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Die Krankheit auf die Bretter schicken: Trainerin Dilar Kisikyol und eine Teilnehmerin ihrer Hamburger Frauenboxgruppe Foto: Paula Markert

Frauen boxen gegen ParkinsonIn den Ring steigen gegen Parkinson

Sport kann die Symptome der Nervenkrankheit lindern. Zu Besuch bei einer Boxgruppe in Hamburg.

Sabina Zollner
Von Sabina Zollner aus Hamburg

D eckung nach oben. Und schön vom Kinn aus boxen“, ruft die Boxtrainerin Dilar Kisikyol der Gruppe entgegen. Sechs Frauen stehen auf einer blauen Linie in einer Sporthalle in Hamburg. Sie halten ihre Arme geschlossen vor ihrem Körper. Ihre geballten Fäuste zeigen Richtung Decke, bedecken einen Teil ihrer konzentrierten Gesichter. „Hopp“, ruft die Trainerin. Rechts, links, rechts boxen die Frauen mit ihren Händen in die Luft, trippeln dabei mit den Füßen auf dem Hallenboden. Kisikyol beobachtet sie dabei, läuft von einer Seite der Halle zur anderen. Manchmal klingt sie wie eine strenge Sportlehrerin, aber meistens hat sie einen Witz oder einen lockeren Kommentar auf den Lippen. „Boah, Hannah sieht aus, als würde sie mich gleich umbringen“, sagt sie zu einer der Frauen. Und die gesamte Gruppe fängt an zu lachen.

Für genau diese Momente kommen die sechs Frauen jeden Mittwoch zum Boxen in die Hamburger Sporthalle. Es sind Momente der Leichtigkeit, die in ihrem Alltag schnell mal zu kurz kommen. Denn die Frauen leiden alle unter Parkinson. Bei der unheilbaren Krankheit sterben nach und nach Nervenzellen im Gehirn ab. Das führt mitunter dazu, dass die Muskeln versteifen, die Bewegungen des Körpers verlangsamen sich. Betroffene leiden unter anderem unter Gleichgewichts- und Schlafstörungen oder Zittern. Die Symptome sind sehr vielfältig. Medikamente können die Symptome lindern, ebenso wie Sport und Ernährung. In den vergangenen Jahren gründeten sich deshalb immer mehr Boxgruppen für Menschen mit Parkinson. Der auf Konzentration und Ausdauer fokussierte Sport kann Betroffenen besonders helfen.

„Das Training ist ein Stück Lebensqualität für mich“, sagt Bettina Köhler, die seit acht Jahren unter Parkinson leidet. Am Anfang ihrer Diagnose machte sich die 65-Jährige oft klein, sie traute sich nichts mehr zu, hatte etwa Angst davor, Auto zu fahren. Mit dem Boxen fand sie zu mehr innerer und äußerer Stärke. Köhler fährt wieder mit dem Auto zum Boxtraining, bewegt sich sicherer durch ihren Alltag. Neulich ist sie im Badezimmer ausgerutscht, und konnte sich selbst auffangen. Ihr erster Gedanke war: Vielleicht zeigt das Boxtraining seine Wirkung.

„Mir hilft es total, um in Form zu bleiben“, erzählt auch Birgit Rashidi, die seit einem Jahr mit dabei ist. Sie begegnete damals einer anderen Teilnehmerin im Supermarkt, die beiden kamen ins Gespräch, tauschten sich über ihre Erkrankung aus. Die Frau lud Rashidi zum Training ein.

Welt-Parkinsontag

Am 11. April 1817 wurde der englische Arzt James Parkinson geboren, der erstmals die Symptome der Krankheit beschrieben hatte. Seit 1997 gibt es am 11. April, unterstützt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), einen Parkinson-Tag, der global Aufmerksamkeit für das Thema generieren soll.

