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Freies Wissen im NetzGeld entzweit Wikipedianer

Der Verein Wikimedia Deutschland will in Projekte investieren, die freies Wissen fördern. Doch die Verteilung von Mitteln bringt Streit mit sich: Zwei Vorstände sind zurückgetreten.

Das Geld sitzt locker, aber die Stimmung bei Wikimedia Deutschland ist es nicht. Bild: screenshot: wikimedia

"Ohne Offenheit und gegenseitige Information ist für mich die Basis der Zusammenarbeit verloren", schreibt Alice Wiegand, bisher Zweite Vorsitzende des //a:Vereins Wikimedia Deutschland Anfang der Woche in einer Mail an die Vereinsmitglieder. "Uns allen wird nur noch mit Missgunst, Vorurteilen (und auch Vorverurteilungen) und Unterstellungen begegnet, und das mit jedem Mal, mit dem wir uns äußern." Wiegands Konsequenz: Sie zieht sich aus der Vorstandsarbeit zurück. Kurze Zeit darauf tritt auch Achim Raschka, Beisitzer im Wikimedia-Vorstand zurück: "Ich bin raus - so einen Scheiß muss ich mir nicht länger antun."

Wie ist es soweit gekommen? In seiner letzten Vereinsversammlung hatte Wikimedia Deutschland die Einrichtung eines Community-Projektbudget:Community-Projektbudgets beschlossen. Der Verein ist eine Art Förderverein für Wikipedia und seine Schwesterprojekte. Dank der zahlreichen privaten Spenden geht es ihm gut: allein im Jahresabschluss hat er über 1,1 Millionen Euro an Einnahmen verzeichnet. Trotz des Ausbaus der Geschäftsstelle in Berlin blieben mehr als 340.000 Euro übrig. Einen Teil dieses Geldes wollte die Vereinsversammlung in Projekte investieren, die direkt aus der Community an den Verein herangetragen werden.

Verein und Projekt sind formal getrennt. Die Server der Wikipedia stehen in den USA, werden von der in San Francisco ansässigen Wikimedia Foundation betrieben. Der deutsche Verein bezahlt einige Server in Amsterdam und führt die jährliche Spendenkampagne durch, die den werbefreien Betrieb der Online-Enzyklopädie ermöglicht. Die Hälfte des Geldes wird in die USA weitergereicht, die andere Hälfte bleibt in Deutschland. Davon bezahlt der Verein seine Büros in Berlin, organisiert Konferenzen, Schulungen und betreibt Lobbying für freies Wissen.

Doch Verein und Wikipedia haben sich in den vergangenen Jahren auch real auseinandergelebt. Wurde die Wikipedia in den Anfangsjahren von einer relativ kleinen und eingeschworenen Gemeinschaft geschrieben und verwaltet, hat sich der Betrieb der freien Enzyklopädie in ein Millionen-Unternehmen verwandelt. Mit den Spendengeldern strebt die Wikimedia Foundation inzwischen die internationale Expansion an, will Büros in Indien, Brasilien und im Nahen Osten oder Afrika eröffnen, um der Kern-Mission der Stiftung näher zu kommen: Wissen dorthin zu bringen, wo die Menschen es am Nötigsten haben. Denn bisher ist die Wikipedia vor allem in den Industrieländern des Nordens erfolgreich. Gleichzeitig bemühen sich die US-Stiftung und ihre internationalen Ableger um gesellschaftliche Akzeptanz der Wikipedia, die mehr sein soll als eine Community von Menschen, die gerne Enzyklopädien schreiben.

Doch mit der täglichen Arbeit auf der Wikipedia selbst haben diese Aktivitäten wenig zu tun: Wer Artikel schreibt, kümmert sich meist wenig um Projektanträge. Gleichzeitig halten sich Vereins-Mitarbeiter bei der Arbeit an der Wikipedia zurück, um nicht in den Verdacht zu geraten, unbotmäßig Einfluss auf die Community nehmen zu wollen.

Die Spaltung zeigte sich, als der deutsche Verein im vergangen Jahr einen Ideenwettbewerb ausschrieb: Es meldeten sich vor allem externe Organisationen, um ihre Projekte für freies Wissen fördern zu lassen, unter den Wikipedianern fand das Geld nur relativ wenige Interessenten.

