Friedensabkommen in Kolumbien: Ein Zimmer, sechs mal vier Meter groß
Sie lebten Jahrzehnte im kolumbianischen Dschungel und sollen nun zurück in ein ziviles Leben finden. Ein Fotograf hat Ex-FARC-Kämpfer portraitiert.
Erst Wälder und Berge und jetzt das: Ein Zimmer, sechs mal vier Meter groß, ein Fenster in einem Haus mit Gipskartonwänden. Ein Metallbett, eine Matratze und ein hüfthoher Metallschrank.
Nach über 50 Jahren bewaffnetem Konflikt haben die FARC-Guerrilleros ihre Waffen abgegeben. Seitdem leben die meisten von ihnen in Sammelunterkünften. Zwei Jahre lang bekommen sie staatliche Unterstützung: 90 Prozent des kolumbianischen Mindestlohns, etwa 230 Euro im Monat. Dazu ein Dach über dem Kopf und Zeit, um sich auf den zivilen Alltag vorbereiten.
Gut ein Jahr ist das Friedensabkommen der FARC-Guerilla mit der kolumbianischen Regierung alt. Nach 53 Jahren Krieg zwischen Staat und Paramilitärs haben etwa 7.000 FARC-Guerilleros, die größte Guerilla Kolumbiens, ihre Waffen abgegeben und eine Partei gegründet, um ihre Ziele politisch zu erreichen: Sie wollen die Ungleichheit in der Gesellschaft überwinden.
265.000 Menschen wurden in dem Konflikt ermordet, 60.000 gelten als verschwunden, 40.000 wurden entführt. Sieben Millionen Menschen wurden vertrieben.
Der Schmerz sitzt tief
Der Schmerz sitzt tief, bei Opfern wie Tätern, die teilweise selbst Opfer sind. Die Skepsis gegenüber den Ex-Guerilleros ist bei vielen Kolumbianern groß. Weniger als ein Prozent der Wähler stimmten bei der Parlamentswahl für die neue FARC-Partei. Das Demokratische Zentrum von Ex-Präsident Álvaro Uribe errang die meisten Stimmen.
Uribe war der schärfste Gegner des Friedensabkommens. Als Präsident hatte er die Guerilleros bekämpft. Gleichzeitig ließ die Armee tausende unschuldige Zivilisten verschwinden. Der neue Präsident Iván Duque, der im Juni gewählt wurde, hält das Erbe seines Ziehvaters hoch. Er hat bereits angekündigt, das Friedensabkommen verändern zu wollen. Viele befürchten, dass er den Friedensprozess abbricht. Die Unsicherheit und Angst unter den Ex-Guerilleros ist groß.
Schon vorher war das Vertrauen der ehemaligen Kämpfer in die Regierung erschüttert, weil diese ihren Teil des Abkommens nur schleppend umsetzte. So geht es bei der Landreform bisher kaum voran, nach der drei Millionen Hektar Land an Bauern verteilt werden sollen. Dasselbe gilt für das Land, das den Ex-Kämpfern versprochen wurde, um Häuser zu bauen und es zu bewirtschaften. Sie sollen von der Landwirtschaft leben, wenn in knapp einem Jahr die staatliche Unterstützung wegfällt.
Zu Besuch bei Ex-Guerrilleros
Nach dem Rückzug der FARC hat der Staat es nicht geschafft, die verlassenen Gebiete zu stabilisieren. Neo-paramilitärische Gruppen, FARC-Dissidenten und Drogenkriminelle haben dort die Macht übernommen. Seit einem Jahr wurden mehr als achtzig FARC-Mitglieder und Familienangehörige ermordet.
Ein Beispiel für die unklaren Verhältnisse ist auch die Sondergerichtsbarkeit. Sie sollte mehr als 6.000 Ex-Guerilleros, Polizisten und Soldaten, die Verbrechen begingen, mildere Strafen garantieren, wenn sie bei der Wahrheitsfindung kooperieren. Duques Abgeordnete haben kürzlich entscheidende Änderungen durchgesetzt. So darf die Sonderjustiz nicht mehr über die Auslieferung von mutmaßlichen Straftätern entscheiden – zum Beispiel an die USA. Außerdem sollen die Verfahren für Soldaten und Polizisten ein separates Gericht bekommen.
Vor einem Jahr wurden 26 Wiedereingliederungslager eröffnet, inzwischen haben zwei wieder geschlossen. In den Lagern sollen sich die FARC-Kämpfer auf das zivile Leben vorbereiten. Die Idee ist, dass die ehemaligen Kämpfer dort weiter in einer Gemeinschaft leben können und Projekte aufziehen, um sich den Lebensunterhalt zu sichern.
Vor diesem Hintergrund versuchen die ehemaligen FARC-Kämpfer, es sich in ihrem neuen Alltag einzurichten. Sechs von ihnen erzählen davon in dieser Bildwelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung