Frankfurter Prozess gegen „Reichsbürger“: Aggressive Vorwärtsverteidigung
Im Frankfurter „Reichsbürger“-Prozess gegen Prinz Reuß & Co. wurde die erste Zeugin vernommen – und von der Verteidigung hart angegangen.
Er schafft es tatsächlich, sich zurückzuhalten. Maximilian Eder, 65 Jahre alt und ehemaliger Oberst der Bundeswehr, ist in der Gruppe der mutmaßlichen Reichsbürger-Verschwörer*innen um Heinrich XIII. Prinz Reuß eines der besonders illustren Mitglieder: 38 Jahre lang war er bei der Bundeswehr, diente im Kosovo, in Afghanistan, im NATO-Hauptquartier in Brüssel, bei der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Und er glaubt fest an die antisemitische QAnon-Verschwörungserzählung, dass geheime Machteliten in unterirdischen Tunneln Kinder foltern und ihnen ein Verjüngungselixier abzapfen.
Im Frankfurter Prozess gegen die Führungsriege der von der Bundesanwaltschaft als terroristische Vereinigung eingestuften „Patriotischen Union“ um Prinz Reuß stand Maximilian Eder am Mittwoch im Mittelpunkt. Und der Mann, der so mitteilsam ist, dass er dem Stern ein Interview aus dem Gefängnis gab und, als er kürzlich in München wegen Alkohol am Steuer vor Gericht stand, mehrere Stunden lang über sein Leben und seine Weltsicht redete: Er faltete die Hände und schwieg.
Eine Ermittlerin schilderte die Eckdaten des Lebens von Oberst Eder, von seiner Karriere bei der Bundeswehr über seine vier hochpreisigen Autos bis zu den Schulden, die er trotz eines Ruhegehalts von 4356,12 Euro netto hat. Nichts Brisantes eigentlich. Dennoch griff die Verteidigung fast sämtlicher Angeklagter die BKA-Beamtin immer wieder frontal an. Sogar eine mögliche Manipulation ihrer Aussagegenehmigung wurde suggeriert. Ein kleiner Vorgeschmack, wie es in diesem Verfahren zugehen wird, wenn es ans Eingemachte geht und Zeug*innen zum konkreten Anklagevorwurf gehört werden: dass die „Patriotische Union“ den bewaffneten Umsturz in Deutschland geplant haben soll.
Eders Anwalt Ralf Dalla Fini verwahrte sich dagegen, dass sein Mandant medial als „Verschwörungstheoretiker“ und „Reichsbürger“ dargestellt werde. „Er steht immer noch auf dem Boden des Grundgesetzes“, sagte der Anwalt. Bereits am Vortag hatte er beantragt, das Verfahren gegen Eder einzustellen.
Nicht nur, wie auch andere Verteidiger*innen durchaus nachvollziehbar vorbringen, weil die Aufteilung des Gesamtkomplexes in drei parallele Mammutprozesse in Frankfurt, Stuttgart und München einem fairen Verfahren entgegenstehe. Sondern auch, weil der Ex-Soldat wegen seiner Trunkenheitsfahrten vom Münchner Amtsgericht zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt worden war. Es würde zu weit führen, hier die Argumentation des Anwalts nachzuzeichnen. Nur so viel: Die Erfolgschancen des Antrags dürften begrenzt sein.
Ein Frauenporträt aus dem 18. Jahrhundert
Ebenfalls am vorangegangenen Verhandlungstag hatte erstmals eine der neun Angeklagten selbst das Wort ergriffen: Vitalia B., die Lebensgefährtin von Prinz Reuß, stellte sich dem Gericht als promovierte Kunsthistorikerin vor. Sie referierte die (sehr guten) Noten, mit denen sie ihr Studium an der Universität Heidelberg abgeschlossen habe, nannte sogar das Thema ihrer Magisterarbeit: das empfindsame Frauenporträt im Russland des 18. Jahrhunderts. Und man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie mit ihrer Aussage solch ein Porträt auch von sich selbst entstehen lassen wollte.
Sie male und zeichne gern, sagte die 40-Jährige, sie sticke und stricke, auch im Gefängnis. Außer der Kunst möge sie klassische Literatur, klassische Musik, klassische Philosophie. Und: „den Prinzen“, wie sie ihren fast doppelt so alten Lebensgefährten nannte. „Das ist Liebe.“
Vitalia B. ist die einzige der neun Angeklagten vor dem Frankfurter Oberlandesgericht, denen die Bundesanwaltschaft lediglich die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorwirft, nicht die Mitgliedschaft. Die aus Russland stammende Frau soll ein Gespräch angebahnt haben, bei dem Prinz Reuß dem russischen Generalkonsul in Leipzig von den Putschplänen der „Patriotischen Union“ berichtet habe. Außerdem soll sie bei der Beschaffung und Einrichtung von Satellitentelefonen für die Verschwörer*innen geholfen haben. Zu den Vorwürfen wird sich die Angeklagte erst später äußern, zunächst geht es nur um ihre Person. Doch dass man nicht unschuldiger sein könne als sie – diese Botschaft kam auch jetzt schon an.
Als Tochter aus gutem Hause präsentierte sie sich, gepflegt, wohlhabend und doch bescheiden. Einzige Schwäche: ihr Perfektionismus. Und: „Mein Anwalt hat mich liebenswürdigerweise darauf hingewiesen, dass ich ein ehrgeiziger Mensch bin.“ Weniger Ecken und Kanten kann man kaum zeigen. Nur die erstaunlich hohen Geldsummen, die sie schon als Studentin auf dem Konto hatte und die sie nicht recht erklären wollte, irritierten.
So höflich trat Vitalia B. auf, dass Senatsvorsitzender Jürgen Bonk ihre Befragung schließlich mit Worten beendete, wie sie Angeklagte vor Gericht eher selten zu hören bekommen: „Ich darf mich für das Gespräch bedanken.“ Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Dann will sich der Staatsschutzsenat mit dem Werdegang und den persönlichen Verhältnissen des als Rädelsführer angeklagten Prinz Reuß befassen.
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