Bei der Entscheidung über das Community-Budget hatte Wikimedia versucht, die Community stärker einzubinden. Ein eigener ehrenamtlicher Budgetausschuss wurde eingerichtet, Wikipedianer wählten eigene Vertreter in den Ausschuss, die über die schließlich 36 Vorschläge entscheiden sollten.

Doch Anfang Juli kommt es zum Eklat. Da der Projektausschuss auf Anfragen des Vereinsvorstands nicht antwortet, verschafft der Vereinsvorsitzende Sebastian Moleski sich und anderen Vorstandsmitgliedern Zugang zum internen Beratungs-Wiki des Budget-Ausschusses. Dessen Mitglieder sind empört: Sie vermuten eine unzulässige Einflussnahme.

Nur langsam lassen sich die Gemüter beruhigen: In eilig angesetzten Telefonkonferenzen entschuldigt sich Moleski schließlich für seine Aktion. Die Arbeit des Projektbudgets geht weiter. Doch die Atmosphäre ist vergiftet. Einige besonders lautstarke Kritiker vermuten immer noch faules Spiel, beide Seiten beschuldigen sich gezielter Indiskretionen. Wörter werden auf die Goldwaage gelegt und in seitenlangen Diskussionen zerrissen. Ein Shitstorm entwickelt sich, der in der relativ kleinen Gemeinschaft der Wikipedianer beträchtlichen Schaden anrichtet.

Für die Geschäftsstelle des Vereins ist der Konflikt erst einmal erledigt. "Die Einführung eines Community-Projektbudgets ist ein für alle Beteiligten neues Projekt, was in kürzester Zeit realisiert wurde", erklärt Wikimedia-Sprecherin Catrin Schoneville. "Wir verstehen die Entwicklung als einen Prozess 'learning by doing', und Konflikte und Diskussionen dienen auch hier dazu, das Projekt zu verbessern und weiterzuentwickeln."

Eine Erfolgsmeldung kann der Verein vorweisen: Ein Wiki_Loves_Monuments_Mittelhessen:erstes Projekt wurde bereits bewilligt. Im September werden Wikipedianer sich in Mittelhessen einrichten, dort reihenweise Denkmäler fotografieren und die Fotos anschließend in die Wikipedia hochzuladen. Weitere fünf Projekte sollen in den kommenden Tagen vorgestellt werden. Egal wie sich die Streit um Gelder, Posten und Vertrauen entwickelt: Die Arbeit an der Wikipedia geht weiter.

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7 Kommentare

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  • A
    angel54

    Die WP kann sowieso nich so weitermachen wie bisher. Das ist und bleibt ein Trugschluss. Natürlich laufen bei einem "Freiwilligenprojekt" die Leute davon, wenn in Amerika beschlossen wird, in Deutschland der Vorstand den Daumen drauf hat, sämtliche Admins "eingenordet" sind etc.pp. Auf der anderen Seite wird Geld gesammelt, von dem VIEL nach Amerika geht, wovon Verein und gGmbH leben und von dem nix unten ankommt (meist nicht mal die Auslagen). Und dann wird noch ein Projekt, dass sich Community (!) Project Budget nennt, angestoßen, damit bekannte Personen es plündern können.

     

    Wer will da freiwillig noch mitmachen? - mit dem Gefühl der "Verarsche" entstehen wohl keine guten Artikel. Dann bitte sollen die "Leistungsträger" da oben die Artikel selbst schreiben.

  • EW
    ein Wikipedianer

    Den eigentlichen Streit lässt der Artikel unerwähnt: daß Mitglieder beider beteiligter Gremien (Ausschuß und Vorstand) Anträge auf erhebliche Teile jenes Kuchens gestellt haben, über dessen Verteilung sie entscheiden sollten. Alles nachzulesen auf der Diskussionsseite.

  • F
    Freiwerk

    Nicht Geld entzweit Wikipedia, das ist nur der Vorwand. Es geht um die Kontrolle des Geldes, welches durch einen inzwischen völlig von der Wikipedia-Community abgehobenen Vorstand so verwaltet werden möchte, dass dieser damit seine eigene Machtstruktur aufrechterhalten kann.

