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■ Frieden in Nahost? Über ständig wiederkehrende Durchbrüche und die Kunst, das ganz Kleine ganz groß zu verkaufenMini-Fortschritte, Mega-Marketing

Mediengerechter hätte man sich dem Höhepunkt wohl kaum nähern können

Es ist vollbracht: Ein weiteres Papier im Nahost-Poker ist unterzeichnet. Das dazugehörige Szenario hat durchaus Unterhaltungswert, wenngleich es sich durch die ständigen Wiederholungen etwas abgeschliffen hat. Zunächst berichten die Medien vom bevorstehenden Verhandlungserfolg, dann vom unmittelbar bevorstehenden Durchbruch, und schließlich – trara, trara! – kommt dieser selbst, gefolgt von der Anreise der Zeremonienmeister, PLO-Chef, israelischer Ministerpräsident und US-Präsident oder Außenministerin, zum Höhepunkt: der pompös gestalteten Unterschriftszeremonie. Und dann – als Anitklimax – das große Aufatmen.

Zu diesem Zeitpunkt haben die meisten bereits den Überblick verloren und fragen sich: Worum geht es bei dem ganzen Nahostkonflikt eigentlich? Denn im Grunde genommen werden hier lediglich Minischritte abgefeiert. Es gibt wohl keinen Konflikt auf der Welt, bei dem so oft das vermeintliche Ende zelebriert wurde, ohne dass die eigentlichen Streitpunkte beigelegt wurden. Dank der Verkaufstaktik, das Ganze so lange wie möglich herauszuzögern, wird auch aus dem kleinsten Schritt meist ein großer. Die Zeremonienmeister selbst zögern niemals, dem allen den Stempel „historisch“ aufzudrücken. Ganz so, als sei nun endlich in der blutigen nahöstlichen Geschichte dieses Jahrhunderts der Punkt gekommen, an dem der Frieden ausgebrochen ist.

Wir erinnern uns an die Verhandlungen um den Teilrückzug der israelischen Armee aus Hebron. Dutzende, wenn nicht sogar hunderte Male hatten die Zeitungen und Agenturen monatelang den bevorstehenden Durchbruch verkündet. Nach dem „Durchbruch“ lag den 120.000 in Hebron lebenden Palästinensern im Januar 1997 ein Abkommen vor, in dem die israelischen Truppen lediglich versprachen, sich aus einem Teil ihrer Stadt zurückzuziehen. Den Rest hat die Armee zum Schutz der 400 in Hebron lebenden israelischen Siedler zur Garnison ausgebaut. Gefeiert wurde dennoch – nicht zuletzt dank der bewährten Taktik, Minifortschritte mit Megamarketing zu verbinden.

Gutes Markting war auch diesmal mit von der Partie. Da gerät schon einmal leicht in Vergessenheit, dass sich beide Seiten lediglich über ein Papier geeinigt haben, über das sie sich eigentlich schon vor fast einem Jahr geeinigt hatten. Ein Papier: zwei Feiern. Damals hatte man in den USA die Unterschrift zelebriert, dieses Wochenende im ägyptischen Rotmeer-Badeort Scharm al-Scheich. Unterschrieben hatte im Oktober letzten Jahres niemand anderer als Israels Hardliner Benjamin Netanjahu, wenngleich unter großem US-Druck. Damals wurde das Ganze als Notlösung angesehen, als absolut kleinster gemeinsamer Nenner, der Netanjahu abgerungen werden konnte. Durchgeführt wurde das Wye-Abkommen nie.

Für den aufgrund seiner Friedenspolitik gewählten Nachfolger Ehud Barak wäre es bei seinem Amtsantritt ein Einfaches gewesen, ein wenngleich unspektakuläres Signal zu setzen und einfach zu verkünden, dass das bereits unterschriebene Wye-Abkommen nun ohne weiteres Federlesen erfüllt werde. Aber das wäre vielleicht zu selbstverständlich gewesen, um aufzufallen. Stattdessen drängte Barak auf Neuverhandlungen – mit dem bewährten Szenario: einem Feilschen um einstellige Prozentzahlen bei der Frage, aus wie viel Territorium sich Israels Armee im Westjordanland zurückziehen soll, und um zweistellige Zahlen bei der Frage, wie viele palästinensische Gefangene entlassen werden sollen.

