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■ Fremdenhaß und seine Symbolik dienen auch dazu, eine hierarchische Ordnung zwischen Männern und den Geschlechtern herzustellenSoldaten ohne Auftrag

Ende Oktober greifen im brandenburgischen Königs Wusterhausen drei Kurzhaarige in Bomberjacken einen Studenten aus Kamerun an. Als er um Hilfe ruft, ihm aber niemand beisteht, kehren die Schläger zurück und mißhandeln ihn erneut und verletzen ihn im Gesicht und am Körper. Seine Sprache bezeichnen sie als „richtiges Neger-Englisch“. Am gleichen Tag verhandelt eine Berliner Strafkammer gegen den Vertreiber von Nazimusik. Ein Vers der Gruppe „Volksverhetzer“ lautet: „Er liegt hilflos am Boden. Da nimmst du noch mal Anlauf und springst ihm in den Hoden.“

Die Tat zeigt: Die Gewalt ist männlich, und es handelt sich um Gruppengewalt. Es geht nicht um Bereicherung, nicht um Raub oder um einen aus Besitz oder Konsum abgeleiteten Statusgewinn. Es geht um die Verletzung von Körpern, um einen Prozeß der Einschüchterung, mit dem Männer andere Männer in Angst versetzen. Es geht um die Lust, das Opfer zu demütigen und zu erniedrigen.

Warum diese massenhaften Gewaltattacken auf Fremde in den letzten Jahren? Der Vorschlag, diese Gewalt als derb-ländliches brandenburgisches Männerarrangement zu interpretieren, greift zu kurz. Denn es geht nicht um Jugendrivalität – wir bewegen uns innerhalb von ideologisch-symbolischen Konstruktionen. Bekannterweise heizt sich das Klima zwangsläufig auf, wenn Menschen national polarisiert werden. Fast routinemäßig und systematisch erfolgen diese Attacken – mit Baseball- Keulen und Stiefeltritten werden am Boden Liegende traumatisiert. Um das zu verstehen, müssen wir uns die symbolische Dimension dieser Gewalt verdeutlichen.

Der Körper ist in aller Regel der eines männlichen Opfers. Er fungiert im wesentlichen als kulturelle Repräsentanz des ganz Anderen, des Fremden. Handelt es sich um einen schwarzen Körper, dann repräsentiert dieser zugleich noch die „mindere Rasse“.

Der Kampf gegen die Repräsentanten eines fremden Staates wird für gewöhnlich von Soldaten geführt. Die Meuten, die heute diese Menschenjagden veranstalten, stilisieren sich vielfach als Kämpfer, Fighter, als Soldaten. Ästhetische Artefakte beschwören diese Bedeutung: Bomberjacke, Springerstiefel, der blank rasierte Schädel der Rekruten oder Häftlinge. Kampfsport und Tätowierungen sind Zeichen des freiwillig durchstandenen Drills. Es sind Soldaten ohne Auftrag. Politik verwandeln sie in einen Kunstraum. Seine Substanz sind archaische Mythen – als könne Gewalt den gordischen Knoten der Probleme durchschlagen.

Im Selbstentwurf als Kämpfer oder Soldat erklärt sich der Täter bereit, für eine Sache zu verletzen, zu töten und zu sterben. Man bejaht die Gewalt, einschließlich der Erwartung ihres Scheiterns. Dieses Handeln dokumentiert sich in zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Akten. Für welche Sache er eintritt, kann variieren. Die Wünsche nach Größe und Macht tragen Namen wie: Nation, Deutschland, Heimat, die Rasse, die Frauen am Ort oder deutsche Arbeitsplätze oder „Fürstenwalde – dönerfreie Zone“. In der subkulturell-ästhetischen Sinnesumwandlung zum Kämpfer entzivilisiert sich der Mann, er macht körperliche und kulturelle Lernprozesse in sich selbst rückgängig, arbeitet Gefühle fort und senkt seine Schlaghemmung bis zur Tötungsbereitschaft ab. Und er stellt seinen eigenen Körper für Ideen und Interessen zur Verfügung. Das heißt, sein Körper fungiert in der symbolischen Konstruktion des Straßenkampfes als kulturelles Zeichen und verleiht den dort vertretenen Ideen körperliche Präsenz. In der Wirklichkeit der Gewalt erfüllt er seine rassistischen Behauptungen.

Verletzen oder gar Töten ist damit keine Auseinandersetzung in einem Streit zwischen zwei Personen. Verletzungen des Opfers dienen vielmehr dazu, die Idee der Überlegenheit in der materiellen Welt aufzuzeigen. Es geht in diesen Schlägereien nicht darum, eine Entscheidung zwischen zwei Kontrahenten herbeizuführen. Im verletzten Körper soll die Repräsentanz des Nichtdazugehörenden, der anderen Nation, der fremden Kultur oder Ethnie zerstört werden. Die Gewalt soll den Körper und die Kultur in diesem Menschen zerstören. Das Opfer wird ganz auf seinen schmerzenden Körper reduziert, in ihm wird versucht, alles auszulöschen, was ihn zum Menschen macht.

