Fraktionsklausur der Berliner Grünen: Grüne Grüße aus Prag

Die Fraktion der Grünen ging für ihre Klausur nach Prag. Alle Verbrennungsmotoren sollen ab 2030 aus der Berliner Innenstadt verbannt werden.

Führungsspitze der Berliner Grünen auf dem Balkon der Deutrschen Botschaft in Prag

Auf dem berühmten Balkon in Prag: Grüne Ladies und Deutscher Botschafter Foto: dpa

Hier war es also. Auf diesem Balkon der Prager Botschaft, auf dem nun Antje Kapek und Ramona Pop stehen, die Grünen-Fraktionschefin und die Wirtschaftssenatorin. „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise …“ – der Halbsatz, mit dem der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Herbst 1989 Tausenden Menschen im Botschaftsgarten die Ausreise ebnete, ist auf einer Metalltafel auf jenem Balkon festgehalten. 30 Jahre Mauerfall und seine Folgen soll der Grünen-Besuch in der tschechischen Hauptstadt vor Augen rücken – die Bedeutung von Freiheit und Vielfalt.

Es ist das erste Mal, dass die Grünen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus zu einer Klausurtagung ins Ausland gereist sind. Jedenfalls versichern das die Dienstälteren der Fraktion. Nach ersten Überlegungen hätte es auch noch weiter weggehen können als jene vier Stunden Eurocity-Fahrt, die die 27 Abgeordneten samt Mitarbeitern und Pressebegleitung nach Prag bringen: Kopenhagen, die Radfahrerstadt, Wien, das wegen seiner vielen stadteigenen Wohnungen Dauerthema ist, oder Amsterdam waren auch im Gespräch, aber letztlich zu weit weg für eine Dreitagesreise. Jedenfalls mit dem Zug, denn fliegen kam natürlich nicht infrage.

Vier Stunden Zugfahrt statt Radtour nach Kremmen

Zuletzt waren die Grünen nicht so weit gekommen: Bei den vergangenen Klausurfraktionen haben sie es nur knapp außerhalb von Berlins Stadtgrenzen geschafft. Ins brandenburgische Kremmen etwa, wo mancher mit dem Rad hinfuhr, oder nach Hamburg.

Die Grünen wollen die Innenstadt ab 2030 zur „Zero Emissions Zone“ erklären. Innerhalb des S-Bahn-Rings wird es dann ein komplettes Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren geben. Nur noch Autos mit Elektroantrieb wären dann in dieser Zone erlaubt.

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) soll ausgebaut und eine City-Maut oder eine Nahverkehrsabgabe für Autofahrer eingeführt werden. Damit sollen Anreize geschaffen werden, vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Schwere und schmutzige Fahrzeuge sollen schrittweise mehr zahlen, leichte und saubere dauerhaft weniger.

Im Flugverkehr soll es ein striktes Nachtflugverbot zwischen 22 Uhr und 6 Uhr geben. Und Dienstreisen der Berliner Verwaltung innerhalb Deutschlands per Flugzeug sollen ab 2020 tabu sein. (dpa, taz)

Größere Sprünge passen ja auch zu einer Partei, die seit ihrer letzten Klausurtagung in Umfragen um die Hälfte zugelegt hat. Seit Ende 2018 sind die Grünen Spitzenreiter in Berlin und aktuell liegen sie bei 25 Prozent. Das würde natürlich in der Partei niemand zugeben, aber gut möglich ist schon, dass auch der sehr zuvorkommende Empfang durch den Botschafter etwas damit zu tun hat, dass eine der beiden Frauen neben ihm auf dem Balkon in zwei Jahren Ministerpräsidentin, Berliner Regierungschefin, sein könnte.

Ramona Pop wie Antje Kapek haben sich zu ihren Ambitionen bislang nicht äußern wollen – Kapek ist der Frage jüngst im taz-Interview mit dem Hinweis darauf ausgewichen, dass es doch überhaupt toll sei, dass die Grünen so viele Spitzenfrauen hätten. Das Szenario vom Einzug ins Rote Rathaus ist auch in keiner der offiziellen Debatten ein Thema, die es in Prag in den zwei Tagen nach dem Botschaftsbesuch gibt. Dabei ist es natürlich so, dass die Grünen lieber heute als morgen Parlamentswahlen hätten, die eigentlich erst in zwei Jahren anstehen.

Solar-Anlagen-Zwang und Tourismus-Abgabe

Sie haben es ja 2011 schon mal erlebt, wie es passieren kann, bis zur Wahl einen großen Vorsprung zu verlieren. Die Grünen sind vergleichbar mit einer Läuferin, die für den Ende September anstehenden Berlin-Marathon gemeldet ist, aber schon jetzt – acht Wochen vorher – ihre Top-Form erreicht hat. Was kann da nicht noch alles passieren: Umknicken, Formeinbruch, Muskelfaserriss.

Aber offen sagt natürlich auch das keiner. Kapek hat es jüngst im taz-Interview sogar als demokratiefeindlich gebrandmarkt, daran überhaupt zu denken – immerhin sei man für fünf Jahre gewählt.

Es gibt in Prag dafür andere Formen, die neue Souveränität und Führungsposition auszuleben. Während die SPD etwa sich bei ihrer Fraktionsklausur zu Jahresbeginn an ihren Koalitionspartnern abarbeitete, Grüne und Linkspartei in Sachen Wohnungsbau und Verkehr hart kritisierte, machen die Grünen einfach ihr Ding oder „Grün pur“, wie Kapek es nennt.

