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Die WahrheitGegen Fake helfen nur Luxus und Sport

Armut ist Lüge, Luxus ist Wahrheit. Oder führt zur Wahrheit hin. Oder wie hatte das der verstorbene Pariser Schnösel noch mal gemeint?

N eulich nachts, als ich nicht schlafen konnte, schoss es mir durch den Kopf: „Der Mann hat recht!“ Der Mann ist Jean-Claude Cathalan, der 2022 verstorbene „Präsident“ der Pariser Avenue Montaigne, die quasi das Pendant zur Düsseldorfer Königs­allee ist, nur halt noch größer, schicker, luxuriöser. Paris, quoi. Fünf Jahre ist es her, dass ich Cathalan zum Interview traf und er orakelhaft raunte: „Luxus führt zur Wahrheit hin.“ Damals hätte ich erwidern sollen: „Brillante Erkenntnis, Monsieur le Président. Armut führt also zur Lüge?“ Stattdessen nickte ich brav und grübelte, was mir der weise weißhaarige Mann mitteilen wollte.

Damit bin ich bei der nächsten Begebenheit. Keine Sorge, es fügt sich alles zusammen. Kürzlich saß ich, die Begleitumstände sind unerheblich, in einem fabrikneuen Bentley (Preis: 400.000 Euro). Wie mir der Besitzer das viele Bling-Bling erläuterte, musste ich – die Wege des Gehirns, in meinem Fall Schleichwege, sind unergründlich – daran denken, dass wir in einer Welt leben, die überreich an Fake ist.

Die Leute schleudern mit Fake News um sich, tragen Fake-Designer-Sachen, machen Wahlkampf mit Deep-Fake-Filmchen und faken sich die Gesichter, in der Hoffnung, jünger auszusehen, dabei sehen sie nach den OPs höchstens so aus, als würden sie jünger aussehen. Nur Bentleys oder auch Ferraris oder Lambos gibt es nicht gefakt. Alles an diesen Superluxuskarren ist wahr. Oder hat schon wer einen Fake-Bent­ley gesehen, für ein Zehntel des Originalpreises? Und nicht nur Bentleys sind fakeunfähig, auch viele andere materielle Besitztümer. Autos ganz allgemein. Villen. Yachten. Lauter Wahres für Bares. Je teurer, desto schwerer zu fälschen.

Wie Cathalan predigte, führt Luxus nur zur Wahrheit hin. Man ist dann noch nicht am Ziel, wie sich an Trump und seinen Bros sehen lässt, die auf einem Haufen Kohle hocken, aber nur Bullshit verzapfen. An dieser Stelle, so dachte es in der Bubble meines Kopfes in jener schlaflosen Nacht, kommt der Sport ins Spiel. Ähnlich wie Bentleys sind Sportergebnisse fakeresistent. Nie käme jemand mit der Behauptung durch, im letzten Champions-League-Finale wäre Real Madrid gegen Arminia Bielefeld mit 0:6 untergegangen.

Fakeresistenzen

Um das Fakemonster, das um sich greift, kleinzukriegen, müssen wir also nur fakeresistenten Besitz anhäufen und uns auf sportliche Wettkämpfe fokussieren – zwei Bereiche, auf die in unserer wackligen Welt noch Verlass ist. Millionenschwere Fußballprofis, die zehn Nobelhobel besitzen und unter Meinungsfreiheit die Freiheit verstehen, keine Meinung haben zu müssen (weshalb sie meist erfreulich wenig Fake News verbreiten), zählen zu den letzten Menschen, die ein weitgehend wahres Leben führen. Sie sollten unsere Role Models sein, dachte ich entsetzt, denn nie hätte ich gedacht, einmal solche Gedanken zu haben.

Vor lauter Aufregung fand ich in der ganzen Nacht keinen Schlaf mehr.

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