Freie Liebe oder Männermord: Er unterwirft sich gern
In Herbert Kapfers neuem Roman diskutiert eine WG in den 1970er Jahren feministische Theorien. Reden wir heute noch ähnlich über Sex und Partnerschaft?
Die Unterdrückung der Frau ist nicht gottgegeben. Gottgewollt vielleicht schon, „denn der Mann ist des Weibes Haupt“, wie es im Neuen Testament heißt, aber natürlich eben keineswegs. Aus der Tierwelt jedenfalls sind wenige Beispiele bekannt, wo der weibliche Teil trotz anhaltend schlechter Behandlung bei seinem männlichen Partner verbleibt.
Und auch unter Zweibeinern, davon geht man heute zumindest aus, wurden die Frauen erst unterjocht, als die ersten Menschen begannen, sesshaft zu werden und die Arbeitskräfte anders einzuteilen. Die Unterdrückung der Frau steht mit der Entstehung von Eigentum demnach durchaus in Zusammenhang – kein Wunder also, dass feministische Kämpfe kaum von linken Fragestellungen zu trennen sind.
In den letzten Jahren des allgemeinen konservativen bis rechtsextremen Rollbacks sind sie leiser geworden, jene moderaten Stimmen, die dem Feminismus im neuen Jahrtausend seine Daseinsberechtigung abstritten und als Relikt aus den 70ern abtaten.
In jenem Jahrzehnt, der Hochphase des radikalen Feminismus, spielt auch Herbert Kapfers neuer Roman. „Der Planet diskreter Liebe“ umkreist eine linke Wohngemeinschaft in München, die diskutiert und dichtet, Protestsongs spielt und sich nicht so ganz einigen kann, was zuerst erfolgen sollte: die sexuelle oder die Weltrevolution.
Herbert Kapfer: „Der Planet diskreter Liebe“. Verlag Antje Kunstmann, München 2025, 240 Seiten, 22 Euro
Erotisierung der Arbeit
Vielleicht funktioniert auch beides zugleich. Kai, einer der WG-Bewohner:innen, ist (wie Adorno und Marx übrigens auch) Anhänger der frühsozialistischen Theorien Charles Fouriers und der von ihm geforderten „Erotisierung der Arbeit“; zusammen leben, zusammen lieben.
„Freiheit in der Liebe ist mit der Zivilisierten und Barbarischen Ordnung nicht vereinbar“, stellte Fourier denn in „Aus der neuen Liebeswelt“ bereits 1816 fest und war damit sehr früh dran. Beziehungen mit mehr als einer Person sollten in der von ihm „Harmonie“ genannten Utopie möglich sein, auch das „homosexuelle Tabu“ bestünde nicht mehr. Die Pflege der Leidenschaften nimmt bei Fourier viel Zeit in Anspruch: Die „Liebe wird zur Hauptbeschäftigung“.
Womöglich ist es diese Hingabe an den Trieb, die Kai so begeistert, denn der junge Revolutionär unterwirft sich gern. Mit seiner Mitbewohnerin Bea geht er eine sadomasochistische Beziehung ein, Stiefel, Peitschen und wohlportionierte Demütigungen kommen als Werkzeuge zum Einsatz.
Die Sexszenen gehören dabei zum schwächeren Teil des eigentlich anregenden Romans Kapfers. Endlos werden die Fußbewegungen Beas auf Kais Körper beschrieben, auch die im Wechsel servile und herrische Hundesprache hat man irgendwann satt. Doch so wichtig ist der Plot eigentlich ohnehin nicht. Lieber lässt man sich einsinken in die dicke theoretische Polsterung, die die Figuren und ihre Handlungen umgibt.
Vernichtung aller Männer
Bea fährt nämlich das gegenteilige Theorieprogramm zu Kai und Fourier auf. Ihre Sprache ist die der Gewalt. Schade, dass Kapfer ihre Position nicht ohne den Bezug auf die sexuellen Übergriffe durch den Vater sowie eine lesbische Neigung zu begründen weiß. Bea liest Françoise d’Eaubonne, die den Begriff des Ökofeminismus maßgeblich prägte, doch vor allem scheint in ihr die Figur Valerie Solanas’ auf. Solanas, die letztlich eher durch ihren Tötungsversuch Andy Warhols bekannt wurde als durch ihre Schriften, ruft in ihrem Manifest „SCUM“ zur Vernichtung der Männer auf.
Sie begründet das zunächst noch fast ästhetisch, schreibt vom „Stumpfsinn“ dieser Gesellschaft, in der kein Aspekt dieses Lebens „vermag (,) die Frau zu interessieren“, kommt aber über Kriege, Sexualität und Gewalt immer wieder zu dem Schluss, dass an der Abschaffung der Männer, diesen „biologischen Unfällen“, nichts vorbeiführe. Lediglich die Helfer der SCUM-Aktivistinnen seien zu verschonen.