Das Ganze entbehrte nicht eines gewissen dramatischen Spannungsbogens mit nächtlichen Last-Minute-Verhandlungsrunden, künstlichen Ultimaten und schließlich einer zunächst verpatzten Unterzeichnungszeremonie im ägyptischen Alexandria, bei der die israelische und die palästinensische Flagge mangels angereister Unterzeichner wieder eingefahren wurden. Mediengerechter hätte man sich wohl kaum dem Höhepunkt nähern können. Doch dann kam sie, die Einigung über das, worüber man sich eigentlich schon zuvor verständigt hatte. Der Friedenspolitiker Barak hat sich im Wesentlichen verpflichtet, nun das zu erfüllen, was der Hardliner Netanjahu bereits unterschrieben hat. Der Friedensprozess ist wieder auf dem richtigen Weg, heißt es allerorten.

Wenn die Nebelkerzen erst einmal abgebrannt sind und sich der Zeremonien-Kater einstellt, dann wird wieder das Gesamtbild zum Vorschein kommen. Eigentlich hätte sich die israelische Armee laut dem Oslo-Abkommen vor dem Beginn der Endverhandlungen aus dem gesamten Westjordanland zurückziehen sollen, mit Ausnahme des Gebietes der israelischen Siedlungen, militärischer Sperrgebiete und Naturparks. Es liegt in der Natur der Sache, dass beide Seiten höchst unterschiedliche Interpretationen der Frage haben, wie viel Land das eigentlich beinhaltet.

Nach der ursprünglichen palästinensischen Lesart hätte sich Israel vor den Endverhandlungen aus 90 Prozent des Westjordanlandes zurückziehen sollen. Nach jahrelanger Taktik der beschränkten Schritte und der kleinen Häppchen befindet sich nun selbst nach dem neuen Abkommen immer noch über die Hälfte der Gebiete unter israelischer Kontrolle – ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für die palästinensische Seite, wenn jetzt die Endverhandlungen anstehen, bei denen es um die eigentlichen Knackpunkte, das Schicksal der israelischen Siedlungen, die Rückkehr der über drei Millionen palästinensischen Flüchtlinge, deren Nachkommen und den Status des von allen beanspruchten Jerusalem, gehen soll. Man kann sich vorstellen, dass diese Verhandlungen ziemlich schnell in der Sackgasse landen werden – mit oder ohne Barak. Denn bei diesen prinzipiellen Fragen wird wohl kaum eine Seite zum Nachgeben bereit sein.

Beide Seiten haben sich über das gleiche Papier geeinigt wie schon vor einem Jahr

Nicht umsonst wurden diese verzwickten Punkte im Oslo-Prozess bis zuletzt aufgeschoben. Sie sollten erst dann verhandelt werden, wenn beide Seiten gegenseitiges Vertrauen gewonnen hätten. Davon kann heute keine Rede sein. Bei dem ganzen Theater um Prozentzahlen, Abkommen, Zusatzabkommen und das Zusatzprotokoll zum Zusatzabkommen in der Interimsphase von Oslo ging es im Wesentlichen darum, für die Endverhandlungen so viel Verhandlungsmasse wie möglich in der Hand zu behalten. Jeder in israelischen Gefängnissen einsitzende Palästinenser und jeder von der israelischen Armee kontrollierte Quadratmeter Boden im Westjordanland wird dann gegen die wirklich großen Themen – Siedlungen, Jerusalem und Flüchtlinge – aufgerechnet werden können. Und: Unmittelbar vor den Endverhandlungen steht die israelische Seite im Verhandlungspoker als der eindeutige Sieger nach Punkten da.

Karim El-Gawhary

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