piwik no script img

Friedensnobelpreis für drei AkteureZu wenig, angesichts der Verheerung

Kommentar von Barbara Oertel

In der Ukraine hat der Preis schrille Töne ausgelöst. Das zeigt, ­wie grenzenlos der Hass sein muss, den Putins Krieg sät.

Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Nobel-Komitees verliest die Namen der Gewinner des Friedensnobelpreises Foto: NTB/reuters

D ass das Osloer Komittee bei der Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises nicht am Ukrainekrieg vorbeikommen würde, war absehbar. Deswegen ist die Auswahl der drei Geehrten aus Belarus, Russland und der Ukraine (folge)richtig.

Doch fast noch wichtiger und bemerkenswerter sind die schrillen Töne, die dieses Ereignis in der Ukraine begleiteten. In den sozialen Medien brach am Freitag ein Sturm der Entrüstung aus. Mit den beiden Nachbarländern Belarus und Russland wolle man nicht in einem Atemzug genannt werden – vor allem dann nicht, wenn in diesem Zusammenhang, wie in der offiziellen Begründung geschehen, Alfred Nobels Vision von Frieden und Brüderlichkeit bemüht wird.

Mag diese Reaktion auch die Meinung einer Minderheit und damit der üblichen Verdächtigen sein, so zeigt sie doch eins nur allzu deutlich: Die Verheerungen, die Russlands grausamer Angriffskrieg gegen die Ukraine im Verbund mit Belarus schon jetzt angerichtet hat, gehen tief. Wie ­grenzenlos muss der Hass sein, wenn er mit Ales ­Bjaljazki und Memorial auch diejenigen trifft, die bereits seit Jahrzehnten Diktatur und Unterdrückung mutig die Stirn bieten.

Das lässt für die Zukunft nichts Gutes hoffen und sollte auch von denjenigen zur Kenntnis genommen werden, die einer zügigen Aufnahme von Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau das Wort reden. Und das mit dem Ziel, den Krieg möglichst schnell ad acta zu legen und wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

Apropos Ales Bjaljazki: Wer redet heute, über zwei Jahre nach den wochenlangen Massenprotesten gegen die gefälschte Präsidentenwahl, noch von Belarus? Eben. Dabei geht der Terror von Alexander Lukaschenko gegen die Be­la­rus­s*in­nen ungebremst weiter. Vor allem Bjaljazki und seiner Gruppe Vjasna ist es zu verdanken, dass die zahlreichen politischen Gefangenen überhaupt ein Gesicht und, wenn auch nur noch begrenzt, Aufmerksamkeit bekommen.

Das Gleiche gilt für Memorial. Wer interessiert sich wirklich für diese Men­schen­recht­sver­tei­di­ge­r*in­nen der ersten Stunde, die bei ihrem Bemühen, die Verbrechen der Stalinzeit aufzuarbeiten, Pionierarbeit geleistet haben? Und die jetzt, wie so viele andere Menschenrechtsorganisationen in Russland auch, gnadenlos kalt gestellt worden sind.

Immerhin: Mit seiner Entscheidung hat Oslo den Preisträgern, die pars pro toto für viele Gleichgesinnte stehen, Aufmerksamkeit verschafft. Doch sich jetzt zurückzu­lehnen im Glauben, moralisch Gutes getan und den Ausgezeichneten Respekt gezollt zu haben, dazu gibt es wahrlich keinen Anlass. Denn das reicht nicht. Der Krieg in der ­Ukraine ist leider nur der beste Beweis dafür.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Eine gute Entscheidung aus Oslo!



    Der Friedensnobelpreis ist bedeutsam.



    Er ist keine "Tapferkeits-" und somit Kriegsmedaille.



    Leider ist der Frieden in letzter Zeit ein wenig unmodern geworden.



    Von rechts nach links wird nach Waffen geschrieen.



    Das Ziel scheint eher Sieg, statt Frieden zu heißen.



    Nur um das in Erinnerung zu rufen:



    Krieg ist Scheiße.



    Da sterben täglich Menschen, ohne Ansicht der Person, des Geschlechts oder Alters.



    Wahllos.



    Wer gegen die Todesstrafe ist, kann nicht mal behaupten Einer von Tausend hätte den Tod verdient.



    Wer gegen Friedensstifter spricht, hat sein Recht auf Solidarität verwirkt.



    Rassismus ist nicht zu Rechtfertigen.

  • Ist es wirklich "grenzenloser Hass" oder "Nationalismus" projezieren, oder einfach nur die traurige Erkenntnis teilen dass der Westen Osteuropa wieder in Schubladen packt...

