„Freiheit statt Angst“-Demo in Berlin: Und Pofalla sagt, wann Schluss ist
Tausende demonstrieren in Berlin gegen Überwachung. Ein Pofalla-Double erklärt mal wieder alles für beendet. Nur welche Partei wirklich aufklären will, bleibt offen.
BERLIN taz | Sie stehen schön am Rand, sind aber auch dabei, die Parteien. Die Grünen haben große Luftballons, die über der Menge schweben. „Meine Freiheit ist unanzapfbar“, steht darauf. Dann kommt ein Wagen der Linkspartei. Ihre Luftballons sind kleiner und schweben etwas tiefer. Und dort die Piraten. Sie haben weniger Luftballons, aber mehr Fahnen. Bekennende Sozialdemokraten gibt es hier nur so ein paar. Und Junge Liberale eher wenige.
Das war ja einmal die Streitfrage der Organisatoren: Soll die große „Freiheit statt Angst“-Demonstration 2013 wirklich noch so knapp vor den Wahlen stattfinden? Instrumentalisiert das nicht auch?
Am Samstagnachmittag in Berlin ergibt sich ein ganz anderes Bild. Besonders emanzipiert sieht es im letzten Viertel des Demonstrationszuges aus: Da fährt ein Wagen der Antifaschistischen Linken Jugend – und ihre Sprecher machen sich gewillt darüber lustig, wie brav der versammelte Parteienblock direkt hinter ihnen mitmarschiert. „Wir können uns auf alles verlassen – nur nicht auf diese Fahnen schwenkenden Möchtegernpolitiker hier hinter uns.“
Politiker und Möchtegernpolitiker reagieren souverän, mit Buh-Rufen und ein paar Rettungsparolen. Schöne Stimmung also, nicht zu affirmativ.
10.000 plus
Mindestens 7.000 Menschen beteiligen sich am Samstag nach taz-Schätzung an der Großdemonstration gegen Überwachung in Berlin, die Veranstalter sprechen großzügig von 20.000 TeilnehmerInnen. Berücksichtigt man die langen Kundgebungen vor und nach der Demo dürften sie ihr Sollziel – „10.000 plus“ – erreicht haben.
Auffällig bunt und kreativ sind die Demonstranten, unter ihnen auch viele ältere Menschen, die dem Aufruf der dutzenden Organisationen gefolgt sind. Ihr Hauptanliegen: Noch vor der Bundestagswahl die vielen Überwachungsskandale zu thematisieren, die durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen beherrschten.
Lustiges Original, etwas pappiges Abbild
Es gibt einen Gast, der unter ihnen besonders gern gesehen ist: Witzfigur Ronald Pofalla. Das lustige Original, seines Zeichens Kanzleramtsminister, bemüht sich seit Wochen, die Überwachungsaffäre offiziell für beendet zu erklären. Sein etwas pappiges Abbild ist hier in Berlin der Beender vom Dienst. „Es ist alles in Ordnung“ steht groß auf seinem Schild. Und dann ruft der Mann mit dem Pofalla-Pappgesicht immer wieder: „Ich erkläre diese Demo für beendet.“
Es gibt an diesem Samstag sogar so etwas wie eine Wahlbekundung. Kai-Uwe Steffens vom AK Vorrat steht auf der Bühne am Berliner Alexanderplatz und ruft: „Wir wollen Politiker, die diese Affäre aufklären, denen Verfassungstreue nicht immer erst vom Gericht in Karlsruhe beigebracht werden muss. Nur solche Politiker werden wir wählen. Denn“, ruft er, „wir wählen: Freiheit statt Angst.“
Das war gut gesagt, aber jetzt kommt natürlich die Entscheidung: Was heißt das denn dann? Die mit den großen Luftballons? Die mit den kleinen? Oder die mit den Fahnen? Ach, scheiße.
Leser*innenkommentare
woling61
Gast
Alles Gute und weiter so im Widerstand gegen Erscheinungen des Totalen Staates, gegen Totalitarismus. Das Bewusstsein über diese Probleme darf nicht nur in den Köpfen des Massen existieren - es muss sich durch mehr Courage eine Massenbewegung etablieren.
Siehe auch www.totalerstaat.wordpress.com
Zypresse
Gast
Wie schade, was für ein flacher Bericht uber die FSU in Berlin!
Hans Cousto
Gast
"Mindestens 7.000 Menschen beteiligen sich am Samstag nach taz-Schätzung an der Großdemonstration gegen Überwachung in Berlin ..."
Gute Schätzung der taz. Wir zählten beim Hackeschen Markt Ecke Dircksenstraße 6.500 und in der Rosenthaler Straße Ecke Neue Schönhauser Straße 7.300 Personen. Solche Zählungen liegen im Bereich +/- 10 bis 15 Prozent.
