Frauenfußball: Verbrannte Erde unterm Rasen
Nach dem Aus für die Bundesliga-Frauen des HSV drohen dem Nachwuchs in Norddeutschland harte Zeiten - auch weil der Verband sich aus der Förderung stiehlt.
HAMBURG taz | Man könnte meinen, das Ende der Frauenfußball-Bundesligamannschaft des Hamburger SV sei ziemlich geräuschlos über die Bühne gegangen. Ist aber nicht so. In den Vereinen der Stadt und in ganz Norddeutschland, in denen Mädchen- und Frauenfußball ernst genommen wird, gibt es Leute, die über Folgen und Ursachen nachdenken.
Ulf Ancker, 48, war mal Co-Trainer der HSV-Zweitligamannschaft, die 2011 Meister wurde und dann aufgelöst wurde – eine Saison vor der Erstliga-Mannschaft. Ancker trainiert heute Mädchenteams beim Eimsbütteler Turnverband (ETV). Beim ETV kicken 850 Kinder und Jugendliche, davon 300 Mädchen. Mehr als ein Drittel, das schaffen andere Vereine nicht. Vor allem in den vergangenen Monaten ist die Zahl der Mädchen, die sich neu anmelden, gestiegen. Der SC Victoria, weiß Ancker, „hat ähnliche Zuwachsraten“. Der ETV arbeitet mit lizensierten Trainern nach einem speziellen Konzept für Mädchen-Fußball. Der ETV-Vorsitzende Frank Fechner sagt: „Mädchenfußball steht bei uns ganz oben.“
60 Mädchen kicken in der E-Jugend des ETV, aus den 60, sagt Fechner, „machen wir 160, hätten wir einen Kunstrasenplatz fürs Training“. Die erste Frauen-Mannschaft des ETV spielt Bezirksliga, das ist die sechste Liga. Fechner rechnet genau, welche Liga er sich leisten kann, und welche nicht: „Bis Verbandsliga ist alles gut, in der Regionalliga muss man weit reisen und wird nicht gefördert, die Zweite Bundesliga ist dann wieder okay“, sagt Fechner.
Die Zuschauerzahlen bei Bundesligaspielen sind nicht gestiegen nach der Frauen-WM, es gibt kein Interesse von Sponsoren am Semi-Profifußball der Frauen. Wer damit gerechnet hat, verkennt den prinzipiellen Unterschied zwischen Männer und Frauenfußball. „Von unseren Mädchen wurde nicht über das, was da beim HSV in Sachen Frauenfußball passiert ist, diskutiert, die diskutieren über Westermann und Aogo“, sagt Ancker. Die Mädchen gehen auch nicht zu den Heimspielen der HSV-Frauen, sondern zu den HSV-Männern und zum FC St. Pauli.
Ancker sagt, „dass der DFB bis zur WM den Frauen-Fußball gepusht hat. Er wurde künstlich oben gehalten, das ist jetzt vorbei, nun bricht so manches zusammen“. Etwa beim HSV. Auch bei den Zweitligisten Holstein Kiel und FFC Oldesloe ist die Situation nicht einfach. Ancker sieht das Problem beim DFB und seinen Landesverbänden: „Da wird nur Eliteförderung betrieben, der Hamburger Fußballverband setzt das um. An der Basis kommt nichts an.“ Im Grunde werden die mehr oder weniger erfolgreichen Modelle des Männerfußballs auf die Frauen übertragen, „dabei ist doch offensichtlich“, sagt Ancker, „dass dies zwei völlig unterschiedliche Dinge sind“. Es fehlen Trainer für den Mädchenfußball, es fehlen Sportplätze, „die Basisarbeit“, sagt Ancker, „ist kaputt“.
Innerhalb der Ersten Bundesliga wechseln: Marisa Ewers (26 BL-Spiele für den HSV), Bayer 04 Leverkusen; Carolin Simon (48), VfL Wolfsburg; Jessica Wich (21), 1. FFC Frankfurt; Aylin Yaren (10), SC 07 Bad Neuenahr.
