Friedensgespräche für Syrien in Genf: Opposition will nun doch mitreden
Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura hat die Friedensgespräche für eröffnet erklärt. Das Assad-Regime stimmt Hilfslieferungen in belagerte Orte zu.
![MedienvertreterInnen und Kameras auf Stativen vor dem Völkerbundpalast in Genf. MedienvertreterInnen und Kameras auf Stativen vor dem Völkerbundpalast in Genf.](https://taz.de/picture/970414/14/GenfSyriengespraecheVoelkerbundpalast.jpeg)
Sein erstes Ziel sei es, die Gespräche am Laufen zu halten, sagte De Mistura. Zugleich mahnte er an, dass diese Runde anders verlaufen müsse als frühere, die scheiterten. An die 17 Staaten, die im November 2015 unter Führung der USA und Russlands in Wien einen Fahrplan für ein Ende des Konflikts ausgearbeitet hatten, appellierte De Mistura, mehr für einen Waffenstillstand in dem Bürgerkriegsland zu tun.
Die Gespräche hatten eigentlich bereits am Freitag begonnen. Doch das wichtigste Oppositionsbündnis, das Hohe Verhandlungskomitee (HNC), erklärte, nicht verhandeln zu wollen, bis die syrische Regierung das Bombardement von belagerten Rebellengebieten beende. Am Montag trafen sich dann aber doch Vertreter dieser Gruppe mit De Mistura. Ihre Toppriorität sei es, dass die „beispiellose“ Bombardierung der von Rebellen kontrollierten Vororte von Damaskus durch das syrische Regime aufhöre, sagte Komiteemitglied Farah Atassi.
HNC-Sprecher Salem al-Mislet übte nach dem Gespräch mit De Mistura scharfe Kritik an Russland, das seit September in Syrien Luftangriffe fliegt, um Präsident Baschar al-Assad zu stützen. „Es ist das Regime, das das syrische Volk tötet“ sagte er in Anspielung auf Moskau. Seit Russland seinem Verbündeten Assad militärisch hilft, konnte dessen Armee in den vergangenen Wochen Dutzende Städte und Orte erobern. „Das Regime in Russland wird einen neuen Hitler produzieren“, warnte er.
Schlaftabletten zum Stillen des Hungers
De Mistura nahm das Eintreffen der HNC-Delegation in Genf zum Anlass, die Friedensverhandlungen offiziell zu eröffnen. Die Gespräche mit Vertretern der Assad-Regierung und der Opposition sollen dem seit fast fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg ein Ende setzen und den Weg für einen politischen Neuanfang ebnen. In dem blutigen Konflikt wurden bisher mehr als 250.000 Menschen getötet. Unter anderem soll eine Übergangsregierung eingesetzt werden, die binnen 18 Monaten Neuwahlen organisiert.
Die syrische Regierung stimmte laut UN-Angaben neuen Hilfslieferungen in die belagerten Orte Madaja, Fua und Kfarja zu. Berichten zufolge leiden Hunderte Zivilisten in den drei Gemeinden unter fehlenden Nahrungsmitteln, manche sind demnach bereits verhungert, weil humanitäre Lieferungen bis vor rund drei Wochen blockiert worden waren.
Berichte über verhungernde Bewohner hatten das Augenmerk in den vergangenen Wochen vor allem auf Madaja gelenkt, das seit Monaten von den Truppen von Präsident Baschar al-Assad belagert wird und wo bis zu 40 000 Menschen ohne Essen und Strom ausharrten. Mitarbeiter von Hilfsorganisation berichteten, sie hätten ausgehungerte Menschen in Madaja gesehen, die Skeletten ähnelten. Kinder hätten kaum reden oder gehen können. Eltern hätten ihren Kindern Schlaftabletten gegeben, um ihren Hunger zu stillen. Fua und Kfarja wiederum sind schiitische Dörfer, die von Rebellen umstellt sind. Manche sollen hier Gras essen, um zu überleben.
Russland schickt neue Kampfjets ins Kriegsgebiet
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat die syrische Regierung aufgefordert, die Friedensgespräche in Genf durch eine humanitäre Geste zu erleichtern. „Wir erwarten, dass das Regime am Anfang der Verhandlungen wenigstens ein Zeichen setzt“, sagte Steinmeier am Dienstag in Rom, wo sich die aus rund 20 Staaten bestehende Kerngruppe der Anti-IS-Koalition zu Beratungen trifft. Nötig seien vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu zähle, dass die Regierung in Damaskus humanitären Zugang zu denjenigen gewähre, „die eingeschlossen sind in Syrien, die sich zwischen den Frontlinien befinden und keinen Zugang zu Nahrung und medizinischen Hilfsmitteln haben“.
Zugleich äußerte Steinmeier Verständnis dafür, dass es der Opposition schwerfalle zu verhandeln, während die Truppen des Regimes die Gebiete unter oppositioneller Kontrolle bombardierten und es dort weiter Tote gebe.
Unterdessen hat Russland für seinen Militäreinsatz in Syrien Kampfflugzeuge der jüngsten Generation in das Bürgerkriegsland geschickt. Eine nicht genannte Zahl von Su-35-Jets sei auf den Luftwaffenstützpunkt Hemeimim verlegt worden, teilte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums am Montag mit. Russische Medien berichteten von vier Jets. Offenbar sollen sie die Bomber eskortieren und den Abschuss eines russischen Kriegsflugzeuges wie im vergangenen November durch die Türkei verhindern.
Russland hatte solche Flugzeugeskorten eingeführt, nachdem ein Bomber an der syrisch-türkischen Grenze am 24. November von einem türkischen Kampfjet abgeschossen worden war. Moskau drohte daraufhin, jegliche künftige Bedrohungen für seine Kriegsflugzeuge mit Kampfjets und Langstreckenraketen von Hemeimim aus abzuwehren. Der abgeschossene Bomber hatte sich nach türkischer Darstellung zuvor im türkischen Luftraum befunden und auf Warnungen nicht reagiert.
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