Rund 400.000 Menschen in Deutschland waren Ende 2024 von der Nervenkrankheit betroffen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen. Bis 2040, so die Prognose, könnte diese Zahl noch mal um 50 Prozent steigen – weil die Bevölkerung im Schnitt immer älter wird.

Die Nervenkrankheit lässt die Muskulatur versteifen, verlangsamt Bewegungsabläufe und verursacht unkontrolliertes Zittern. Erste Frühsymptome können unter anderem Schlafstörungen, Riech- und Sehstörungen sein. Obwohl die Krankheit gut erforscht ist, ist Parkinson nach wie vor unheilbar. Bei rund 75 Prozent der Erkrankten ist außerdem nicht klar, warum die Krankheit ursächlich ausbricht.

Rashidi sagt, sie verlasse die Sporthalle jedes Mal mit einem Gefühl von Stolz, dass ihr Körper wieder eine Stunde durchgehalten hat. Es sei zudem ein mentaler Ansporn: Sich mit Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe auszutauschen, das könne einen nämlich auch herunterziehen, erzählt sie. Das sei in dieser Gruppe anders: „Das sind hier alles Frauen, die sich nicht von der Krankheit unterkriegen lassen.“

Die Gruppe ist so individuell wie die Erkrankung, die jüngste der Teilnehmerinnen ist 46 Jahre alt, die älteste 81. Insgesamt sind es zehn Frauen. Einzelne sind noch berufstätig, die meisten sind bereits in Rente. Manche haben die Krankheit erst seit ein paar Jahren, andere schon fast ihr halbes Leben lang. Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung in Deutschland. Etwa 400.000 Menschen leiden daran. Viele bekommen ihre Diagnose erst sehr spät, denn Frühsymptome wie Ängste, Depressionen oder Schlafstörungen lassen nicht gleich auf ­Parkinson schließen.

Auch denken Betroffene oftmals bei motorischen Symptomen, dass dies eine Folge des Alterns ist. Neben späten Diagnosen kommt es immer wieder zu Fehldiagnosen. Der Tremor, das unkontrollierte Zittern eines Körperteils, gilt als die häufigste Fehldiagnose. Je später die Diagnose, desto schwieriger ist die Behandlung.

Weltmeisterin und engagiert im Kampf gegen Parkinson: Dilar Kisikyol Foto: Paula Markert

Der Frauenboxkurs ist zufällig vor drei Jahren entstanden, es ist der erste reine Parkinson-­Frauenboxkurs in Deutschland. Bettina Köhler ist eine der Initiatorinnen. Sie sah einen Fernsehbeitrag von einer Frau in der Türkei, die unter Parkinson litt und die aufgrund der Erkrankung nicht mehr aufrecht laufen konnte. Durch den Boxsport verbesserte sich ihr Zustand immens. Die Geschichte inspirierte Köhler, selbst mit dem Boxen anzufangen.

Mit einer weiteren Betroffenen schrieb sie eine E-Mail an den Hamburger Sportverband. Diese landete bei der Boxweltmeisterin und damaligen Frauen- und Inklusionsbeauftragten Dilar Kisikyol auf dem Schreibtisch. Die drei trafen sich. Die Trainerin erinnert sich, wie aufgeregt die beiden Frauen waren. Köhlers Begleitung hatte sich sogar schon extra einen Namen ausgedacht und ein Logo erstellt: „K. O. Parkinson“, so heißt die Gruppe bis heute. Eine Woche später ging es mit dem Training los.

In der Sporthalle sind die Frauen mittlerweile in Zweierpaaren in Boxstellung einander gegenüber aufgereiht. Linkes Bein vorne, rechtes Bein schräg dahinter. Die Arme haben sie angewinkelt, waagerecht vor ihrem Körper. Die Frauen müssen jetzt mit schnellen Bewegungen versuchen, die Boxhandschuhe der anderen zu berühren. Kisikyol macht die Übung mit einer der Teilnehmerinnen vor. Diese zieht rasch ihre Hände zurück, als die Trainerin versucht, ihre Boxhandschuhe zu berühren. „Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet“, scherzt sie und die Frau lächelt stolz zurück. Kisikyols offene und herzliche Art ist ansteckend, man kann verstehen, warum die Frauen sich hier wohlfühlen.

