Frank Sinatra und sein Berlin-Song: Mit Swing gegen Hitler
Was Frank Sinatra mit Berlin zu tun hat? Der Sänger besang die Stadt 1943zur Unterstützung der US-Armee. Eine Zeitreise zu seinem 110. Geburtstag.
Das Urteil des Vaters war hart. Anthony Martin Sinatra glaubte: „Singing is for sissies!“ – also: „Singen ist für Weicheier!“ Sein Sohn Frank aber ließ sich von der Verachtung für seine Ausbildung nicht beirren, ging seit den 1930er Jahren seinen Weg. Frank Sinatra wurde Sänger, Schauspieler, Legende zu Lebzeiten und gelangte als „The Voice“ zu Weltruhm. Das Singen war seine Bestimmung – und eine kaum bekannte Randnotiz: Sinatra besang einst auch Berlin – im Kampf gegen die Nazis.
Francis Albert Frank Sinatra wurde am 12. Dezember 1915 geboren, diesen Freitag vor 110 Jahren. Seine Karriere ab 1940 war beeindruckend. Der Oscar als „Bester Nebendarsteller“ in „Verdammt in alle Ewigkeit“ war sein Highlight beim Film. Aber vor allem spielte Sinatra 1.800 Songs ein, darunter so bekannte Lieder wie „New York, New York“ und „My Way“, die Klassiker wurden. Ganz anders als sein Berlin-Lied.
Therell be a Hot Time in the Town of Berlin (When the Yanks Go Marching In) hieß der besagte Song – eingespielt 1943 zur Unterstützung des US-Militärs im II. Weltkrieg. Die Botschaft: In Berlin werde es „heiß hergehen, wenn die ‚Yanks‘ einmarschieren“, also die US-Truppen im Kampf gegen das NS-Regime. Der Titel stand am Beginn der ersten Strophe, gefolgt von Sehnsucht: „I wanna be there, boy, and spread some joy, when they take old Berlin.“ („Junge, ich wäre gerne dort, um etwas Freude zu verbreiten, wenn sie das alte Berlin einnehmen.“)
Die weiteren Strophen beschrieben, wie „Brooklyn Boys“ ganz Berlin „auseinandernehmen und niederreißen“ werden: „When the Brooklyn Boys begin to take the joint apart and tear it down, when they take old Berlin.“ Die Sprache des Songs war „Slang“ – und so hieß es über die Jungs aus Brooklyn im Kampf gegen die Deutschen weiter: „They're gonna start a row and show them how we paint the town back, in Kokomo. They're gonna take a hike through Hitler's ‚Reich‘ and change his ‚Heil‘ to ′What ya know, Joe!'“ („Sie werden es richtig krachen lassen und ihnen zeigen, wie es bei uns in Kokomo [Stadt im US-Bundesstaat Indiana – Anmerkung der Redaktion] zur Sache geht. Sie werden Hitlers Reich durchstreifen und sein ‚Heil‘ durch ‚Was geht, Joe!‘ ersetzen.“)
Kämpferischer Text und swingende Melodie
Die Faszination des Liedes beruht auf dem Gegensatz des kämpferischen Textes und der swingenden Melodie. Sinatra besang die erhoffte Zerstörung Berlins mit großer Ruhe, freudiger Coolness und hingebungsvoller Sehnsucht. Die Big Band, die ihn begleitete, brillierte durch galante Zwischenspiele mit Trompete, Saxofon und Klarinette. ‚Moderato‘ stand als Tempo über der Komposition. Das feierliche Lied wirkte durch sein orchestrales Arrangement wie ein vorweggenommener Triumphmarsch des US-Militärs.
