Frauensport außerhalb des Vereins: Ist das schon Revolte?

Männer treiben eher Sport im Team, Frauen allein – auch, weil sie im Verein Hürden erleben. Aerobic oder Yoga schufen Befreiung.

Frauen mit Hüten bei einem Rollschuh-Straßenwettlauf mit Reifen, historische Aufnahme

Muss nicht im Verein sein: Frauen bei einem Rollschuh-Straßenwettlauf mit Reifen in Berlin 1911 Foto: Haeckel/Ullstein

Als während der Pandemie die Fitnessstudios geschlossen blieben, viele Vereine dagegen schnell weiter trainieren durften, meldete sich in Großbritannien die ehemalige Para-Athletin Tanni Grey-Thompson zu Wort. Diese Politik habe dramatische Auswirkungen vor allem auf Frauen, sagte sie. Während Frauen, die ohnehin die Hauptlast trügen, ihren Sport nicht mehr betreiben könnten, werde der männerdominierte Vereinssport hofiert. Grey-Thompson, Mitglied des Fitness-Branchenverbands UKActive, darf man Business-Motive unterstellen.

Und doch sind die Daten interessant: Frauen in Großbritannien stellen laut Grey-Thompson 54 Prozent der Mitglieder in Fitnessstudios und 76 Prozent der Teil­neh­me­r:in­nen in Gruppenkursen. Angesichts des gut dokumentierten weltweiten Gender Gap im Sport eine auffällig hohe Zahl. Und es ist nicht die einzige im informellen Sport. Bei Freizeitläufen weltweit waren 2018 erstmals mehr Frauen als Männer dabei. Gesundheitssportarten wie Yoga oder Zumba werden überwiegend von Frauen betrieben. Ist Sport außerhalb von Vereinen egalitärer? Und falls ja, ist das ein Ausweichen oder eine Revolte?

Als sich im 19. Jahrhundert bürgerliche Sportvereine gründeten, befanden sich Gesellschaften im Umbruch. Die Ständeordnung bröckelte, umso stärker verbreitete sich die Idee von der Ordnung zweier Geschlechter. Frauen und Mädchen wurden mit Pseudowissenschaft vom Sporttreiben ausgeschlossen, Schulsport für Mädchen erst ab 1894 und damit rund 50 Jahre später als für Jungen eingeführt; immer neue Rekorde sollten die Überlegenheit des Mannes demonstrieren.

Unterdessen strömten mit der Industrialisierung viele junge Männer in die Städte, es gründeten sich frauenfreie Männerbünde: Burschenschaften, Karnevalsvereine, moderne Schützenvereine oder eben Sportvereine. Sport für Frauen wurde vorwiegend individuell statt im Team betrieben, als Gesundheitssport statt im Wettkampf, anmutig statt mit Körperkontakt. Eine Prägung, die fortwirkte: Noch 1950 waren nur 10 Prozent der Mitglieder in deutschen Sportvereinen weiblich.

Vereinssport ist ausschließend

Wenngleich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) bei mittlerweile 40 Prozent weiblicher Mitglieder ist, ballen sich diese in wenigen weiblich gelesenen Sportarten – Eislaufen, Cheerleading, Turnen, Reiten etc. – und bleibt Spitzensport Männersache: Fast alle Profiligen sind für Männer, nur rund 13 Prozent der Spit­zen­trai­ne­r:in­nen sind Frauen, Vereine und Verbände bleiben mehrheitlich männergeführt. Der als Demokratieort idealisierte Vereinssport ist faktisch ausschließend.

Betreiben Kinder noch etwa gleich viel Sport, sind ab dem Teenageralter Mädchen und Frauen deutlich weniger und seltener dabei und haben hohe Drop-out-Raten. Wer sich nicht binär zuordnet, hat im Sportsystem noch schlechtere Karten. Unterrepräsentiert sind vor allem Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund und solche aus prekären Haushalten. Sich einen anderen Ort fernab dieser Strukturen zu suchen – Joggen, Fitnessstudio oder Yoga – erscheint da zunächst plausibel.

„Alte Erwartungen reproduziert“

„Man muss informellen Sport differenziert betrachten“, sagt Fabienne Bartsch, Genderforscherin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Der informelle Sport ist nicht per se durchlässiger und offener.“ Denn auch selbstorganisiert treiben Frauen und Mädchen nach ähnlichem Muster Sport: Eher Individualsport als Teamsport, eher auf Gesundheit und Wohlbefinden als auf Wettkampf bedacht. Selbstorganisierter Fußball und Streetball etwa gelten als sehr männerdominiert. „Es werden viele alte Erwartungen reproduziert“, sagt Bartsch.

