Frauen auf der Lesebühne: „Humor ist eine Waffe, die du trainieren musst“
Am Anfang war die Lesebühne, und sie war frauenleer. Warum das Weibliche noch immer unterrepräsentiert ist, haben wir die Autorinnen Kirsten Fuchs und Lea Streisand gefragt.
Wir treffen uns für das Gespräch auf eine Soljanka im Sophieneck. Weil man sich auf der Lesebühne ebenso duzt wie bei der taz, bleiben wir einfach dabei.
taz: Kirsten, Lea, die meisten Lesebühnen sind sehr männlich geprägte Veranstaltungen. Warum kommen die trotzdem bei Frauen gut an?
Kirsten Fuchs: Das ist ja ’ne Klischeefrage. Auf die müsste man auch ’ne Klischeeantwort geben.
Und die lautet?
Fuchs: In der Natur ist es doch so (mit verstellter Stimme): Das Männchen preist und präsentiert sich, das Weibchen guckt zu.
Lea Streisand: Oah, ey! (lacht) Da gibt’s aber einfachere Möglichkeiten, an Frauen zu kommen.
Fuchs: Nicht für alle. Bei manchen Bühnen hätten die einzelnen nie so abgeräumt. Die hatten ihre richtig guten Jahre.
Streisand: Okay, kann sein, dass es für manche Männer einfacher ist, sich über die Bühne Sexnachschub zu besorgen.
35, ist Berlinerin qua Geburt. Auf Lesebühnen steht sie seit dem Jahr 2003, derzeit gehört sie zur Stammbelegschaft von "Rakete 2000". Zuletzt erschienen: "Berlin ist eine Dorfkneipe" (Geschichten). Streisand schreibt regelmäßig Texte für die taz und hat außerdem eine Kolumne auf Radioeins. Laut Verlag ist sie nichts weniger als "die Königin der Berliner Lesebühnen".
Fuchs: Ist doch auch für die Frauen von Vorteil. Die haben Zeit, sich einen schönzugucken, und dann gehen sie hin. Die treffen die Entscheidung.
Streisand: Uns Frauen geht das doch genauso.
Fuchs: Also ich finde nicht so attraktiv, was da an männlichen Avancen kommt.
Streisand: Bist du neidisch?
Fuchs: Nein. Aber ich hatte oft das Gefühl, da hat sich jemand für mich entschieden, mit dem ich gar nichts anfangen kann.
Das ist ja auch nicht eure Motivation zu lesen, oder?
Beide: Nein!
Aber die der Männer schon?
37, wurde in Karl-Marx-Stadt geboren und wuchs in Berlin auf. Seit 2002 ist sie auf Lesebühnen tätig, 2014 gründete sie "Fuchs und Söhne". Zuletzt erschienen: der Geschichtenband "Kaum macht man mal was falsch, ist das auch wieder nicht richtig" und der Roman "Mädchenmeute". Laut Verlag ist Fuchs "vermutlich die bekannteste und beliebteste Autorin der Berliner Lesebühnenszene".
Fuchs: Ein junger Mann will immer Sex haben. Ich glaube, das meiste, was er tut, hat zum Motiv, eine Frau kennenzulernen. Außer Wichsen vielleicht.
Streisand: Das ist ja mal ’n Männerbild.
Fuchs: Okay, im Ernst: Dass die Kollegen auf die Bühne gegangen sind, um Sex zu haben, ist natürlich Quatsch. Das sind Typen, die lustig sind und sich was getraut haben. Und dann haben sie festgestellt, dass viele Frauen sie mögen. Weil ein witziger Mann natürlich sexy ist.
Würdet ihr die Beobachtung teilen, dass Lesebühnenhumor ziemlich sexistisch sein kann?
Fuchs: Sagen wir es mal so: Es gibt weibliche Lesebühnenautorinnen, die sich darüber schon sehr geärgert haben.
Streisand: Sehr.
Fuchs: Das Problem ist: Viele intelligente Männer glauben, sie könnten gar nicht sexistisch sein. Weil sie ja intelligent sind. Aber in ihren Texten bringen sie dieselben frauenfeindlichen Sprüche, die es auch woanders gibt. Nur glauben sie, ihr Lachen darüber sei ironisch.
Streisand: „Ich bin jetzt mal politisch unkorrekt“ … da krieg ich so ’n Hals. Jungs: Macht’s einfach nicht. Sagt’s einfach nicht.
Fuchs: Es hat auch was mit Erwachsenwerden zu tun. Als ich angefangen habe, habe ich viel krassere Sachen gemacht. Hart, schlüpfrig, eklig, diese ganzen Register habe ich gezogen.
