Friedensaktivist über Waffenhandel: „Kriege lösen kein Problem“
Ein internationales Netzwerk gegen Waffenhandel – der Friedensaktivist Reiner Braun will so auch den deutschen Waffenexport transparenter machen.
taz: Herr Braun, mit „Global Net – Stop the Arms“ haben Sie ein Netzwerk gegen den internationalen Waffenhandel mitbegründet. Was wollen Sie erreichen?
Reiner Braun: Wir wollen weiterführen, was wir mit der Kampagne „Aufschrei“ angefangen haben: die gesellschaftliche Delegitimierung von Rüstungs- und Waffenexporten. Mit „Global Net – Stop The Arms“ wollen wir die Erkenntnisse der vielen internationalen Rüstungsexport-Gegner*innen bündeln. Das gab es vorher nicht.
Wie wollen Sie das tun?
Wir wollen den Opfern und Tätern des Waffenexports endlich ein Gesicht geben. Wir wollen aufdecken, welche Topmanager, Militärs und Politiker ihr Geschäft mit dem Tod machen – historisch und heute. Für uns sind dabei vor allem die Fälle interessant, in denen deutsche Waffen eine Rolle gespielt haben – und noch spielen. Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur der Welt.
Als Erstes haben Sie sich mit dem Völkermord an den Armenier*innen zwischen 1895 und 1916 beschäftigt. Warum?
Dieser Völkermord verdeutlicht, dass der deutsche Rüstungsexport eine sehr lange Tradition hat. Es waren deutsche Waffen, die dort gemordet haben, es waren deutsche Offiziere, die leitend mit dabei waren. Fast die Hälfte der Gewehre der türkischen Armee wurde 1895 von der Firma Mauser geliefert, gebilligt vom deutschen Kaiser. Es ging ja auch um viel Geld und hegemonialen Einfluss. 1912 hat die Firma Krupp mit Kanonen, Mörsern und Munition nach heutiger Kaufkraft zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro Gewinn gemacht.
Was hat das mit heute zu tun?
Mauser ist im Rüstungshersteller Rheinmetall aufgegangen. Am 8. Mai hält der wie alle großen Rüstungsfirmen seine Aktionärsversammlung in Berlin ab. Und raten Sie mal, wer nach wie vor treuer Kunde ist? Die Türkei und ihre Armee. Die Leopard-2-Panzer in Afrin sind aus deutscher Produktion. Auch die Bundesregierung liefert weiter in Kriegsregionen.
Der Waffenhandel lebt von der Diskretion. Wie schaffen Sie es, zu solchen Erkenntnissen zu kommen?
Reiner Braun, 65, engagiert sich seit den 1980ern in friedenspolitischen Organisationen. Seit 2013 ist der studierte Journalist und Historiker Co-Präsident des International Peace Bureau.
Es gibt Whistleblower, die bei der Aufarbeitung von Kriegen und Waffenexporten eine große Rolle spielen. Es gibt zum Glück immer Menschen, die irgendwann nicht mehr aushalten, was sie da machen. Ein Beispiel ist Daniel Ellsberg. Der Vietnamkrieg hätte wahrscheinlich länger gedauert, wenn Ellsberg die Pentagon-Papiere nicht enthüllt hätte. Auch wir haben in der Rüstungsindustrie Menschen, die uns etwas sagen. Zudem kann man vieles wissen, wenn man will. Das meiste, was dort geschieht, ist ja öffentlich. Die Berichte der großen Konzerne kann man alle lesen.
Haben Sie mal jemanden getroffen, der in der Rüstungsindustrie arbeitet?
Ja, etwa bei einer Podiumsdiskussion mit dem Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, übrigens ein ehemaliger sozialdemokratischer Staatssekretär. Ich diskutiere gern mit politischen Gegnern, persönlich sind sie mir aber zutiefst unsympathisch. Ich kann die Bilder vom Jemen nicht ausblenden, wo über Saudi-Arabien auch deutsche Waffen zum Einsatz kommen. Wenn mir dann jemand gegenübersitzt, der dieses Zeug geliefert hat und auch noch mehr oder weniger stolz darauf ist, dann frage ich mich schon, wie man da noch in den Spiegel gucken kann.
Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?
Keiner wird als Rüstungsmanager geboren. Auch dahin entwickelt man sich. Ich weiß nicht, ob es „das Gute“ im Menschen gibt, aber ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die sich für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit engagieren. Das stimmt mich optimistisch.
Viele Menschen haben trotzdem das Gefühl, dass die Welt schlechter wird.
Die Welt hat mehr Konflikte und Konfrontationen, ja. Das ist aber nicht nur mit dem bösen Willen von einigen vielleicht unfähigen Staatspolitiker*innen zu erklären. Wir erleben gerade eine Neuaufteilung der Erde unter neuen geostrategischen Konzeptionen. Die alte Supermacht USA ist schwächer geworden, andere Mächte wie Russland und China sind stärker. Zwischen diesen Mächten gibt es nun ein Ringen um hegemoniale Fragen: Wer hat das Sagen über die immer begrenzter werdenden Ressourcen dieser Welt? Um es platt zu sagen: Die alte Weltordnung ist untergegangen und die neue noch nicht erwachsen.