Mit der Übung soll die Reaktionszeit geschult werden. Gerade bei Menschen mit Parkinson können solche Trainingseinheiten helfen, ihre Bewegungen wieder besser zu kontrollieren. „Wir machen eigentlich eine Kombination aus Boxsport und Krankengymnastik“, erzählt Kisikyol. Es ist ein reiner Fitnesskurs, das heißt, die Frauen steigen nicht gegeneinander in den Boxring, das wäre zu gefährlich.

Die Balance verbessern

„Natürlich kann der Boxsport die Erkrankung nicht heilen, aber es gibt eine Handvoll Studien, die belegen, dass der Sport Betroffenen helfen kann“, sagt der Neurologe Jens Volkmann. Eine Studie untersuchte an 40 Betroffenen, welchen Effekt Boxsport im Vergleich zu anderen Fitnessübungen hat. Dabei kam heraus, dass Boxen vor allem die Balance und die motorischen Fähigkeiten signifikant verbessert. Auch zeigte die Studie, dass Boxen das Sturzrisiko verringert. Köhlers Wahrnehmung, dass sie sich in ihrem Badezimmer besser abstützen konnte, ist also nicht abwegig.

Bisher werden in Deutschland nur wenige Parkinson-Boxkurse angeboten. Neben dem Frauenkurs gibt es vereinzelt gemischte Gruppen in Berlin und Köln. Die Parkinson-Stiftung erreicht immer wieder E-Mails von Betroffenen, die in ihren Heimatorten auf der Suche nach ähnlichen ­Angeboten sind. „Unser Wunsch ist, dass wir ­bundesweit Kurse anbieten können“, sagt Franziska Engehausen, Geschäftsführerin der Stiftung. Um ein breiteres Angebot zu schaffen, organisiert die Stiftung am Wochenende erstmals einen ­Trainer-Workshop mit Dilar Kisikyol sowie ­erfahrenen Ärzten und Physiotherapeut:innen. Sie hoffen, dass die 20 Teilnehmenden in naher Zukunft selbst eigene Parkinson-Boxkurse an­bieten.

Der Kurs in Hamburg wird von der Parkinson-Stiftung unterstüzt, ein flächendeckendes Angebot müsste jedoch mithilfe der Krankenkassen bezahlt werden, so Engehausen. Um solche Kurse in die Regelversorgung zu übernehmen, müsste noch mehr an dem gesundheitlichen Nutzen von Parkinson-Boxen für Betroffene geforscht werden. Derzeit ist die Studienlage noch dünn. Würde man noch mehr Boxsportkurse anbieten, könnte das laut Volkmann auch das Gesundheitssystem ­entlasten. Ein Gruppenkurs sei kostengünstiger als eine Einheit Physiotherapie – aber der gesundheitliche Effekt, so legen es jedenfalls einige Studien nahe, ist vergleichbar.

Der gesundheitliche Effekt von Boxen, so legen es jedenfalls einige Studien nahe, ist vergleichbar mit Physiotherapie

Die Gruppe in Hamburg hat Kisikyol durchweg begleitet. Ihre ersten Berührungspunkte mit Parkinson hatte sie als junge Frau in ihrer Ausbildung zur Gymnastiklehrerin. Damals war sie in einer Reha-Einrichtung und hospitierte in einer Parkinson-Gruppe. Sie war fasziniert von dem Feingefühl des Trainers, wie er die Übungen mit den Pa­tien­t:in­nen anleitete. Es dauerte aber noch ein paar Jahre, bis sie ihre eigene Parkinson-Gruppe leitete. Die gelernte Sozialpädagogin ist mittlerweile Profiboxerin, 2022 holte sie den Weltmeistertitel im Leichtgewicht, vergangenes Jahr ­verteidigte sie ihren Titel. Köhler und ein Großteil der Gruppe kamen zu dem Kampf, um sie anzufeuern.