Padeluun wollte nicht, wie er vor der Demo im Gespräch betonte, dass wir die Ergebnisse unserer Zählung öffentlich bekannt geben. Hat Padeluun Angst vor der Freiheit der Information?
Mit einem internetten Gruß, Hans Cousto
Gast
Gast
Welche Luftballons oder Fähnchen man dann wählt lässt sich ganz wunderbar mit den Wahlprüfsteinen überlegen, die der AK Vorrat veröffentlich hat und die auch am Stand aushingen. Die fielen hier wohl der Pointe zum Opfer.
Uwe
Gast
Ich nehme die mit den Orangen Fahnen ,da gibts nichts zu überlegen.
Hauke Laging
Stellt Euch vor, es ist eine große Anti-Überwachungsdemo in Berlin, auf deren Reden u.a. gesagt wird, wie wichtig Verschlüsselung sei und dass nur wenige wirklich Ahnung davon hätten – aber wenn einer der wenigen mit wirklich Ahnung von der Materie am Rand der Kundgebung gut sichtbar Flyer und Aufkleber für ein hochwertiges Schulungsangebot verteilt, dann interessieren sich 90+% der Leute nicht dafür? Hä? Demo-Touristen?
http://www.crypto-fuer-alle.de/
vic
@Hauke Laging Sieh`s doch ein. Es nutzt nichts. Heute verschlüsselt-morgen geknackt.
volatile
Starke Verschlüsselung kann nicht geknackt werden.
Das Sicherheitsproblem besteht vor und nach dem Verschlüsseln. Daher konzentriert sich der NSA ja auch darauf direkt beim Cloud-Anbieter die Daten abzugreifen bzw. Software-Hersteller zum Einbau von Hintertüren zu zwingen (beides unter hoch bestrafter Schweigepflicht, siehe Lavabit). Die gesetzliche Verpflichtung diesem Folge zu leisten (und zudem die Maulkorbpflicht) gehört abgeschafft! Deswegen klagen ja auch gerade Google+Microsoft gegen die US-Regierung, weil sie zurecht eine Abkehr von US-Diensteanbietern fürchten.
Hauke Laging
@vic So, so. Und das behauptest Du gegenüber dem Kryptografieexperten und der Öffentlichkeit mit welcher Autorität oder welchen Quellen? IT-Sicherheit ist wirklich nichts, worüber man sich äußern sollte, wenn man kaum Ahnung davon hat.
Simon Arbitrage
Gast
Die Demonstration ist leider irrwitzig, da man bereits in der Vergangenheit als Liberaler angepöbelt oder angegriffen wurde. Zudem ist das ferne und einfach gebildete Berlin kein geeigneter Ort.
Wenn man die gesamten Leute sieht, die da mitlerweile die Masse stellen, fragt man sich, ob die für konsequente Freiheit oder ihre Interpretation von eingeschränkter Freiheit und Gesellschaft eintreten.
reni
Gast
Die mit großen Luftballons nicht, denn die stellten bereits einen Außenminister und wussten daher selbstverständlich Bescheid. Hielten es aber nicht für nötig, uns zu informieren. Oder war ihnen das durch alliierte Gesetze untersagt? Dann wäre es noch viel nötiger gewesen, uns darüber aufzuklären. Warum sollten sie zukünftig anders handeln?
Die mit den kleinen Fahnen sind immerhin im Bundestag sowie in einigen Landesregierungen. Sie wurden zwar von den etablierten Parteien nach Kräften von sensiblen Bereichen ferngehalten, aber dass sie gar kein belastbares Material zum Thema zu Gesicht bekamen? Unklar.
Die mit den Fahnen waren bisher nicht in den einschlägigen Gremien vertreten und sind erst seit kurzem in einigen Landesparlamenten. Und Transparenz, Datenschutz und Wiederherstellung von Demokratie sind dort Kernthemen. Auf die seit Snowdens Veröffentlichungen gefühlt dutzende Steilvorlagen gegen die etablierten Parteien kam allerdings nicht viel.
Es geht ja bloß darum, ob unsere sogenannte Demokratie wenigstens teilweise noch eine ist, oder ob unsere Regierung ihre Marschroute und Teile des Grundgesetzes weiterhin von woanders diktiert bekommt.
Wenn das die Parteien nicht interessiert, dann brauchen wir sie nicht.
ppffm
Gast
> Die mit den großen Luftballons? Die mit den kleinen?
> Oder die mit den Fahnen?
Na jedenfalls nicht die, die erst gar nicht erschienen sind.