Wie viel davon erlernt ist, zeigen Beispiele aus dem Ausland: In den USA gilt Fußball als Frauensport, in Indien praktiziert jeder vierte Mann den hiesigen „Frauensport“ Yoga, und in Südamerika gehen mehr Männer als Frauen in Zumba-Kurse. An Übersichtszahlen fehlt es, kleinere Studien aber zeigen ein Muster: „Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen und Mädchen prozentual mehr informellen Sport betreiben als Jungen und Männer.“ Und vor allem Frauen mit Migrationshintergrund oder aus prekären Verhältnissen.

Auf Interessen von Männern fokussiert

„Sportvereine in Deutschland haben sich lange Zeit an den Interessen der weißen und männlichen Mittel- und Oberschicht ausgerichtet und sind daher auch nach wie vor eher auf die Interessen dieser Gruppen fokussiert“, sagt Bartsch. Im Verein ist zudem vor allem Wettkampf wichtig – eine Sparte, die die weiblichen Mitglieder oft weniger interessiert. Außerdem werden Frauen häufig weniger gefördert und beurteilen in Studien Trai­ne­r:in­nen und soziales Klima negativer. Und: „Der informelle Sport bedient ihre Sportmotive wie Gesundheit, Ausgleich und Wohlbefinden oft besser.“ Ein wichtiger Grund sei aber auch strukturelle Ungleichheit: „Frauen sind neben der Berufstätigkeit oft stark in die familiäre Care-Arbeit eingebunden. Der Verein hat eine hohe Verbindlichkeit. Kommerzielle und informelle Settings sind flexibler und passen besser in den Lebensalltag vieler Frauen.“

Kommerzieller Sport wird gern als neoliberaler Kram für flexible Ich-AGs gescholten. Dabei hat er Millionen von gerade prekären Frauen Zugänge geschaffen. Was etwa im Bereich Fitness qualitativ anders läuft, lässt sich an der größten deutschen Fitnesskette McFit beobachten. Nach Angaben von Kommunikationsdirektor Pierre Geisensetter sind auch dort rund 40 Prozent der Mitglieder weiblich, also exakt so viele wie im DOSB. In den Kursen allerdings überwiege der Frauenanteil. Und rund die Hälfte der Trai­ne­r:in­nen seien Frauen. Es gibt also mehr Vorbilder und offenbar bessere Möglichkeiten für Frauen, mit Sport Geld zu verdienen. Mittlerweile gebe es in den meisten Studios separate Lady Corners. Daneben existieren reine Frauenketten wie Mrs. Sporty, die sich vor allem an berufstätige Mütter richten. Eine Gruppe, deren Bedürfnisse der Wettkampfsport meist ignoriert.

Feld der Befreiung

Wie viel sich durch informellen und kommerziellen Sport tatsächlich verändert hat, zeigt Danielle Friedman in ihrem Buch „Let’s Get Physical“, einer US-fokussierten Geschichte weiblicher Fitness von den fünfziger Jahren bis zur Gegenwart. Informeller und kommerzieller Sport, so argumentiert Friedman überzeugend, war auch ein großes Feld der Befreiung für Frauen: Weil maßgeblich er ihnen erlaubte, sich eigene Freizeit zu erobern und ihren Körper zu stärken, weil er Selbstorganisation verlangte zu Zeiten, als der organisierte Sport viele Wege verstellte. Freier Sport verschaffte Frauen aber auch finanziellen Erfolg. Beispielhaft in der viel belächelten Aerobic-Bewegung, die gerade Frauen zu erfolgreichen Unternehmerinnen machte. Aber natürlich geht Empowerment auch im Verein, wie die damals neu entstandenen queeren oder migrantischen Sportclubs zeigten.

Auch Friedman weiß, dass Fitness Frauen zugleich befreite und neu fesselte: immer schlanker, immer schöner, immer fitter. Nie ging Fortschritt mit totalem Bruch, fast immer steckt viel Altes im Neuen. Friedman zeigt etwa anhand der schwarzen, queeren Plus-Size-Yoga-Influencerin Jessamyn Stanley, dass ein ganzes Stück des Weges gegangen wurde. Dass dieser Sport so wenig erzählt wird, hat natürlich mit Machtverhältnissen zu tun. Und so berichten die von Männern dominierten Sportmedien tagtäglich vom männerdominierten Wettkampfsport.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.