So fordert die Fraktion in Prag gemäß einem Parteitagsbeschluss Solaranlagen für alle Neubauten und denkt über eine zusätzliche Tourismusabgabe von 5 Euro pro Kopf zugunsten der BVG zumindest nach – 100 Millionen Euro sollen so überschlägig pro Jahr zusammenkommen. Außerdem wollen Berlins Grüne ein „Erneuerbares-Wärme-Gesetz“, das schon im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von Ende 2016 auf wenigen Zeilen skizziert ist. Dieses Gesetz würde bedeuten: Wer seine Heizungsanlage austauscht, muss künftig teilweise über erneuerbare Energie heizen. Im als Vorbild geltenden Baden-Württemberg, wo das nicht etwa die seit 2011 regierenden grünen Parteifreunde eingeführt haben, sondern schon 2010 die CDU, liegt dieser Anteil bei 15 Prozent.

Nur einmal ist in den Prager Tagen offene Kritik an einem Koalitionspartner zu hören: Andreas Otto, langjähriger Bauexperte der Fraktion, hält der Linkspartei vor, kein Interesse an Solardächern auf den Schulneubauten zu haben: „Ist ja auch logisch, ist ja auch keine ökologische Partei“, sagt er. Otto fordert, dass seine Fraktion in ihrem Beschlusspapier festschreibt, dass das Stadtentwicklungsressort nach der nächsten Wahl von der Linkspartei zu den Grünen kommen soll, aber keiner und keine geht darauf in der anschließenden Diskussion ein.

„Nicht auf andere mit dem Finger zeigen“

Als die taz deswegen bei Kapeks Co-Fraktionschefin Silke Gebel nachfragt, verweist die auf eine eher versteckte vorsichtig-kritische Formulierung in dem Beschlussentwurf. Und sagt zur Forderung Ottos nach der Ressortübernahme: „Wir wollen nicht mit dem Finger auf andere zeigen – das wäre kein respektvoller Umgang mit dem Koalitionspartner.“

Klimapolitik, -wandel und -schutz sind die zentralen Punkte der Klausur. Die dafür zuständige Senatorin Regine Günther, erst seit Ende Juni Parteimitglied, ist zugleich die meistkritisierte Grüne in der Landespolitik. Passend zur Klausur ist im Tagesspiegel online zu lesen, sie sei „das personifizierte politische Elend“. Günther selbst wehrt sich bei der Klausur gegen solche Kritik: „Es heißt ja immer, es tue sich nichts – das ist grober Unfug!“ Man habe den Hebel in vielen Bereichen umgelegt. Aber weil es um Maßnahmen in der Infrastruktur gehe – etwa neue Busse und ­Bahnen, die erst über die nächsten Jahre alle im Einsatz sein werden –, „ist die Wirkung vielfach noch nicht sichtbar.“

Günther schildert ihre Sicht der Dinge, als sie Ende 2016 ins Amt kam: „Da hieß es, wir kaufen Gasbusse – da bin ich fast in Ohnmacht gefallen.“ Denn einen fossilen Antrieb gegen einen anderen auszutauschen, das habe sie im Zusammenspiel mit Wirtschaftssenatorin Pop verhindern können. Klimaschutz sei für sie durchaus mit Wohlstandswahrung verbunden, aber: „Wohlstand sichern heißt nicht, dass jeder mit seinem SUV rumfahren kann.“ In der Innenstadt sowieso nicht: Ab 2030 soll die Innenstadt für Autos mit Verbrennungsmotor tabu sein. „Zero Emission Zone“ nennt die ­Fraktion das und schreibt dazu: „Durch die zeitliche Vorgabe sorgen wir langfristig für Planungssicherheit und machen uns ehrlich angesichts der Klimakrise.“

Flug-Boom trotz Grünen-Booms

Es verwundert fast, dass die Reaktion der CDU-Fraktion aus Berlin einen Tag auf sich warten lässt: „Berlins Grüne machen ihrem Ruf als Verbotspartei einmal mehr alle Ehre“, meldet sich schließlich deren verkehrspolitischer Sprecher. Zutiefst unsozial sei das für alle, die sich kein neues Elektroauto leisten könnten. Das gelte auch für eine City-Maut – die allerdings auch beim Grünen-Koalitionspartner SPD nicht gut ankommt. „Mit der SPD wird es keine City-Maut in Berlin geben“, schrieben deren führende Köpfe 2017 in einem gemeinsamen Papier. Aber da lag die SPD noch bei heute unglaublichen 24 Prozent, und die Grünen kamen bloß auf 12.

Während die Klimadebatte im Prager Hotelkonferenzraum „Saphire“ im Gange ist, geht eine passende Meldung der Deutschen Presseagentur raus: Demnach sind an den Berliner Flughäfen in diesem Sommer so viele Leute unterwegs wie noch nie – erstmals fünf Millionen binnen sechs Wochen. „Die Umweltdebatte hat sich jedenfalls nicht auf den Wunsch der Menschen ausgewirkt, zu fliegen“, wird Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup zitiert.

Diese Umweltdebatte ist aber jene, die wohl hauptsächlich für den Grünen-Boom verantwortlich ist. Und so verstärkt der Fluggastrekord die Zweifel daran, wie verlässlich jene 25 Prozent sind, welche die Partei derzeit in Berlin wie bundesweit in Umfragen bekommt. „Volatil“ – flüchtig – nannte Fraktionschefin Kapek jüngst Umfrageergebnisse.

In einem Beschlusspapier zu einer „Grünbauoffensive“ findet sich ein Satz, der auch zu den Zahlen passen könnte: „Noch kann kaum eine andere Großstadt weltweit so viel Grün aufweisen wie Berlin.“ Auf den Ort der Klausur, den die Berliner Gäste nach drei Tagen wieder verlassen, trifft das voll zu: In Prag sitzen die Grünen nicht im Stadtrat – und ihre landesweit rund 1.200 Mitglieder sind weniger, als allein im vergangenen Jahr neu bei den Berliner Grünen eintraten.

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