Ähnliches schwebt auch Bea vor. Sie kann Kai durch die ausgeübte sexuelle Macht davon überzeugen, dass die Zeit für die genetische „Mutation“ zur Homo- beziehungsweise Autoreproduktion reif sei. Dass sie auch den Rest ihrer WG so schnell zur feministischen Revolution anstiften kann, erscheint jedoch vor dem historischen Hintergrund unwahrscheinlich.
Schließlich beklagten Feminist:innen immer wieder, dass die „Frauenfrage“ in linken Kreisen stiefmütterlich behandelt werde. Tomatenwürfe, wie der von Sigrid Rüger bei der Konferenz des Sozialistischen Studentenbunds 1968 in Frankfurt, gingen nicht umsonst in die Geschichte ein.
Intersektional und queer
Gleichheit unter den Geschlechtern herrscht heute in aufgeklärten bis aktivistischen Kreisen freilich immer noch nicht. Viel ist diskutiert worden über Redezeiten, über Privilegien. Auch stellt sich die „Frauenfrage“ in dem Sinne nicht mehr, da heute intersektional gedacht wird, queere Sichtweisen stärker berücksichtigt werden. Radikalfeminismus ist eher zum Schimpfwort verkommen, den „TERFs“, also trans Menschen ausschließenden „radical feminists“, sei Dank.
„Nieder mit dem Koitus!“, fordert Bea im Roman und erklärt insbesondere die Penetration für abgeschafft. Heute ist man agitatorisch von der Aktions- auf die Verbalebene abgesprungen. Autorinnen wie Bini Adamczak stellen die Problematik beim Sprechen über penetrativen Sex im Sinne eines aktiven und passiven Parts zwar weiterhin heraus, finden aber praktischere Lösungen als den kompletten Verzicht darauf: So schlägt Adamczak in einem Text von 2016 etwa vor, statt von „Penetration“ – einführen – von „Zirklusion“ – umschließen – zu sprechen. Durchgesetzt hat sich das allerdings nicht.
Interessanterweise spielt die Abschaffung der Kleinfamilie – laut Max Horkheimer eben die „Keimzelle des Faschismus“ – in diesem sexualpolitischen Roman keine große Rolle. Zwar ist sie in einer ökofeministischen, männerfreien Welt, wie sie sich Bea erträumt, wohl schlicht nicht mehr existent, liegt der Fokus des Buchs woanders, doch das Fehlen einer gesellschaftspolitischen Beschäftigung mit der Familie jenseits des Sexuellen fällt auf.
Immerhin spielt der Roman 1975, dem Jahr, in dem Shulamith Firestones „The Dialectic of Sex“ in deutscher Übersetzung erscheint und sie die Familienstruktur als „Quelle psychologischer, ökonomischer und politischer Unterdrückung“ benennt. Auch Kate Millett macht 1971 in „Sexus und Herrschaft“ die Familie als „Hauptinstitution des Patriarchats“ aus, die zugleich Spiegel und Verbindung mit der Gesellschaft im Großen und Ganzen sei. Wer es ernst meint mit dem Privaten, das politisch ist, muss eben auch an die Familie ran.
Begehren außerhalb der Zweierbeziehung
Bei Charles Fourier sind die Leidenschaften und die „riesigen Assoziationen“, die in ihrem Sinne zu formen seien, stark verknüpft mit sozialreformerischen Anliegen. Manch eine seiner Ideen zur gemeinschaftlichen Abendgestaltung klingt sehr nach Kollektivierung, mehr nach Gemeinschaftsküche als Party. Heute sind nicht-monogame Beziehungen verbreiteter, das Sprechen über Begehren außerhalb der Zweierbeziehung ist möglich, muss sich somit aber auch gegenüber dem Vorwurf verhalten, es folge dem neoliberalen Credo eines „immer mehr“: weg vom Hippie-Duktus, hinein in die Marktlogik.
Das treffe vor allem zu, wenn Beziehungen eben einfach multipliziert und nicht grundlegend anders gelebt werden, schreibt Brigitte Vasallo in „Monogamous Mind, Polyamorous Terror“. Monogamie sei dabei das zentrale Ordnungsprinzip unserer modernen Welt und keinesfalls gottgegeben (oder gottgewollt?). Sich frei für diese Form von Partnerschaft entscheiden tun wohl nur wenige. Die herrschende Meinung ist eben meist auch die Meinung der Herrschenden.
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