Frau ohne Menstrua­tions­hinter­grund: Catcalling unterm Phallus

Vatertag in Deutschland gleicht einem Himmelfahrtskommando für weiblich gelesene Menschen. Das ist in Berlin nicht anders.

Da fühlt sich mancher Mann wohl: Vatertag auf einem Floß im Treptower Park Foto: picture alliance/dpa | Paul Zinken

He, Süße, komm ma her! Du bist so wat von geil!“, ruft er mir am Alexanderplatz zu. Dann spitzt er die Lippen und macht schmatzende Geräusche. Der Kerl ist schätzungsweise Mitte vierzig. Wehende Steppweste, Kapuzenpulli, kurze Unterbauchjeans, Ringelsocken und Sandalen. Und er ist das Prachtstück des Pulks. Seine weniger modebewusst angezogenen Kumpel gackern, sie spornen ihn an. So legt er nach, als er mir auf Schritt und Tritt folgt: „Zieh ma deene Maske runter – und deen Röckchen!“

„Hervorragend, vor allem deine Wampe“, erwidere ich, als ich ihn, über die Schulter schauend, kursorisch von Kopf bis Fuß mustere. „Ich muss leider gehen. Aber du kannst eh nicht kommen, nehme ich an.“

Männern missfällt es, auf den Schwanz getreten zu werden, zumindest außerhalb von Dominastudios. Demzufolge schwört er gekränkt, dass er mich „holen und flachlegen“ würde.

Vatertag in Deutschland. Es gleicht einem Himmelfahrtskommando, als weiblich gelesene Person überhaupt an diesem Tage unterwegs zu sein. Wie auch am Alex, wo bei dieser Begegnung mit dem Pulk in gewisser Hinsicht die „Rache des Papstes“ wahrzunehmen ist. Ebenjene Etikettierung beschreibt das sphärische Lichtkreuz, das als Reflexion entsteht, wenn die Sonne mal auf der Kugel des Fernsehturmes gleißt.

Kein Kavalliersdelikt

Das ist die Krux der Sache. Catcalling ist kein Kavaliersdelikt. Genau genommen ist Catcalling kein Delikt überhaupt, was die bundesrepublikanische Gesetzeslage anbelangt. In Deutschland hat Catcalling also noch keinen eigenen Straftatbestand, ganz im Gegensatz beispielsweise zu der Lage in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal.

Hierzulande ist mit Paragraf 184i des Strafgesetzbuches zwar sexuelle Belästigung ausdrücklich verboten und mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe zu ahnden, aber der Paragraf beschränkt sich wortwörtlich auf „körperliche Berührung“. Die verbale Gewalt und die psychischen Schmerzen, die infolge der unaufgefordert lasziven Bemerkungen und aufdringlichen Blicke bei den Opfern entstehen, werden also nicht erfasst.

Es läge auf der Hand, die Taten gemäß Paragraf 185 als Beleidigung zu bewerten. Doch dafür müsse der Täter eine Herabsetzung der betroffenen Person bewusst zum Ausdruck bringen. Mit „ich wollte ihr nur ein Kompliment machen“ können noch erstaunlich viele Catcaller hierzulande laufen und gleichsam auf Freiersfüßen wandeln.

Die Hürden sind für Betroffene so hoch wie der Fernsehturm, bedaure ich, während ich – erhobenen Hauptes fortgehend – den Kopf doch grüblerisch und lamentierend in die Höhe richte. Der bis ins Firmament emporragende Phallus erlangt dabei eine Art Heiligkeit und drückt dabei auch die „Rache des Patriarchats“ aus. Der vom Aussterben bedrohte Macho fühle sich eingeengt. Gender-Gaga, MeToo-Emanzen, Pronomen. Es ist alles ein Zuviel. Deswegen habe er keine andere Wahl, als zum Gegenschlag auszuholen, und sich Gehör zu verschaffen, während sein Antrag auf Artenschutz geprüft wird. Das Weiberanmachen im Wonnemonat gehört sowieso zu den Riten des Frühlings. Es ist die Brunftzeit, die ja mitsamt Bierkiste und Bollerwagen zelebriert wird.