Im Frauenboxsport ist sehr viel weniger Geld unterwegs als bei den Männern, man kann nicht einfach von Preis- und Sponsorengeldern leben. Deswegen gab Kisikyol auch während ihrer Profikarriere noch weiter Sportkurse. Für sie war der Parkinson-Kurs aber auch ein schöner Ausgleich zu dem von Leistung getriebenen Profisport. „Ich scherze immer, dass ich durch die Frauen ein paar graue Haare bekommen habe, aber eigentlich haben wir einfach extrem viel Spaß zusammen“, sagt sie.

Für Kisikyol ist schön zu sehen, dass die Frauen eine Leidenschaft für den Sport entwickelt haben. Auch beobachtet sie gesundheitliche Fortschritte. Sie sieht vor allem positive Entwicklungen in den Bewegungsabläufen. Eine der Teilnehmerinnen meinte kürzlich zu ihr, dass sie jetzt endlich wieder bis vier zählen kann. Kisikyol wusste erst nicht, was sie damit meint. Sie könnte jetzt vier Schläge hintereinander machen, erklärte die Frau. Für Gesunde ist das eine Selbstverständlichkeit, für Menschen mit Parkinson ist es ein Erfolgserlebnis.

Die Boxweltmeisterin sagt, sie habe zudem viel über die Krankheit gelernt, ihr sei davor nicht klar gewesen, wie sehr die Medikamente den Alltag von Parkinson-Patient:innen bestimmten. Und auch die Belastbarkeit der Frauen sei ein Lernprozess gewesen. Kisikyol erinnert sich an den ersten Trainingstag, als sie die Musik laut aufdrehte und die Frauen aufforderte, einmal um den Boxring zu rennen. Die schauten nur verdutzt und sagten: „Dilar, das können wir nicht“.

Nicht überfordern

Mittlerweile hat sie einen Weg gefunden, die Frauen zu fordern, aber gleichzeitig nicht zu überfordern. Abgesehen von den gesundheitlichen Effekten ist der Sportkurs für die Frauen vor allem auch ein sozialer Ort. „Im Kampf gegen so eine Erkrankung ist es schon wichtig, zu wissen, dass man eine Gemeinschaft hat, in der man aufgefangen wird“, sagt Kisikyol.

Über eine Whatsapp-Gruppe tauschen sich die Betroffenen aus, beraten sich zu Medikamenten, schicken aufmunternde Nachrichten, wenn es einer mal nicht so gut geht. Nicht alle können jeden Mittwoch kommen, und manche müssen das Training auch ganz aufgeben. Eine der Teilnehmerinnen ist jetzt schon seit einigen Wochen nicht mehr dabei, der Parkinson hat ihr Sprachzentrum so sehr angegriffen, dass sie kaum noch sprechen kann.

Die Frauen sind mittlerweile an einer Reihe von roten Boxsäcken aufgestellt. Mit schnellen Bewegungen schlagen sie auf die Säcke ein. Kisikyol steht am Rand, gibt Anweisungen. Dann hört man mehrere Wecker klingeln, das Training muss einen Moment unterbrochen werden. Die Teilnehmerinnen laufen an den Rand des Boxrings, greifen in ihre Handtasche. Die Frauen müssen ihre Medikamente nehmen. Parkinson beeinflusst den Dopamingehalt im Gehirn. Hat der Körper zu wenig Dopamin, führt das zu Bewegungseinschränkungen. Die Medikamente helfen, den Dopamingehalt zu erhöhen. Es können aber auch starke Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit oder andere motorische Störungen auftreten.