Die Rheinmetall-Hauptversammlung
Am Dienstag, den 8. Mai findet in Berlin die Hauptversammlung der Rheinmetall AG statt. Im Hotel Maritim sollen die Aktionäre ab 10 Uhr unter anderem Vorstand und Aufsichtsrat entlasten sowie über die Verwendung des Bilanzgewinns der Gesellschaft entscheiden. Vorgesehen ist daraus die Ausschüttung von Dividenden in einer Gesamthöhe von knapp 73 Millionen Euro.
Aus Anlass der Versammlung rufen verschiedenste Gruppen bereits im Vorfeld zu Protesten gegen Rheinmetall auf. Das Unternehmen steht insbesondere als Produzent des Panzers Leopard 2 in der Kritik, der wiederholt von der türkischen Armee gegen Kurden eingesetzt wurde. Wegen dieser Exportpolitik und der Auslagerung von Produktionsstätten mit dem Ziel der Umgehung internationaler Sanktionen beantragt der Dachverband Kritischer Aktionärinnen und Aktionäre, den Vorstand nicht zu entlasten.
Kundgebung „Rheinmetall entrüsten! Waffenexporte stoppen!“ 8. Mai, ab 9.00 Uhr, vor dem Hotel Maritim. Die Initiativen „Legt den Leo an die Kette“ und „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ schreiben in ihrem Aufruf: „Der Rüstungsbereich Rheinmetall Defence hat Niederlassungen und Tochtergesellschaften in 20 Ländern auf allen Kontinenten und tätigt rund 75 Prozent des Umsatzes mit Kunden im Ausland. Waffenlieferungen von Rheinmetall-Tochtergesellschaften richten weltweit Schaden an.“ (dk)
Wie behält man den Überblick?
Wenn wir als Externe einen Konflikt verstehen wollen, müssen wir uns sowohl offizielle Regierungspapiere als auch die Statements der Oppositionskräfte anschauen. Was dort steht, gleichen wir mit regierungstreuen wie -kritischen Medien und dem, was in den sozialen Medien berichtet wird, ab.
Zu welchen Erkenntnissen gelangen Sie dabei?
Kriege finden nicht statt, weil Menschen böse sind. Sie werden politisch entwickelt und sind gewollt. Politik kann diese Konflikte, die dem Krieg zugrunde liegen, auch anders – friedlich – lösen. Oder noch besser: schon vorher eindämmen. Eine moderne Friedenspolitik setzt auf Prävention und Peacebuilding, nicht auf militärische Interventionen. Moderne Sicherheitspolitik setzt auf komplette Abrüstung. Aus der Friedensforschung und den Evaluationen der Kriege wissen wir, dass Waffen Konflikte eher verlängern als sie einzudämmen. Kriege lösen kein Problem.
Laut Umfragen teilen 83 Prozent der Deutschen diese Einschätzung. Trotzdem geht für den Frieden niemand mehr auf die Straße.
Jede soziale Bewegung erlebt ihr Auf und Ab. Aber Sie haben recht, die Friedensbewegung ist zurzeit – zumindest was ihre Mobilisierung angeht – nicht mehr den Herausforderungen gewachsen, vor denen sie steht.
Woran liegt das?
Gegenüber den 1980er Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für die Friedensarbeit fundamental verändert. Als ich zur Universität ging, war das noch eine Kulturinstitution. Wir hatten viele Freiheiten, und es war geradezu erwünscht, dass man sich engagiert. Heute ist die Uni bestenfalls eine Paukinstitution. Die 6-Semester-Bachelor-Studenten haben kaum noch Zeit, sich für irgendwas zu engagieren! Das nur als Beispiel, wie der Neoliberalismus mit seiner Ellenbogenmentalität und seinem Individualismus die Rahmenbedingungen erschwert.
Frieden ist ja nun nicht irgendetwas.
Aber es wird für eine Bewegung schwierig, wenn es keine greifbaren Erfolge gibt, die das Engagement belohnen und beleben. In der internationalen Welt ist das aber leider schwierig und dauert mitunter Jahre.
Gibt es heute vielleicht andere Formen des Engagements?
Heute engagieren sich Menschen kurzfristiger, für ein Projekt, eine Aktivität, eine Herausforderung. Institutionen werden eher gemieden. Ihnen haftet etwas Gestriges an. Auch die Friedensbewegung ist für viele Menschen schon eine Institution. Wir haben viel zu spät erkannt, wie notwendig ein interner Transformations- und Verjüngungsprozess ist. Statt uns um Nachwuchs zu kümmern, haben wir alten Hasen einfach weitergemacht.
Sind Sie privat eigentlich ein friedlicher Mensch?
(lacht) Das müssen Sie andere fragen. Wie auf dem internationalen Parkett gilt aber auch im Privatleben: Man muss miteinander sprechen und Konflikte nicht hochkochen lassen. Und manchmal hilft es, zusammen zu feiern – am besten das, was man gemeinsam hat.
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