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Freihandelsabkommen auf der KippeJuncker fordert Treueschwur zu TTIP

Der Chef der EU-Kommission sorgt sich um das Abkommen mit den USA. In Deutschland streitet sich die Bundesregierung.

Der Protest gegen TTIP ist groß. Deshalb macht die EU-Kommission jetzt Druck Foto: ap

Berlin taz | Wer ist schuld an den schleppenden TTIP-Verhandlungen mit den USA? In einem ungewöhnlich unfreundlichen Briefwechsel schieben sich Europäer und Amerikaner gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Junker spielt mit: Er fordert einen Treueschwur aller 28 Mitgliedstaaten zu dem umstrittenen Freihandelsabkommen.

Beim nächsten EU-Gipfel Ende Juni werde Juncker darum bitten, dass das TTIP-Verhandlungsmandat für die EU-Kommission bekräftigt wird, sagte sein Chefsprecher am Montag. Die Behörde sei weiter davon überzeugt, dass die Gespräche mit den USA noch 2016 abgeschlossen werden könnten.

Indirekt kritisiert Juncker damit Deutschland und Frankreich, wo immer mehr Zweifel an einem schnellen Ende der Verhandlungen laut werden. In Berlin hat sich sogar Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) von Kanzlerin Angela Merkel abgesetzt.

„Es war falsch, dass die Bundeskanzlerin im Überschwang vor dem Obama-Besuch in Deutschland gesagt hat, wir können die Verhandlungen in jedem Fall in diesem Jahr abschließen“, hatte Gabriel am Wochenende gesagt. Es sei unklar, ob es sich überhaupt lohne, mit den USA weiter zu verhandeln. Das Kanzleramt sprach am Montag erneut, von einem „zügigen Abschluss der Verhandlungen“ bis Ende 2016.

Frankreichs Staatspräsident François Hollande drohte sogar mit dem Aus von TTIP. Frankreich lehne das Abkommen „in diesem Stadium“ ab, sagte er. Sein Land werde niemals akzeptieren, dass zentrale Prinzipien „für unsere Landwirtschaft, unsere Kultur, für wechselseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen“ infrage gestellt würden.

Die EU-Kommission verhandelt im Auftrag der 28 Mitglieder. Handelskommissarin Cecilia Malmström hatte sich wiederholt beschwert, dass sich die Staaten nicht genug für TTIP einsetzen würden. Das will Juncker nun offenbar ändern. Allerdings glaubt der Luxemburger wohl selbst nicht mehr so recht an Fortschritte bei den Verhandlungen. Dies geht aus einem Mailwechsel hervor, über den das Onlineportal Politico berichtet. Demnach hat die EU-Kommission eine Mail an die Botschafter aller 28 EU-Staaten geschickt, in der sie den USA mangelnde Kompromissbereitschaft vorwirft. Vor allem im Agrarbereich würden sich die Amerikaner nicht bewegen.

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19 Kommentare

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  • Luxemburg ist ein Land der Banken.

    Der ausgebildete Jurist Jean-Claude Junker, ehemaliger Finanzminister und Premier kann natürlich die Frage der Schiedsgerichte hautnah beurteilen. Als Umrechnungs-Platz für Konten ausländischer Fonts ist Luxemburg der ideale Ort für Finanz-Transaktionen. Praktisch alle Banken der Welt, ähnlich wie Zürich können die Kapitalströme dort mit grossem Gewinn unterbringen. In meinen Augen ist Luxemburg die Schweiz Europas.

    Wenn Jean-Claude Junker jetzt sein Prestige für das TTIP einsetzt, ist es wahrscheinlich der Versuch, das Abkommen irgendwie durchzubekommen, auch im eigenen Interesse.

    Zu den Schiedsgerichten in Deutschland gibt es einige gravierend Unterschiede zu den im Ausland stattfindenden:

    Für Kapital-Firmen ist das Schiedsgericht eine Institution, die es vertraglich ermöglicht, unabhängig von Zivil-Gerichten, mit den Vertragspartnern zu einer Einigung zu kommen.