Manchmal sind die Nebenwirkungen auch schlimmer als die Symptome. Das war bei Birgit Rashidi der Fall. Ihr Körper war total steif, sie hatte Sehstörungen und Verständigungsprobleme. Die 58-Jährige leidet seit mehr als 40 Jahren an Parkinson und hat schon alle möglichen Phasen der Erkrankung durchgemacht. Schon als Teenagerin hatte sie Gang- und Sprechstörungen. Als sie 20 Jahre alt war, fing ihre Hand an zu zittern. Erst mit Ende 20 bekam sie die Diagnose. Parkinson tritt eher bei Menschen zwischen 50 und 60 Jahren auf, deshalb dauerte es Jahre, bis die Ärzte von Rashidi die Erkrankung diagnostizierten.

Die Hamburgerin liebte ihren Job: Gemeinsam mit ihrem Ehemann leitete sie einen Supermarkt in Hamburg. Irgendwann war sie ­körperlich nicht mehr fit genug, ihren Job auszuüben. In der Hoffnung, einem anderen Beruf nachgehen zu können, machte sie mit Ende 30 eine Um­schulung zur Bürokauffrau. Sie nutzte ihre Schlafstörung zum Lernen, auch nachts bereitete sie sich wie besessen auf die Prüfung vor. Doch fünf Wochen vor der Prüfung war plötzlich alles weg, sie konnte sich an nichts erinnern, konnte nicht mal mehr ihren Namen schreiben. Es war, als hätte jemand ihre innere Festplatte gelöscht. Auch Gedächtnisverlust ist ein Symptom von Parkinson.

Rahidis Zustand verschlechterte sich nach diesem Vorfall rasant. Wenige Monate später konnte sie nicht mehr richtig laufen, überhaupt nicht mehr schlucken, ihr Kopf hing permanent auf der Brust. Sie wurde verrentet. Wie durch ein Wunder, erzählt Rahidi rückblickend, ging es ihr nach ihrer Frühverrentung dann aber von Jahr zu Jahr wieder besser. Mittlerweile muss sie keine Medikamente mehr nehmen. „Mein Arzt meinte, dass es an meiner positiven Lebenseinstellung liegen könnte“, sagt sie lächelnd.

Rechts links, Deckung hoch: die Hamburger Boxgruppe in Aktion Foto: Paula Markert

Ein verständnisvolles und unterstützendes Umfeld, das sei entscheidend, um mit der Krankheit klarzukommen, sagt Rashidi. Aber Verständnis heiße nicht, sie zu bemitleiden, damit kann sie wenig anfangen. Sie musste sich mit den Jahren deshalb auch von Menschen verabschieden, die ihr nicht mehr guttaten. Die Frauen im Boxkurs gehören nicht dazu.

Nach dem Training sitzen drei der Teilnehmerinnen in einem Café um die Ecke. Das ist ihre wöchentliche Routine. Sie essen Franzbrötchen und trinken Cappuccino, tauschen sich zum Training und zu Alltäglichem aus. „Was diese Gruppe ausmacht, ist, dass wir hier nicht mehr besonders sind, sondern wir sind alle gleich“, erzählt eine der Frauen. Im Alltag, wenn man Menschen ohne Parkinson begegne, fühle man sich schnell unter Druck, wenn etwa mal die Hand zittere oder man etwas langsamer reagiere. Auf diese Kleinigkeiten müssen sie untereinander nicht achten. Für eine Stunde können sie ihre Erkrankung vergessen.

Meine Enkel finden es total cool, dass ich boxe

Heike Cohrs, 81

„Das Schlimme an Parkinson ist, dass du der Krankheit ausgeliefert bist“, sagt Köhler. Die Symptome seien wahnsinnig willkürlich, manchmal wache sie auf, die Hüfte tue weh, nachmittags habe sie einen Krampf. An andere Tagen, sagt Köhler, seien da fast gar keine Symptome. Es sei, als würde man mit angezogener Handbremse durchs Leben gehen. Für die 81-jährige Heike Cohrs ist der größte Verlust, dass sie nicht mehr so viel Sport treiben könne wie früher. Mit ihrem Ehemann habe sie es geliebt, zu tanzen, das gehe jetzt nicht mehr. „Dafür finden es jetzt meine Enkel total cool, dass ich boxe“, sagt sie.