     

    Das geschieht unter anderem dadurch, dass kleine Projekte an Leute vergeben werden, deren Zustimmung zum Machterhalt - froh um auch nur das geringste Zusatzeinkommen - man sich dadurch erkauft. Das System ist bekannt, deshalb findet der Vorstand immer wieder Nachhechler, die in vorauseilenden Gehorsam ungefragt den Vorstand hochloben und Kritiker als Dreckschleudern abkanzeln. So geschieht das zb in der internen Mailingliste. Auf die berechtigte Kritik wird grundsätzlich nicht eingegangen, es wird nur auf (zu erwartende) scharfe Worte gewartet um dann die gesamte Diskussion abwiegeln zu können.

     

    So funktioniert Nepotismus. Aber warum sollte es in Wikipedia anders sein als in jedem anderen Verein mit Einfluß auch? Da müsste man schon unser gesamtes Volk austauschen, um dies zu ändern.

     

    Es fragt sich halt nur, welches Volk würde es besser machen?

  • A
    Arcy

    Mangelnde Wahlbekanntmachung - Mangelnde Wahlbeteiligung - Administratorenlastig

     

    Viel "Community" steckt hinter dem Community-Projekt mit einem Budget von 200.000 EURO in der Anfangsphase des Projektes nicht. An einer einwöchig andauernden Wahl im April 2011, von der nicht einmal Vielleser in der Wikipedia alzuviel mitbekommen haben sollten, beteildigten sich gerade mal 60 "Wikipedianer", von denen 2 / 3 aus dem Kreise der Administratoren stammten. [1]

     

    Links:

     

    [1] http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia:Community-Projektbudget/Kandidaten&oldid=88171217

  • RS
    Rasmus Simplicius

    Es geht um das Eindringen in eine Mailingliste und in das interne, vertrauliche Beratungs-Wiki des Gremiums, das die Anträge prüfen und bewerten sollte.

     

    Leider gibt es da Antragsteller bzw. gescheiterte Antragssteller, die natürlich gerne mehr gewußt hätten.

     

    Der Vertrauensbruch war so eklatant, dass die Mitglieder des Gremiums nicht mehr wußten, wie sie noch weiterarbeiten können.

     

    Es gibt nun ein gefälliges Gutachten von Rechtsanwalt Thorsten Feldmann, JBB.

    http://wikimedia.de/images/b/b2/Stellungnahme_Datenschutz_CPB-Wiki.pdf

     

    Feldmann stützt sich auf die Vorstandshaftung, insbesondere in Sachen Gemeinnützigkeit.

     

    Demzufolge wäre es für Vorstandsmitglieder ja grob fahrlässig gewesen, nicht in die Mailingliste und das Wiki einzudringen.

     

    Wer weiss, was dem Vorstand entgangen wäre, hätte man nur die befürworteten Anträge auf den Tisch gelegt bekommen... jaja.

  • S
    schneeschmelze

    Gut recherchiert, ich erkenne die Geschichte wieder, würde aber gerne darauf hinweisen, dass der Verein meines Wissens in Berlin nur ein Büro unterhält, nicht mehrere, wie es in dem Bericht heißt.

  • I
    info-add

    "Davon bezahlt der Verein seine Büros in Berlin, organisiert Konferenzen, Schulungen und betreibt Lobbying für freies Wissen. "

     

    Davon bezahlt er auch wohl inzwischen 20? fest Angestellte, was in der Community scheinbar zunehmend auf Unmut stößt und teils als Wasserkopf empfunden wird.

     

    Für die Technik und den Betrieb der WP der WP benötigt man scheinbar was um die 200.000 jährlich. Viele der Spender glauben wohl - laut ihren Kommentaren bei der Spende - dass sie einfach "an WikiPedia" spenden. Dieser Eindruck wird leider auch recht bewusst erweckt. Auch darum drehen sich die Kontroversen, denn ohne Wikipedia gäbe es keine vergleichbaren Spenden, und keinen Verein WikiMedia mit viel Geld zum Verteilen. Dass endlich auch Autoren mitbestimmen, was mit dem Geld teils geschehen soll, ist ein guter Schritt, die Projekte aber lassen einen manchmal ratlos zurück.

     

    Die taz-Artikel zur Wikipedia, so kritisch sie sind, sind in meinen Augen oft von einer Sicht geprägt, die auf offziellen Wikimedia-Verlautbarungen oder guten Connections zu den entspr. Protagonisten zu beruhen scheint. Stellt doch mal zb. den WP-internen Diderot-Club II und seine Kritik vor - eine offene Diskussion von Fehlentwicklungen kann dem Projekt nur nutzen (Autorenschwund!).