Fakt ist, Chorprobe für Catcallers findet tagtäglich statt, und Frauen sind Freiwild. Dieses Naturgesetz gilt allenthalben, ob in Marzahn oder auf der Museumsinsel, in Köpenick oder auf dem Ku’damm.

Fakt ist, Chorprobe für Catcallers findet tagtäglich statt, und Frauen sind Freiwild. Dieses Naturgesetz gilt allenthalben, ob in Marzahn oder auf der Museumsinsel, in Köpenick oder auf dem Ku’damm. Das wird auf den Bürgersteigen der Stadt auch protokolliert.

Seit 2019 lädt die inzwischen von nahezu 10.000 Followerinnen gefolgte Instagramgruppe @catcallsofberlin Betroffene dazu ein, ihre diesbezüglichen Erlebnisse mit bunten Kreidestiften zu dokumentieren. Es ist erschütternd, was die Opfer, bereits mit 12 und 13 Jahren beginnend, so alles schildern.

Das Ankreiden ist eine Art Katharsis und gleichzeitig eine Kampfansage an die ebenfalls im Cyberspace wütenden Catcaller, oft von der Gattung Inceligentsia. Denn die farbigen, unzensierten Botschaften der Betroffenen werden gewissermaßen für die Nachwelt abfotografiert, damit sie weder vom Regen noch von den wild pinkelnden Paschas des Patriarchats weggespült werden können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner trans* Frau mit afroamerikanischen Wurzeln, ist eine „Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel“. So lautet ihr Signatur-Lied, und so kennt man sie als wortgewandte taz-Kolumnistin. Sie ist Autorin des Februar 2022 erschienenen Buches RACE RELATIONS: ESSAYS ÜBER RASSISMUS (Verlag GrünerSinn: ISBN 9783946625612). Ebenjene historisch fundierte Einführung reüssiert als lyrischer Leitfaden zum Antirassismus. Dudley, eine gelernte Juristin (Juris Doctor, US) schreibt auch für den Tagesspiegel, die Siegessäule, die Zeit / das Goethe, Missy Magazine, Rosa Mag und den Verlag GrünerSinn. Zudem tritt sie als Kabarettistin, Keynote-Rednerin und Diversity-Expertin in Erscheinung. Ihr Themenspektrum umfasst Anti-Rassismus, Feminismus und die Bedürfnisse der LGBTQ-Community. Elegant und eloquent, reüssiert die intersektional agierende Aktivistin als die „Diva in Diversity“. Als impulsgebende Referentin arbeitet sie mit der Deutschen Bahn, der Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit, der Frankfurter Buchmesse und dem Goethe-Institut zusammen. In der Fernsehsendung „Kulturzeit“ (3Sat/ZDF, 25.08.2020) hat sie ihre Ballade „Owed to Marsha“ zu Ehren der queeren Ikone Marsha P. Johnson uraufgeführt. In einer anderen Folge (17.06.2020) hatte sie für die „Meinungsverantwortung“ plädiert, als sie die Äußerungen der Schriftstellerin J.K. Rowling in puncto Transsexualität kritisierte. Immer wiederkehrend kommentiert sie brandaktuelle Themen (ARD, MDR, RBB, WDR). Ihr satirisches, musikalisch untermaltes Kabarettprogramm heißt: „Eine eingefleischt vegane Domina zieht vom Leder“. Sie liebt die Astrophysik, spielt gerne Schach, spricht u.a. Latein und lebt tatsächlich vegan. Ihre Devise: „Diversity ist nicht einfach, sondern mehrfach schön. Kein Irrgarten, sondern ein Wir-Garten.“

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.