Franziskus besucht den Irak: Papst betet im einstigen IS-Kalifat
Papst Franziskus betet für Kriegsopfer. Mit seinem Irak-Besuch sendet er auch für dortige Nicht-Christen ein Zeichen der Hoffnung.
Der Irak ist ein geschundenes Land. Erst der Sturz Saddam Husseins, gefolgt von US-Besatzung und jahrelangem Bürgerkrieg zwischen den Religionsgruppen. Dann über drei Jahre IS-Kalifat. Das Land kommt einfach nicht zur Ruhe. So war der Papst-Besuch für viele Iraker ein Zeichen der Normalität, an die sie gerne glauben möchten, egal welchen Glaubens sie angehören.
„Der Zweck des Besuchs des Papstes, in diesen komplizierten Zeiten, ist es, die Menschen im Irak zu ermutigen, so dass sie ihre vergangenen Zeiten vergessen und eine neue Phase beginnen und damit in eine Zukunft blicken können“, erklärte Kardinal Raphael Sako, der chaldäische Patriarch von Babylon und damit Leiter der wichtigsten katholischen Ortskirche an Euphrat und Tigris im Gespräch mit der taz.
Naturgemäß musste der für die Reise seines Chefs aus Rom Gutwetter machen. Aber es waren nicht nur die Christen des Landes, die in diese Reise ihre Hoffnungen für eine besser Zukunft setzten.
Papstbesuch als vertrauensbildende Maßnahme
„Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen zwischen den Irakern zu schaffen und ihnen helfen zu einem friedlichen Leben zurückzukehren. Der Besuch von Papst Franziskus ein wichtiger Schritt, um das Land wieder aufzubauen und dieses Vertrauen zu bilden“, sagte auch Salah Al-Obaidi, der Sprecher des einflussreichen schiitischen Politikers und Prediger Muqtada Sadr der taz.
Für die Botschaft interreligiöser Koexistenz wählten die Organisatoren einen symbolträchtigen Ort, die Ebene von Ur, die Wiege des Zweistromlandes, berühmt für seinen über 4000 Jahre alten sumerischen Stufentempel und eine der ältesten Städte der Menschheit.
Aber noch entscheidender für die geografische Symbolkraft: In dem heutigen entlegenen Ruinenort in der südirakischen Wüste soll Abraham gelebt haben, der Juden, Muslimen und Christen gleichsam als Stammvater gilt. Ein gut gewählter Ort für den Papst also, um am Samstag mit Christen, Muslimen, Jeziden und Mandäern zu einem interkonfessionellen Treffen zusammenzukommen.
Treffen mit schiitischem Groß-Ayatollah Ali Al-Sistani
„An diesem Ort, an dem der Glaube geboren wurde, von dem Land unseres Stammvaters Abraham, bestätigen wir, dass Gott gnädig ist und dass es die größte Blasphemie ist, seinen Namen zu entweihen, indem man seine Brüder und Schwestern hasst. Feindschaft. Extremismus und Gewalt sind nicht aus einem religiösen Herzen geboren. Sie sind ein Verrat an der Religion“, sagte der Papst dort.
Die vielleicht wichtigste individuelle interreligiöse Begegnung des Papstes fand ebenfalls am Samstag, in der den Schiiten heiligen Stadt Nadschaf statt. Dort traf der Papst den Großayatollah Ali Al-Sistani, den höchsten schiitischen Geistlichen des Landes und damit einer der einflussreichsten Männer des Irak mit seiner schiitischen Bevölkerungsmehrheit. Al-Sistanis Rang, der gleiche wie der des verstorben Groß-Ayatollahs Khomeni im Iran, verschafft ihm auch Gehör in der weiteren schiitischen Welt.
Der Großayatollah lebt relativ zurückgezogen und meldet sich selten zu Wort, aber wenn, dann hat es in allen schiitischen Moscheen Gewicht. Etwa als er demokratische Wahlen für das Land einklagte oder die Menschen aufrief, die Waffen gegen den IS zu erheben.
In Nadschaf herrschte eine Ausgangsperre als der Autokorso des Papstes im Zentrum der Stadt unweit der großen Moschee hielt und Franziskus ausstieg. Er ging den Rest des Weges in einer für die Fahrzeuge zu engen Gasse, um das bescheidene Haus zu erreichen, in dem der 90jährige Groß-Ayatollah zur Miete lebt. Ein starker Kontrast zum Papst und dem Pomp des Vatikans.
