Fraktionschef der Linkspartei im Interview: "Wir sind der Motor"
Der Hype um die Grünen und Renate Künast werde sich bis zur Wahl 2011 lange abgekühlt haben, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Udo Wolf - und hofft, dass die Linke dann mit Inhalten punkten kann.
taz: Herr Wolf, würden Sie manchmal gern die Zeit zurückdrehen?
Udo Wolf: Nein, warum?
Der 48-Jährige ist seit Oktober 2009 Vorsitzender der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, dem er seit 2001 angehört. Zuvor saß der Bruder des Wirtschaftssenators unter anderem im Landesvorstand der Berliner PDS und arbeitete Anfang der 90er für den Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi.
Sie waren bis 1990 bei der Alternativen Liste, den heutigen Grünen. Und die sind bei den Umfrageergebnissen gerade ganz vorn. Hätten Sie sich damals anders entschieden, wären Sie heute beim Höhenflug dabei.
Dass ich damals bei den Grünen ausgetreten bin, hatte durchaus inhaltliche Gründe. Vor allem den Grund, dass die Grünen kein Verständnis dafür aufbrachten, was die Menschen mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus erlebt haben. Als undogmatischer Linker aus dem Westen wollte ich genauso wie mit den Bürgerrechtlern auch mit Erneuerern und Reformern in der PDS zusammenarbeiten. Davor haben sich die Grünen gedrückt.
Doch heute punkten die Grünen mit ihren Themen.
Ich denke, die Grünen profitieren vor allem von der Schwäche des bürgerlichen Lagers. In dem Maße, wie Schwarz-Gelb Kredit auch im klassischen liberalen Lager verspielt, legen die Grünen zu. Früher hätte das einen Aufschwung im sozialdemokratischen Lager bedeutet. Das ist heute anders.
Die Umfrageergebnisse der Linkspartei sind weitgehend konstant. Aber in den Koalitionsmöglichkeiten, die derzeit diskutiert werden, kommt die Linkspartei selten vor.
Das liegt vermutlich daran, dass wir so unaufgeregt arbeiten. Wir haben über fast zehn Jahre bewiesen, dass wir diese Stadt regieren können. Wir haben gezeigt, dass wir bei wichtigen Reformvorhaben der Motor sind, zum Beispiel bei der Bildungsreform oder Fragen der Daseinsvorsorge. Aber wir bieten für die Medien gerade einfach keine Neuigkeiten. Spannend wird es für uns daher, wenn sich die Aufregung um Künast versus Wowereit gelegt hat und es wieder um Inhalte geht.
Werden sich die fehlenden Neuigkeiten als Nachteil im Wahlkampf erweisen?
Vor allem mit Inhalten Wahlkampf zu machen ist immer eine Herausforderung. Aber da wir nun schon ein Jahr vor den Wahlen diesen riesigen Hype mit Künast und Wowereit haben, wird sich das wohl bis zum nächsten September abgekühlt haben.
Wie gut kennen Sie Renate Künast?
Sehr gut und sehr lange. Sie war damals, als ich und mehrere andere die Grünen verlassen haben, eine der wenigen, die noch mit uns gesprochen hat. Und nicht gesagt hat: Wer geht, ist ein Verräter.
Haben Ihnen das viele vorgeworfen?
Ja. Wir hatten viele Anfeindungen, als wir sagten, dass wir gehen. Es gab auch eine ganze Reihe von Freunden und Freundinnen aus den Reihen der Grünen, bei denen sich in dem Moment herausgestellt hat, dass es mit der Freundschaft eher dünn ist.
Hat sich das normalisiert?
Auf Berliner Ebene: ja. Aber um auf den Hype zurückzukommen: Ich glaube, bei den Wahlen wird es auch darum gehen, wer solide Arbeit macht. Und daher haben wir gute Chancen.
Sollten Sie nicht trotzdem mal einen Kopf an der Spitze präsentieren?
Wir haben mindestens drei Köpfe, die schon sehr bekannt sind. Das sind unsere beiden Senatorinnen und unser Senator. Und auch mit dem weiteren Personaltableau und zusätzlich mit denen, die nachgekommen sind, können wir uns jederzeit sehen lassen.
Sie haben sich selbst außen vor gelassen. Sie stehen als Fraktionschef doch auf der Shortlist für die Spitzenkandidatur, oder?
Ich glaube, wir haben ein Jahr vor der Wahl noch genügend Zeit, unsere Wahlkampfstrategie zu personalisieren. Wir müssen nicht jetzt schon unsere Personalaufstellung in den Mittelpunkt stellen. Sollen sich Wowereit und Künast erst einmal eine Runde abarbeiten. Wir setzen Themen, und dann schauen wir mal, wie es im ersten Quartal 2011 aussieht.
Ein Streitthema der Koalition ist die Verlängerung der A 100. Wenn es zu einer Neuauflage von Rot-Rot kommt, werden Sie sich dagegen einsetzen?