In die Zweite Liga gehen: Marie-Louise Bagehorn (22), Aferdita Kameraj (84), beide BV Cloppenburg; Heike Freese (77), SV Meppen; Louisa Nöhr (4), Holstein Kiel; Maike Timmermann (19), SV Werder Bremen.
In der Schleswig-Holstein Liga spielen künftig: Christine Schoknecht (28), Bianca Weech (164), beide SV Henstedt-Ulzburg.
In der Bezirksliga spielt: Saskia Schippmann (2), FC Elmshorn.
In die USA geht: Nina Brüggemann (37), Arizona State Sun Devils.
Noch keinen neuen Klub haben die übrigen Spielerinnen. Silva Lone Saländer beendet ihre Karriere nach 189 Spielen für den HSV.
Dass der HSV die erste Frauenmannschaft wegen eines Fehlbetrags von 100.000 Euro aus der Bundesliga abgemeldet hat, kritisieren Fechner und Ancker nicht. „Das hätte der ETV auch so gemacht“, sagt Fechner.
Heinrich Färber, 54, Trainer und Obmann für Mädchen und Frauenfußball beim Walddörfer SV, sieht das anders. Beim WSV spielen 200 Frauen und Mädchen Fußball, das erste Frauenteam spielt Bezirksliga. Auch der WSV hat die „höchsten Zuwachszahlen in der F-Jugend“. Die Frage, so Färber, „ist doch, ob ein großer Sportverein in einzelnen Amateur- oder in semiprofessionellen Bereichen einen Gewinn erwirtschaften muss“. Dies, so Färber, „erschließt sich mir nicht“.
Er ist der Meinung, ein Verein wie der HSV dürfe aus „ideellen Gründen und aus Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit, eine Frauen-Bundesligamannschaft nicht wegen 100.000 Euro einstellen“. Er hatte das Gefühl, der HSV betrachte die Frauen „als Klotz am Bein“.
Er kritisiert auch, dass der HSV, den Empfehlungen des Verbands folgend, seine Mädchenteams im Nachwuchs aus den Mädchenligen abgemeldet hat und gegen Jungen-Mannschaften spielen ließ. „Zugegeben“, sagt Färber, „die haben in ihren Ligen mal 7:0 gewonnen, sie abzumelden, ist allerdings keine Lösung.“ Spielerisch, so Färber, „hat die das nicht weiter gebracht“. Die Mädchen spielen „nun robuster, körperbetonter, aber nicht besser“. Der Auswahltrainer, so Färber, fordere leistungsstarke Mädchen auf, Mädchenteams zu verlassen und in Jungen-Mannschaften mitzuspielen. „Das kann man mal im Notfall machen“, findet Färber, „aber das gibt’s in keiner anderen Sportart als Regel.“ Eine fatale Trennung: leistungsorientierte Mädchen bei den Jungs, der Rest macht Breitensport. Da werde aus der Tatsache, dass Nationalspielerinnen in ihrer Jugend in Jungenteams gekickt haben, „ein falscher Schluss gezogen“. Denn, so Färber, Jungen und Mädchenfußball sind „zwei verschiedene Sportarten“.
Statt dessen wäre es besser, die Konzentration guter Nachwuchsspielerinnen beim HSV, die zur Überlegenheit im Nachwuchsbereich geführt habe, aufzubrechen. Er verweist auf die Situation in Skandinavien, wo es eine größere Dichte leistungsstarker Ligen mit leistungsstarken Teams gibt, obwohl die Fahrten viel weiter sind. „In Hamburg hätten wir viel bessere Voraussetzungen als die Skandinavier“, so Färber.
Was den Rückzug des HSV aus der Frauen-Bundesliga anbelangt, hätte er sich eine klarere Stellungnahme des Verbands gewünscht. Der HSV hatte bislang, was den Leistungsfußball bei Mädchen und Frauen in Hamburg anbelangt, ein Monopol. Das hat, so Färber, „der Entwicklung nicht gut getan“.
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