Iraks christliche Gemeinden sind stark geschrumpft
Über 50 Minuten dauerte das schiitisch-katholische Gipfeltreffen. Als der Papst sich wieder zu Fuß auf den Weg machte, gab es nur eine kurze schriftliche Erklärung Al-Sistanis: „Die Christen sollten wie alle Bürger des Irak in Frieden und Sicherheit leben und ihre vollen verfassungsmäßig garantierten Reche genießen.“
Über die letzten Jahrzehnte sind die christlichen Gemeinden von fast eineinhalb Million Gläubigen auf eine Viertelmillion geschrumpft. Krieg und religiös-motivierte Gewalt hat viele vertrieben.
„Diese Reise des Papstes wird uns ermutigen zu bleiben, standhaft zu sein und zu hoffen und wieder Vertrauen zu gewinnen“, meint Kardinal Sako dazu.
Für die christliche Minderheit war die Papst-Reise natürlich von besonderer Bedeutung. Für viele, wie für diese christliche Familie in Bagdad, ist der Besuch auch ein Anlass ihre Sorgen abzuladen. „Wir haben hier kein Leben. Wir sind wie das Rad eines Spielzeugautos, das sich dreht und dreht im Spiel. Wie ein Spielzeug, das man einem kleinen Kind gegeben hat“, sagte die die irakische Christin Nidhal Selim.
Dabei sind es oft nicht nur die Sorgen eine Minderheit, sondern oft auch die, welche die Christen mit anderen Irakern teilen. „An manchen Tagen haben wir genug, an manchen nichts. Manchmal helfen andere Menschen mit Geld aus, aber wer hat schon genug Geld, um anderen zu helfen? Für uns ist das wichtigste, dass uns jemand zuhört. Wir wollen, die lebensnotwendigen Dinge zur Verfügung haben. Und wir brauchen Stabilität. Wir wollen in Sicherheit kommen und gehen. Wir wollen einfach nur ein gutes Leben haben,“ fügt Nidhal Selim hinzu.
Für Iraks Christen kam der ermutigenste Teil der Reise am Sonntag, als Franziskus per Helikopter nach Mosul geflogen wurde, jener größten Stadt des Landes, den der sogenannte Islamische Staat (IS) über drei Jahre im Griff hatte. Dort hatte deren Chef Abu Bakr Al-Bagdadi vor sieben Jahren das IS-Kalifat ausgerufen, bevor Mosul dann Ende 2017 befreit wurde.
Die militanten Islamisten hinterließen verwüstete Kirchen. Und auch hier erneut ein symbolischer Ort: Auf dem Hosh-Al-Bieaa, dem Kirchplatz umringt von vier Kirchenruinen, hielt der Papst ein „Gebet für die Opfer des Krieges“. Der Exodus der Christen aus dem Irak und anderen Teilen des Nahen Ostens habe nicht nur Individuen und christlichen Gemeinden geschadet, sondern sei ein Verlust für die Gesellschaften, die sie hinter sich gelassen haben“, sagte Franziskus.
„Geschwisterlichkeit ist dauerhafter als Geschwistermord“
Wie grausam sei es, dass das Zweistromland, „die Wiege der Zivilisation einem barbarischen Schlag ausgesetzt war, als alte Orte des Gebetes zerstört und tausende Menschen, Muslime, Christen, Jesiden und andere mit Gewalt vertrieben oder getötet wurden“. Aber, erklärte er weiter: „Heute bestätigen wir unsere Überzeugung, dass Geschwisterlichkeit dauerhafter ist als Geschwistermord, Hoffnung stärker ist als Hass und Frieden mächtiger ist als Krieg“.
Anschließend besuchte der 84jährige die mehrheitlich von Christen bewohnte Ortschaft Karakosh, um dort in der wieder hergerichteten „Kirche der unbefleckten Empfängnis“ sein sonntägliches Angelus-Gebet zu halten. Dort adressierte er vor allem die Christen des Landes mit einer Botschaft der Ermutigung, auch wenn der Weg zu einer vollständigen Heilung noch lang sei.
Für viele auch nicht-christliche Iraker hat die Reise des Papstes vor allem nach Mosul nicht vordergründig einen religiösen Charakter. Seine Anwesenheit in der Stadt symbolisiert einen weiteren Sieg über den IS.
Mosul-Eye, ein Twitter Account von Omar Muhammad, der in Zeiten des IS-Kalifat anonym die Welt über die damals verzweifelte Lage in seiner Stadt informiert hatte, stellte am Sonntag in einem Tweet zwei Fotos nebeneinander. Links ist aus den Zeiten, in denen der IS die Stadt kontrolliert hatte, ein Gemälde an einer Mauer in der Stadt mit einem rauchenden Kolosseum zu sehen und der Prophezeiung, dass der Eroberungszug des IS bis nach Rom führen wird. Rechts ist Papst Franziskus abgebildet, bei seinem Gebet am Kirchenplatz in Mosul. Darüber steht lakonisch an den IS gerichtet: „Wie es begann und wie gerade läuft“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen