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Frauenbataillon der Volksbühne BerlinRollentausch in der Postapokalypse

Mit der Inszenierung „Das Duell“ nach Tschechow beerdigt Regisseur Frank Castorf in der Volksbühne Berlin mindestens mal das System Mann.

Außen erzählt die Kamera, was innen in der Hütte geschieht: Sophie Rois (Mitte hinten) als liederlicher Säufer in der Kaukasus-Kulisse. Bild: Thomas Aurin

„Schulden?! Was?!“ Doppelt und dreifach durchschaubar ist die gespielte Empörung, mit der Sophie Rois in der Rolle eines liederlichen Russen die Bezahlung seiner Schulden von sich weist. „Das wird nicht bezahlt.“ In so einem Moment wünscht man sich, bestimmte Bilder der Inszenierung von Frank Castorf ausschneiden und, sagen wir mal, unter die „Tagesthemen“-Berichterstattung zu Zypern mixen zu können.

Und auch wenn Silvia Rieger, die streng wie eine Domina den nüchternen Wissenschaftler Koren gibt, der leider keine anderen als rassistische Erkenntnisse findet, mal wieder analysiert: „Die Deutschen haben dich verdorben.“ Das gilt für jeden, der in Korens Augen kein nützliches Mitglied der Gesellschaft ist.

Man könnte also behaupten, es geht um das deutsch-russische Verhältnis der Gegenwart und seine lange, unter anderem literarische Vorgeschichte im jüngsten Volksbühnen-Spektakel. Vorlage ist eine Erzählung von Anton Tschechow, „Das Duell“, die irgendwo im Kaukasus spielt.

Ausgiebig auf dem Sofa liegen

Auf der Bühne, von Alexandra Denic eingerichtet, sieht der Kaukasus aus wie eine ewig staubende und rauchende Kohlenhalde, mit Zwiebelkirchturm, Hütte und unterirdischen Verschlägen. Innen wird ausgiebig auf dem Sofa gelegen, Suppe gegessen, Schnaps getrunken, werden Intrigen und Fluchten geplant. Außen sieht man das alles in Filmbildern auf einem Billboard neben dem Kirchturm. Ölfässer stehen auch noch rum, Grenzen sind unpassierbar, ziemlich postapokalyptisch, dieser Bühnen-Kaukasus.

Die russische Literatur hat Frank Castorf schon in den neunziger Jahren geholfen, den Ballast an Ideologien, Projektionen und Vorurteilen kenntlich zu machen, der als ziemlich lebendiger Untoter das Ost-West-Verhältnis prägt. Das Überraschende dieser früheren Passagen durch das vermeintlich weit Entfernte, um in der Nähe rauszukommen, aber hat „Das Duell“ nicht mehr. Von einzelnen Stichworten angetriggert, erwartet man ständig ein Mehr an Bezügen und gedanklichen Verquickungen, als sich dann einstellen wollen.

Stattdessen ist man mit einer viel banaleren Schwierigkeit konfrontiert. Erst mal zu kapieren, wer denn die Männer sind, die diesmal bis auf eine Ausnahme (Hermann Beyer als alter Armeearzt) von Frauen gespielt werden. Ohne Programmzettel wäre ich zum Beispiel nicht draufgekommen, dass Kathrin Angerer nicht nur Kathrin Angerer, sondern auch einen Diakon spielt.

Ein ganzer Kerl, der macht zwei Tage durch

Klar, da liegen ein paar Gags im Genderrollenmix. Ist schon grandioser Slapstick, wie Sophie Rois den Stolz des Säufers karikiert, weil er nicht nur einen, sondern zwei Tage durchgemacht hat, und seine Geliebte (Lilith Stangenberg) derweil aus dem Bett drängelt, bis sie auf den leeren Flaschen darunter landet – „nu häng doch nicht schon wieder an der Flasche“.

Es kommt auch zu gruseligen Augenblicken von schöner Absurdität, wenn Kathrin Angerer beschwörend die Bienen als Gleichnis heranzieht in einem langen Monolog zwischen Fahnen: „Die männliche Abart, so habe ich Sie verstanden, die Drohnen, die man töten muss, die bleiben doch am Leben, die fressen doch den Honig auf, die Männer, die demoralisieren und unterdrücken uns Bienen. Als Ergebnis haben wir die Vorherrschaft der Schwachen, der Männer, über die Starken, und die Degenerierung der Männer.“ Dass die Rede von Starken und Schwachen, von Nützlichen und Unnützen ständig in einen Taumel gerät, der den Schwachsinn ihrer Logik bloßlegt, gehört zu den erhellendsten Momenten der Inszenierung.

Allein, das scheint doch wenig Ertrag für den Aufwand des fast vierstündigen Abends. Oft ist es allein die Dynamik der kreisenden Drehbühne, der aufgeladenen Musik und der zugespielten Filmzitate, die Spannung und Erwartung suggeriert. Die technischen Mittel greifen ins Große und Monumentale, die menschlichen Szenen davor verwuseln sich eher kleinteilig und verwirrend. Das ist möglicherweise eine Strategie, um das frustrierende Messen des eigenen Lebens an medialen Bildern zu thematisieren. Auf jeden Fall aber eine auf Dauer ermüdende Strategie.

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