    Ich finde alle drei Auszeichnungen klasse, aber die Frage die gerade in der Ukraine relevanter ist, ist vielleicht, welche Botschaft damit gesendet werden sollte diese drei Länder auszuwählen. Mein anfänglicher Take wäre gewesen "alle gegen Putin" aber der Take "aha, wir basteln uns also mal wieder einen postsowjetischen Block der Brüdervölker" ist schon auch berechtigt. Ein einziger syrischer Aktivist bei den Ausgezeichneten hätte diese Wahrnehmung schon aus der Welt geschafft... genauso wäre es für viele Ukrainer:innen wohl unproblematischer gewesen wenn es nur Memorial oder nur Bjaljazki gewesen wären.

    Es gäbe da noch einen potentiellen, russischen Friedensnobelpreisträger, Ruslan S. aus Irkutsk, auf den sich vermutlich alle Ukrainer:innen und friedensbewegten Russ:innen einigen könnten. Schade das ihm der Preis letztlich doch verwehrt blieb. Er bleibt Friedensnobelpreisträger der Herzen.



    meduza.io/en/featu...-in-irkutsk-region

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Facebook und Twitter meide ich auch. Da bin ich einig. Dennd ort gibt es viel Hass, Ausspionierung etc. - wie auch in den drei Ländern, aus denen die Geehrten kommen.



    Wie sind die Länder da hin gekommen? Wie sind wir in D ein großes Stück davon weg gekommen?



    Ich finde das Thema sehr schwierig.



    Der Hass wird nicht gesät. Gesät wird Leid, unfassbares, unsägliches Leid. Woran liegt es, wenn daraus Hass erwächst oder nicht? Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage durch diejenigen, die nach Wegen zum Frieden suchen, kann schon ein Schritt dahin sein. Ein unerlässlicher.

  • 》Mag diese Reaktion auch die Meinung einer Minderheit und damit der üblichen Verdächtigen sein [...]《 schreiben Sie - das ist zu vage!

    》Im Büro des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist die Auswahl der Friedensnobelpreisträger kritisiert worden. „Das Nobelpreiskomitee hat eine interessante Auffassung des Wortes „Frieden“, wenn den Friedensnobelpreis zusammen Vertreter zweier Länder erhalten, die ein drittes überfallen haben“, schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, am Freitag auf Twitter.

    Weder russische nochbelarussischeOrganisationen seien in der Lage gewesen, einen Widerstand gegen diesen Krieg zu organisieren. „Der diesjährige Nobelpreis ist „super““, ironisierte der 50-Jährige《 berichtet das RND hier is.gd/uiKN6j

    》Seit April 2020 ist Podoljak Berater vonAndrij Jermak, dem Leiter desPräsidialamts der Ukraine, und vertrat die Ukraine an denVerhandlungen mit Russland nach dem Überfall 2022.《 (Wikipedia)

    'Das Büro Selenskyjs, dieser Berater Vertreter der Ukraine mit Russland: wenn Sie Recht haben: 'die üblichen Verdächtigen' ja, 'die Meinung einer Minderheit' - nicht im Ernst, oder?

    》Wie ­grenzenlos muss der Hass sein, wenn er mit Ales ­Bjaljazki und Memorial auch diejenigen trifft, die bereits seit Jahrzehnten Diktatur und Unterdrückung mutig die Stirn bieten《 - wieder Zustimmung

    Aber 》Das lässt für die Zukunft nichts Gutes hoffen und sollte auch von denjenigen zur Kenntnis genommen werden, die einer zügigen Aufnahme von Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau das Wort reden. Und das mit dem Ziel, den Krieg möglichst schnell ad acta zu legen und wieder zur Tagesordnung übergehen zu können《 - das aber ist doch unhaltbar!

    So lässt sich z.B. dieser Beitrag hier is.gd/kTtxWE in der Taz sicher nicht auf den Punkt bringen!

    》Unfassbare Nonchalance

    Es muss mit Russland geredet werden. Wer die vollständige Rückeroberung der besetzten Gebiete propagiert, bewegt sich auf eine nukleare Eskalation zu.《

  • Was ist denn das für eine unsägliche Logik. Im ersten Teil will man noch zustimmend nicken, denn ja, es ist erschreckend, mit welchem Hass unsere Helden agieren (es war übrigens das Büro von Herrn Selensky & nicht irgendwelche Hinterbänkler & "üblichen Verdächtigen"), & dann sollen die daran Schuld sein, die sich für Friedensverhandlungen stark machen. Sollen wir also wegen des Hasses erst recht & noch mehr Krieg führen? Um noch mehr Hass zu schüren. Wie große muss der Hass der Twitter-Blase gegen die Besonnenen & menschlich Gesinnten sein, dass die software ihren Nutzer hier so einen Text daraus destillieren lässt. Einmal das selbständige Denken üben, möchte man da als Hausaufgabe mitgeben.

  • Ich warte noch immer auf einen Friedensnobelpreis für Snowden und Assange