: Freispruch in Sachen „Gurke“
Der Organisator einer linken Demo, Roman R., wehrt sich gegen zwei Strafurteile wegen Polizisten-Beleidigung und beweist, dass Uniformierte vor Gericht nicht unbesiegbar sind

Aus Osnabrück Harff-Peter Schönherr
Roman R.* weiß, wie es sich es anfühlt, vor Gericht zu unterliegen. Zwei amtsgerichtliche Strafrechtsurteile waren gegen den Osnabrücker ergangen. Beide Male hatten Polizisten ihn angezeigt. Beide Male hatte die Staatsanwaltschaft Handlungsbedarf gesehen – und mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Das wollte R. nicht auf sich sitzen lassen – und er wehrte sich.
Mitte 2024 hatte R. sich als Zuschauer einer Gerichtsverhandlung im Vorbeigehen an mehreren Polizisten mit dem Mittelfinger die Brille hochgeschoben: 40 Tagessätze Geldstrafe zu 30 Euro. Ebenfalls Mitte 2024 soll er als Anmelder einer linken Demo Polizisten als „Gurken“ bezeichnet haben: 30 Tagessätze zu 30 Euro. Den Mittelfinger erklärt er als unabsichtlich, als unbemerkt. Statt „Gurken“ habe er „Gurke“ gesagt, bezogen auf ein Polizeifahrzeug, das durch die Demo fuhr.
R. geht in Berufung, vor das Landgericht Osnabrück. Das zieht beide Verfahren zusammen und investiert zwei Verhandlungstage. R. bringt sich intensiv ein, fragt und hinterfragt, spürt Logikbrüchen nach, ficht gegen das, was er als „Framing der Polizei“ empfindet. Ruhig tut er das, sachlich. So treten auch seine Entlastungszeugen auf.
Teils nimmt die Beweisaufnahme skurrile Züge an. „Um zu beweisen, dass ihr Einsatzfahrzeug zu modern ist, um als Gurke bezeichnet werden zu können, ich also Personen gemeint und deshalb den Plural verwendet haben muss“, habe die Polizei „Fotos vom Auto mitgebracht“, schüttelt R. den Kopf.
Am Dienstagnachmittag fällt das Urteil. Es umfasst eine Niederlage für die Polizei und die Staatsanwältin, die R. in ihrem Schlussplädoyer vorgeworfen hatte, von ihm gehe „Feindseligkeit“ aus: Freispruch in Sachen „Gurken“. Das sei selbst dann nicht strafbar, „wenn es sich so abgespielt hätte wie von der Polizei geschildert“, sagt die Strafkammer. Ein „strafwürdiger und strafbedürftiger Ehrangriff“ liege nicht vor. Das Mittelfinger-Urteil ließ die Kammer allerdings bestehen.
R. bezeichnet das Urteil als „Teil-Triumph“: „Es zeigt, dass es sich lohnt, sich zu wehren“, sagt er der taz. Ob er wegen des Mittelfingers weiterficht, vor dem Oberlandesgericht Oldenburg, weiß er noch nicht. Die „Feindseligkeit“ der Staatsanwältin bezeichnet R. als „politisch motivierten Begriff“.
Am ersten Verhandlungstag der Berufung, Ende April, hatte der halbe Saal voller Polizei gesessen. „Die starke Polizeipräsenz unter den Zuschauern hat auf mich wie eine Einschüchterung gewirkt“, sagt Julian*, eine mit R. „solidarische Person“ der taz. Die beiden als Zeugen geladenen Polizisten seien „angespannt, patzig und konfrontativ“ gewesen.
„Ein Polizist hat gegenüber dem Beschuldigten den Mittelfinger gezeigt und ihm eine dämliche Kusshand zugeworfen“, erzählt Ella*, eine weitere mit R. „solidarische Person“, die bei der Verhandlung dabei war. „Da ist mir alles aus dem Gesicht gefallen.“ Das Verhalten der als Zeugen und Zuschauer anwesenden Polizisten bezeichnet sie als „anmaßend und unhöflich“, als „ziemliche Shitshow“: „Einer von ihnen hat sich mit seinem Stuhl so breit gemacht, dass ein Entlastungszeuge nicht an ihm vorbeikam.“
Am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag im Berufungsverfahren, ist davon nichts zu spüren. Nur ein einziger Polizist ist da, als Zeuge. Saal 1 ist trotzdem überfüllt – Dutzende Sympathisanten erleben den Teil-Freispruch von R. mit. Viele kommen früh, warten dicht vor der Tür. Man rechnet offenbar damit, dass wieder viel Polizei auftaucht; Einlass ist nach Ankunftsreihenfolge.
Das gilt auch für die Presse. Der Vorsitzende Richter des Verfahrens habe „keine gesonderte Platzzuweisung verfügt“, teilt Christoph Willinghöfer, der Sprecher des Gerichts, der taz mit. Da hilft nur: langes Warten vor dem Saal.
Roman R., Angeklagter
Sympathisantin Ella* hatte die Bestätigung der doppelten Verurteilung befürchtet: „Als linke AktivistInnen sind wir Repressionen ja gewöhnt.“ Ihre Skepsis hat sich dieses Mal nicht bewahrheitet. Julian* hatte gehofft, „dass sich in der Berufung irgendwann der gesunde Menschenverstand durchsetzt“. Sein Optimismus war nicht umsonst.
Die Frage ist nun: Wie wirkt sich der „Gurken“-Freispruch auf kommende Demos vor Ort aus? Hat R. es nächstes Mal als Organisator leichter? Schwerer? Man wird sehen.
* Namen geändert
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