    Meistens wird der Kapitalgeber bevorzugt, denn er kann im laufenden Verfahren die Weichen im Unternehmen (Orte, Produktionsabläufe etc.) und Verwaltungen inclusive der bevorzugten Manager umstellen. Dadurch wird der andere Partner geschwächt. Kommt es zum Urteil - Der Vorsitzende (meistens ein anerkannter Richter) - gibt den Ausschlag wegen der ungeraden Zahl der Anwälte von Kläger und Beklagtem.

    Jetzt kommt der Unterschied: Das Urteil muss von der regulären Justiz bestätigt werden. Sonst landet der ganze Prozess bei einem ordentlichen Gericht und durchläuft die üblichen Instanzen bis zum Bundesgerichtshof!

  • Die Sache mit dem "Treueschwur" ist sicher mehr satirisch gemeint. Aber (auch wenn es im Bericht nicht angedeutet wird) daß da diverse Lobbyisten Lemmingegleich an einen Endsieg glauben, halte ich schon für möglich.

  • Sorry, aber dem Herrn Gabriel nehme ich weder seine Merkel-Kritik noch sonst irgendetwas in Zusammenhang mit TTIP ab. Wer sich so arrogant über Basisbeschlüsse der eigenen Partei hinwegsetzt und dafür von jeder jämmerlichen Parteibasis nicht mal bestraft wird, wer so eine Doppelzüngigkeit an den Tag legt und die eigene Wählerschaft als hysterisch bezeichnet, wer Bürger lieber beleidigt anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen, der hat für mich sowieso schon lange jegliche Legitimation als Politiker verloren. Gleiches gilt auch für den Nebelwerfer Schulz und natürlich auch für Steuerparadiesvogel Junker.

    Und Politiker wundern sich über EU-Kritische Haltungen und Politikverdrossenheit?

  • Wie war das doch mit Treue und Ehre in brauner Vorzeit ? Mit dem unsäglichen Begriff "Treue" wollen Junker und Merkel die EU-Staaten auf den neoliberalen Durchmarsch der Großkonzerne verpflichten. Man fühlt sich an militärische Treuegelöbnisse erinnert ; nur sollen diesmal die gewählten Regierungschefs von 28 demokratischen Staaten strammstehen und sich rückhaltlos zu unserem realen Regenten "Freier Markt" bekennen und ihm die Tore zu einer neuen Dimension von Gewinnmaximierung weit aufmachen.

     

    Diese beiden wichtigsten Politiker Europas trauen sich nicht einmal, die vielen Bedenken zu TTIP und CETA zur Kenntnis zu nehmen , die vor den verschlossenen Türen, aber auch am Verhandlungstisch selbst aufgekommen sind

     

    Wenn diese beiden Staatslenker mitten in der größten EU-Krise nichts anderes zu tun haben, als jetzt noch schnell die marktradikale Ideologie per Treueschwur durchzusetzen, riskieren sie bewusst, dass auch die letzten Anhänger der europäischen Idee sich von dieser nur auf Marktzugang für Großkonzerne ausgerichteten EU innerlich verabschieden.

     

    .

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Junker sollte sich auf die Kernaufgaben besinnen. Die Beseitigung aller Steuerparadiese alla Luxemburg. Die europäische Bewältigung der Flüchtlingssituation nach dem sog. Junkerplan. Und er sollte uns mit diesen blöden Abkommen CETA und TTIP in Ruhe lassen. Wenns die Menschen nicht wollen, muss man umdenken. Dann kann er sich 2 Gläschen Rotwein einschenken.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      Meinen Sie das ernst? Das Steuerparadies Luxemburg hat er doch höchstpersönlich eingerichtet. Die Sache mit dem Bock und dem Gärtner...

  • Nicht nur bei Linken gilt die Europazentrale in Brüssel als Trojanisches Pferd neoliberaler Dogmen und US-amerikanischer Wirtschaftsinteressen. Das ausgerechnet der Steuerparadies-Bürger Juncker hier die Partei der Jünger des Freihandelsabkommens ergreift, wundert nicht.