Die letzte Strophe war einem überlegenen Männlichkeitsgefühl der US-Truppen mit Blick auf deutsche Frauen gewidmet – und der Befreiung von der NS-Propaganda: „I'm gonna grab a ‚Frau‘ and show her how we paint the town back, in Michigan. I'm gonna take a hike through Hitler's Reich and change that ‚Heil‘ to ‚Gimme some skin‘.“ („Ich werde mir eine Frau schnappen und ihr zeigen, wie es bei uns in Michigan zur Sache geht. Ich werde Hitlers Reich durchstreifen und sein ‚Heil‘ durch ‚Gib mir fünf‘ ersetzen.“)
Swing, Machismo und Coolness gegen die Nazis: Sinatra ging auch im II. Weltkrieg seinen eigenen Weg. Der letzte Blick auf die US-Soldaten spiegelte die Vergangenheit nach dem I. Weltkrieg: „You know that you could never keep ′em happy down on the farm, after they take Berlin.“ („Weißt du, mit dem Leben auf einer Farm werden sie nie wieder glücklich sein, nachdem sie Berlin eingenommen haben.“)
Sophie Tucker hatte bereits 1919 gesungen: „How Ya Gonna Keep 'em Down on the Farm (After They've Seen Paree)?“ („Wie willst du sie auf einer Farm halten, nachdem sie Paris gesehen haben?“) Der Glaube daran war fest, dass US-Soldaten sich nicht nach ihrer Heimat zurücksehnen würden, wenn sie das Leben in einer europäischen Großstadt genossen hätten.
Nur 2 Minuten und 24 Sekunden
Sinatra bot sein Berlin-Lied am 12. April 1943 zum ersten Mal dar, in der „Treasury Star Parade“ des American Forces Radio Service. Der Song dauerte nur 2 Minuten und 24 Sekunden. ‚Heil‘ und ‚Hitler‘ stachen aus ihm hervor – und man muss bedauern, dass „The Voice“ in späterer Zeit nie wieder über Deutschland oder Berlin gesungen hat.
Der Erfolg des Liedes ging mit dem Vormarsch der US-Truppen einher, vor allem nach dem D-Day, bei dem die alliierten Truppen am 6. Juni 1944 im deutsch besetzten Frankreich landeten. Sinatra kommentierte den D-Day am folgenden Tag in seiner Radioshow: „Friends, as I talk to you now, the armed forces of the United Nations are engaged in the greatest crusade of all times.“ („Freunde, wenn ich jetzt zu euch spreche, befinden sich die alliierten Truppen auf dem größten Kreuzzug aller Zeiten.“)
Sein Berlin-Lied sang er danach. Der Song wurde bald darauf von Bing Crosby und den Andrew Sisters neu interpretiert – also von Sinatras Idol und jener Girlgroup, die 1937 mit „Bei mir bist du schön“ bekannt geworden war. Sie nahmen ihre Version am 30. Juni 1944 auf.
Der Songtext erfordert auch einen Abgleich mit der historischen Wirklichkeit. Der Kontrast ist dabei deutlich: Die Schlacht um Berlin im April und Mai 1945 brachte das Ende des NS-Regimes. Sie wurde aber nicht von der U.S. Army geführt, sondern von der Roten Armee. Sinatras Lied blieb nach dem II. Weltkrieg vermutlich auch deshalb weithin unbekannt, weil US-Truppen erst ab dem 4. Juli 1945 in Berlin stationiert wurden – zur Besatzung im Westteil der Stadt.
„The Voice“ konnte am Ende seiner Karriere auf neun „Grammy Awards“ und viele weitere Auszeichnungen der Musikbranche zurückblicken, bis heute schlagen für Sinatra mehr als 150 Millionen verkaufter Alben zu Buche. Das Berlin-Lied ist also kaum mehr als eine Fußnote des musikalischen Gesamtwerkes, aber eine interessante.
Ein letztes Detail: Das Lied spielte auch auf einen Gospel-Song an. „When the Yanks Go Marching In“ erinnerte an When the Saints Go Marching In. Thema dieser christlichen Hymne war der Einzug in das Himmelreich nach dem Jüngsten Gericht. In diesem Sinne: Happy Birthday, Frank!
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