Deshalb löst die Verletzung des anderen auch kein Mitleid aus. Vieles daran ist in fataler Weise zeitgemäß – der Verzicht auf Empathie, die Suche nach extremen Gefühlen, die rücksichtslose Durchsetzung des Ichs, verbunden mit Größenvorstellungen, die gegen die Gesellschaft gerichtet sind. Die teilnahmslos wortkarge Erklärung für die Tat lautet lapidar: Der Fremde ist selber schuld, was kommt er auch hierher, wo er nichts zu suchen hat.

Diese Auffassung bindet sich an das Prinzip Nation. Die deutsche Nation erscheint in diesem Denken als fundamental gefährdet – durch Zuwanderung, Vermischungen, finanzielle Ausbeutung, durch ihr beschädigtes Geschichts- und Volksbewußtsein. Nation ist dabei die Metapher für ein unbeugsames Ich, das sich mit den Idealen von Treue, Mut und Männlichkeit motiviert. Hier kommt die Politik der Straße zum Tragen, die den Interessenkampf ganz bewußt außerhalb der Institutionen führen will.

Aber diese Gewalt zielt nicht nur gegen den Körper des Fremden, auch sein Eigentum ist gemeint. So wie jüdische Friedhöfe als Symbole jüdischer Kultur geschändet werden, gehen Döner- Buden oder ein China-Restaurant in Flammen auf. Die Botschaft ist klar: Symbolisch wie real wird der fremden Kultur das Aufenthaltsrecht verwehrt.

Auch der Körper der fremden Frau ist gemeint. Die verbalen Angriffe auf Frauen zielen darauf, den Frauenkörper der anderen zu beschmutzen. Die Frau symbolisiert den Volkskörper – indem man die Frau beleidigt, beleidigt man das andere Volk und insbesondere dessen Männer, die als schwach und impotent erscheinen, weil sie ihre eigenen Frauen und Töchter nicht schützen können. Der andere Mann wird entmännlicht. Daher die Kastrationsphantasien, die dem anderen Mann gelten (s.o.: „nimm Anlauf und spring ihm in den Hoden“), andererseits aber auch die Angst vor Impotenz. Die fremden Männer gelten als sexuell aggressiv, sie verführen die eigenen Frauen. Darüber wird potentiell die biologische Reproduktion des gesamten Kollektivs als bedroht angesehen. Diese Bedrohungsphantasie findet ihren Niederschlag in kollektiven Angstbildern vom „schwarzen Verführer und Vergewaltiger“, der sich eine Grenzüberschreitung zuschulden kommen läßt und damit die eigene Gruppe attackiert.

Der weibliche Körper ist ein soziales Territorium, das markiert, verteidigt und erweitert wird. Beispiele dafür sind zahlreich. Mädchen und Frauen, die mit einem Fremden befreundet sind, werden diskriminiert, ihr Verhalten gilt als unzulässige Schmälerung des lokalen Heiratsmarktes. So ziehen die Täter Grenzen der Gemeinschaft, sie entscheiden, wer legitimen Zugang zum charismatisch-sexuellen Zentrum der Eigengruppe hat, und etablieren so Wir-Gruppen entlang rassistischer Ein- und Ausschlußkriterien.

Wir neigen alle dazu, Gewalt als destruktiv und nihilistisch zu betrachten. Die nähere Analyse zeigt aber die Ordnungsleistung von Gewalt. Gewalt schafft in komplexen, widersprüchlichen und unübersichtlichen Situationen eindeutige, unsubtile, geschlossen-undurchlässige Markierungen, simple Schemata, die von vielen verlangt werden. So wird eine deutliche Ordnung zwischen Männern und den Geschlechtern hergestellt.

All das zeigt: Die rassistische Gewalt ist weniger ein für schwere soziale Krisen charakteristischer Verfall von Moral, sondern vielmehr Symptom einer sich verbreitenden Gegenmoral entlang eines extremen Ingroup-Outgroup- Denkens. Die oft gehörten Slogans enthalten ein komprimiertes Kulturkampfprogramm: „Ausländer nehmen uns die Arbeit und die Frauen weg.“ Das legitimiert Gewalt als Notwehr. Derartiges Verhalten spiegelt keineswegs blanke Willkür und Unmoral, sondern im Gegenteil einen „moralischen“ Rigorismus, der, an Regungen des vermeintlichen Mehrheitswillens anknüpfend, sich als Verteidiger legitimiert und doch eine vollständige Uminterpretation ziviler Werte zum Ziel hat. Rainer Erb

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