  • Wegen der Kritik in ganz Europa fragt Juncker scheinbar endlich mal nach ob die Regierungen ihre Meinung das sie TTIP wollen nicht doch geändert haben - und das wird dann als 'Treueschwur' dargestellt.

     

    Das die Kommission überprüft ob es denn noch weitergehen soll, statt einfach weiterzumarschieren, sollte man loben, nicht so unsinnig darstellen wie der Autor hier.

  • Ein Verhandlungsmandat legt fest, was die Kommission überhaupt verhandeln darf und wie. Das ist eine Ermächtigung. Dieses kann jederzeit erneuert werden. Die Kommission schlägt jeweils das Verhandlungsmandat vor, aber ausgesprochen wird es von den Mitgliedstaaten (=Rat). Es ist insofern falscher Spin hier.

  • Das paßt gut zum Zeittrend. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Oberliga der EU gilt: Je dümmer oder je bizarrer und unbrauchbarer, desto populärer.

  • Was bringt TTIP den Bürgern? Wirklich Vorteile? Kann ich einfach nicht glauben. Der von einigen prognostizierte Wachstumsimpuls ist ein Märchen! Niemand konsumiert mehr weil es ein Freihandelsabkommen gibt. Wenn ich lekker Chlorhühnchen mampfe, dann verkauft Wiesenhof eines weniger. Es gibt doch schon von allem zu viel.

    Durch den Wegfall von Zöllen soll es für den Verbraucher billiger werden, sagt Gabriel. Ich sage : Zölle sind Einnahmen des Staates, fallen die weg dann holt der Staat sich das Geld an anderer Stelle. DE war Exportweltmeister auch ohne TTIP, un so kann es bleiben.

  • Juncker hat in meinen Augen überhaupt keine demokratische Legitimation.

     

    Wenn die Bürger mehrheitlich TTIP ablehnen war es das.

    • @insLot:

      "Die Bürger" lehnen auch Zuwanderung und eine Transferunion mehrheitlich ab.

      Ändert das was?

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Mit Zuwanderung hat das Thema nichts zu tun.

        Es gab über eine Millionen Unterschriften gegen das geplante TTIP-Abkommen.

    • @insLot:

      "...Bürger mehrheitlich..." :D

       

      Seit wann wird denn außerhalb von Wahlen nach Bürgerbedürfnissen entschieden?

      • @Neinjetztnicht:

        Juncker versucht mal wieder alle anzulügen und wenn keiner aufmuckt soll es durchgezogen werden.

        Einer der aktuell solch undemokratische Methoden anwendet muss weg. Martin Schulz ist auch nicht glaubwürdiger.

         

        Mal sehen wie sich die Aktionen der, vom Volk unterstützen CETA Gegnerin, Marianne Grimmenstein auswirken.

         

        Die Initiative für Direktkandidaten könnte noch sehr interessant werden. http://direktkandidaten.info/konzept_kurz

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Das alles ist Grund genug, sich weiter und noch vehementer gegen diese demokratiefeindlichen Abkommen einzusetzen. Junker ist ein typischer Verteter der --wie auch immer-- korrumpierten Politiker, die zunerst die Interessen der Industrie und der Finanzwirtschaft im Auge haben. Die Auswirkungen auf Demokratie oder gar auf Gesundheit der Bevölkerung sind bei diesen Leuten ohne jede Bedeutung - abgesehen von verlogenen Sonntagsreden. Junker hat mit seinen Steuertricksereien in Luxemburg dafür höchstselbst den Beweis erbracht.

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Und genau deswegen freuen sie sich wenn in Österreich ein EU-Befürworter und TTIP-Fan Wahl gewinnt?

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Niemals die Doppelzüngigkeit unserer Gesellschaft unterschätzen.

        Wir haben uns nicht gefreut, weil ein TTIP-Fan in Östereich die Wahl gewonnen hat, sondern weil der "böse Fascho" verloren hat. Für so moralisch hehre Ziele wird gerne ein Ausverkauf von Bürgerrechten, ein Zerfall der Gesellschaft oder eine Missachtung von Gesetzgebung, Bundestagsbeschlüssen oder ähnlichem in Kauf genommen.