Die Frauen finden es gut, dass sie eine reine Frauenboxgruppe sind. Sie hatten einmal Männerbesuch, da habe man schnell gemerkt, dass es nicht passt. „Die haben einen ganz anderen Ehrgeiz und wussten immer genau, wie es geht“, erzählt Köhler. Während sie geduldig auf die Ansagen von Kisikyol hörten, hätten die Männer einfach losgelegt. „Wenn sie nicht ehrgeizig sind, dann spielen Männer meistens den Clown“, kommentiert Cohrs gemischte Sportgruppen. Es sei einfach sehr viel entspannter unter Frauen. Männer müssen in diesem Fall also draußen bleiben – allein aus gesundheitlichen Gründen.

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9 Kommentare

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  • Super finde ich… und auch ohne Parkinson zu haben kann ich mir vorstellen, wie guttuend so eine Gruppe ist. Eine Erfahrung mit einer Verletzung und anschließend bleibender Beeinträchtigung ist mein Erlebtes.



    Und durch eine Erfahrung in einer Frauenselbstverteidigungsgruppe ganz früher und spätere Erfahrung beim Karate und Kung-Fu Training in gemischten Gruppen weiß ich was gut daran sein kann, nur unter Frauen zu sein.



    Supersache… Daumen hoch

  • Grundsätzlich ist jede Form von physikalischen Übungseinheiten wie Boxen symptomlindernd bei Parkinson, solange man es nicht übertreibt.



    Letztendlich agieren wir aber hier auch wiederum nur im Rahmen der Palliativ-Medizin oder im Rahmen der Geriatrie, in dem es nur darum geht, die Symptome zu lindern.

    Wo ist daher die Nachricht an der ganzen Sache - abgesehen von der starken Symbolik des Boxens?

  • "In den Ring steigen gegen Parkinson"



    The greatest, the greatest boxer the world has ever seen greets you from here.

  • Ist das mit der Brille (auf dem Titelfoto) ernst gemeint?

  • "Die Frauen steigen nicht in den Ring, weil das zu gefährlich ist." Und dann solch eine Überschrift.



    Aber tolles Engagement der Frauen.



    Haut rein!

  • Man mildert die Symptome von Parkinson, aber erhöht das Risiko an einer Boxer Demenz zu erkranken. Vor allem, wenn man wie abgebildet, ohne Kopfschutz boxt.



    Wie dumm kann der Mensch sein. Gibt es keine andere, weniger aggressive, Sportart?

    • @maxwaldo:

      Steht doch im Artikel, dass die Frauen nicht gegeneinander kämpfen, weil zu gefährlich, Herr Polemik.

  • Das ist dann aber hoffentlich ein reines Schlag- und Bewegungstraining, aber kein Sparring mit Schlägen gegen den Kopf? Es gibt wohl keinen Sport, der das Risiko für Parkinson mehr erhöht als Kontaktboxen...

    • @TheBox:

      Steht doch im Artikel, dass die Frauen nicht gegeneinander kämpfen, weil zu gefährlich. Dass sie in die Luft oder auf einen Sack boxen und nicht an den Kopf. Dass sie miteinander Bewegungen üben und nicht Kampf.



      Leider kann niemand die Krankheit auf die Bretter schicken.

      Überschrift, Bild und Bildunterschrift etwas irreführend eben.

      Trotzdem tolle Sache, weil es hilft, mit der Krankheit zu leben und alle, auch die Trainerin und nun auch wir etwas lernen.