ehemalige Leiter der libyschen Wahlkommission, Othman Gajiji, hält die Durchführung der Wahl im Dezember kaum noch für möglich und kritisiert den mangelnden Druck auf die libyschen Akteure.

Feldmarschall Chalifa Haftar ließ derweil bereits verkünden, er werde einen neuen Versuch starten, die Hauptstadt von Milizen zu befreien, sollte die Wahl nicht stattfinden.

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2 Kommentare

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  • Wie war das noch mal mit der "Verhinderung eines Massakers durch Ghaddafi an Zivilisten in Benghazi"? Ja, vermutlich hätte Ghaddafi mit eiserner Faust die Revolte platt gemacht und es hätte Hunderte, vielleicht sogar Tausende Tote gegeben. Davon abgesehen wäre das Land weiterhin politisch stabil, sozial ausgeglichen weil wohlhabend und, für arabische Verhältnisse, erstaunlich liberal (Gleichstellung) gewesen. Auch die Sahelzone hätte weiterhin von libyschen Ölmilliarden profitiert. Aber dank westlicher "Demokratisierungspolitik" ist das Land verarmt, instabil und defacto im Dauer-Bürgerkrieg und die Sahelzone wankt politisch auch bedrohlich. Und Tausende Tote gab es auch. Vielleicht zukünftig weniger "westliche Werte" und mehr weitsichtigen Sachverstand. DIE EU sollte weniger von den USA "lernen" - die haben trotz enormen Reichtums in 150 Jahren nicht mal ihre inneren sozialen und Rassenprobleme gelöst.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Holger Knaak:

      Das Land ist verarmt weil die Leute genug von Ghaddafi haben, der Bürgerkrieg ist eine direkte Folge seiner Politik das Volk in Gruppen zu spalten und diese gegeneinander aufzuhetzen, das gleiche mit Saddam und ihre Nonchalante Art über den tot von eher zehn- bis hunderttausender zu Reden nur damit Ruhe ist schon beeindruckend.

      Das Problem ist wie in überall genauso in Libyen ohne Bodentruppen ohne massive personelle Unterstützung bei dem Aufbau von funktionierenden demokratischen Strukturen und Truppen die einen Friedensprozess absichern hat es ein Land nach Jahrzehnten der Tyrannei schwer zur Demokratie zu wechseln. Aber in Deutschland fanden sich ja ab einem gewissen Zeitpunkt noch nicht einmal mehr Polzisten die man nach AFghanistan schicken konnte, von Richtern, Verwaltungsbeamten, etc. die es gebraucht hätte gar nicht zu sprechen.

      Das Blut von Europäern ist eine Zukunft anderer Völker in Würde und Freiheit nicht Wert wie mir scheint.