Streisand: Ich erinnere mich an die Kackegeschichte.
Was war das für eine?
Fuchs: Da krieg ich einen Liebesbrief von jemandem, der hat ein Herz gemalt. Ich weiß nicht genau, ob ich verliebt bin, aber dann kacke ich zufällig ein Herz. Und überlege, ob ich es fotografieren und ihm schicken soll.
Streisand: Super Geschichte!
Fuchs: Heute würde ich das so vielleicht nicht mehr schreiben.
Streisand: Ja, heute habe ich das auch nicht mehr nötig. Ich glaube, so mit Anfang 20 hatten wir das Gefühl, uns freikämpfen zu müssen. Mal nur über unsere Körper reden, unsere Muschis.
Fuchs: Genau. Ich wollte nicht verschämt sein, ich wollte unverschämt sein.
Aber warum treten immer noch so wenige Frauen auf?
Streisand: Es liegt an der Komik. Frauen werden immer noch nicht dazu erzogen, sich öffentlich zu präsentieren oder auch mal lächerlich zu machen. Und wenn sie doch lustig sind, werden sie in die Freak-Ecke gestellt.
Fuchs: Ich kenne total viele lustige Frauen. Die Frage ist, warum sie nicht auf die Bühne gehen.
Streisand: Sie trauen sich nicht.
Fuchs: Oder sie haben es nicht nötig. Mädchen haben andere Möglichkeiten, sich beliebt zu machen. Zuhören, aufmerksam sein, attraktiv sein.
Streisand: Nee! Da kommen Minderwertigkeitsgefühle und Scham zusammen. So was macht man nicht als Frau. Es passt nicht ins Bild. Die Frau ist die, die lacht, nicht die, die die Witze macht. Viele Männer haben Angst vor witzigen Frauen, weil Witz für Intelligenz steht und Schnelligkeit. Und das bedeutet Macht.
Fuchs: Also, das sehe ich nicht so. Ich glaube, die Frauen brauchen diese öffentliche Beklatschung nicht. Schon auf dem Schulhof sind es die Jungs, die Geschichten erzählen …
Streisand: Ich hab immer Geschichten erzählt!
Fuchs: … und in der Kneipe, da sitzen die Männer und wollen ihre Geschichten immer auf ’ne witzige Art erzählen. Die sind dann einfach geübter in diesen mündlichen Kämpfen.
Die Lesebühne als Fortsetzung des Stammtischs mit anderen Mitteln?
Streisand: Kirsten hat sicher recht, dass diese präsentierte, nach außen gestellte Komik ein männliches Öffentlichkeitsgebaren ist. Aber verallgemeinern würde ich es nicht. Ich selbst komme aus einer Familie, wo die Frauen laut und witzig sind.
Fuchs: Ich auch. Meine Tante hättest du jederzeit auf eine Bühne stellen können. Und meine Oma.
Streisand: Meine Oma stand auf der Bühne! Nur nicht mit Komik.
Fuchs: Humor ist eine Waffe, die du trainieren musst. Ich merke, dass meine Tochter eine schlagfertige Person ist. Wir machen eben total viel Quatsch zu Hause. Man sieht ihr an, wie sie überlegt: Wie kann ich aus dieser Situation was Lustiges rausholen?
Streisand: Ja, da ist viel Erziehung bei. Man muss lernen, immer noch eine Ecke weiterzudenken. Komik ist ja auch, eine Sache ins Gegenteil zu verkehren und ihre Nur-Dargestelltheit zu zeigen. Sie ist das Gegenteil von Rock ’n’ Roll, nicht authentisch, sondern ein „wir tun mal so“.
Ist die Lesebühne für euch beide ein Projekt mit Zukunft?
Fuchs: Auf Dauer will ich einen anderen Lebensstandard. Bühnenlesen reicht grade so.
Streisand: Ein Kind kannst du damit nicht ernähren. Nur denken manche von den Männern, sie können so ewig jung bleiben.
Fuchs: Das klappt ja auch lange ganz gut. Aber wenn du jetzt Berliner Lesebühnenautoren nach Süddeutschland schickst und die stehen da mit 40 und sagen „Steh ick um zwölve uff, kratz ma erst ma an’ Arsch“, dann finden das die Leute da unten ein bisschen … asozial. In Berlin gibt es ganz andere Sympathien für diesen Typus, dieses leicht Verlotterte.
Streisand: Slacker heißt dit.
Fuchs: Das machen Frauen ab 30 nicht mehr mit. Viele witzige Kolleginnen sind schwanger geworden oder in anderen Berufen verschwunden. Ein paar konnten auch künstlerisch durchstarten.
Streisand: Stimmt.
Beide sehen sich vielsagend an.
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