Ja, das haben wir auch 2006 getan. Nur hatten wir damals ein vergleichsweise bescheidenes Wahlergebnis. Daher konnten wir diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen.
Das kann im nächsten Jahr genauso passieren.
Der Unterschied ist, dass das Thema mittlerweile in der gesellschaftlichen Debatte angekommen ist, es gibt eine Mobilisierung und damit ordentlich Rückenwind gegen das Vorhaben. Das hat Potenzial wie bei den Protesten zu Stuttgart 21. Und die SPD ist bei dem Thema gespalten. Beides kommt uns zugute. Wenn die SPD das Projekt durchsetzen wollte, hätte sie nur noch eine Option: Sie müsste mit der CDU koalieren.
Und die A 100 zur Volksabstimmung stellen, wie Wowereit das jetzt bei Großprojekten angeregt hat?
Gäbe es die Möglichkeit, auch als Regierung Volksentscheide anzuregen, würde ich das begrüßen. Aber dafür müssten wir die Verfassung ändern, und das braucht eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. Was innerhalb eines Jahres nicht so einfach ist, wie wir es gerade beim Wahlalter 16 erleben.
Also waren Wowereits Äußerungen nur heiße Luft?
Ich freue mich zumindest, dass Wowereit Plebisziten nun mehr abgewinnen kann als in der Vergangenheit. Das ist vor allem im Hinblick darauf gut, dass Bürger die A 100 ja tatsächlich zum Thema eines Volksbegehrens machen könnten.
Der Senat hat in der Vergangenheit auch Kampagnen gegen Volksbegehren gefahren - zum Beispiel gegen Pro Reli.
Das waren Volksbegehren gegen die Regierung. Es gibt auch solche, bei denen wir das Gleiche wollen, zum Beispiel beim Volksbegehren für eine bessere Kita-Betreuung. Da haben wir uns mit den Initiatoren geeinigt.
Wie ist das bei dem Volksbegehren zur Offenlegung der Verträge über die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe?
Im Kern wollen wir auch hier das Gleiche wie die Initiatoren. Wir sind nur der Meinung, dass einer der Paragrafen in dem Gesetzesentwurf der Initiative verfassungswidrig wäre. An diesem Punkt können wir den Entwurf nicht mittragen, haben aber immer an der Veröffentlichung der Verträge gearbeitet und nach Wegen gesucht, wie die Wasserbetriebe rekommunalisiert werden können.
Welche Wege könnten das sein?
Vorstellbar wäre für uns, die Anteile von RWE und Veolia zurückzukaufen. Das ginge, wenn Berlin dafür Kommunalkredite aufnimmt. Da geht es um ziemliche Summen - Berlin hatte die Wasserbetriebe 1999 für umgerechnet 1,7 Milliarden Euro verkauft. Aber wenn ein Rückkauf gelänge, brächte das sichere Einnahmen für das Land und niedrigere Wasserpreise für die Bürger.
Jetzt hat die taz die Verträge veröffentlicht, der Wirtschaftssenator hat mittlerweile ihre Echtheit bestätigt. Rückt die Rekommunalisierung näher?
Es ist gut, dass jetzt jeder lesen kann, was das für ein unsäglicher Vertrag war, den CDU und SPD 1999 bei der Teilprivatisierung abgeschlossen haben. Der Weg zur Veröffentlichung, den Rot-Rot gemeinsam mit den Grünen durch die Änderung des Informationsfreiheitsgesetzes ermöglicht hat, wäre langwieriger gewesen. Und den Verhandlungen des Wirtschaftssenators mit den Privaten über die Tarifentwicklung dürfte es auch nicht schaden. Ob letztlich die Rekommunalisierung gelingt, ist leider nicht allein eine Frage des guten Willens. Denn wir würden zwar gern kaufen, RWE und Veolia aber derzeit nicht verkaufen.
Wenn es trotzdem zum Volksentscheid kommt - wird es eine Gegenkampagne geben?
Es wird keine Kampagne gegen den Volksentscheid geben. Weil wir aber davon ausgehen, dass einer der Paragrafen verfassungswidrig ist, werden wir auch nicht empfehlen können, beim Volksentscheid zu zu stimmen.
Richtig aktiv geht es in letzter Zeit bei der Berliner Linkspartei nicht voran. Das Klimaschutzgesetz stockt, und auch der Kompromiss zur A 100 bedeutet ein Abwarten.
Wir arbeiten ziemlich aktiv am Partizipations- und Integrationsgesetz und der Neuordnung der Jobcenter. Bei der A 100 haben wir mit der Entscheidung, dass in dieser Legislaturperiode keine Bagger rollen, ein Zeitfenster geöffnet, in dem eine Debatte stattfinden kann. Das finde ich nicht passiv.
Die Vorbereitungen laufen aber trotzdem weiter.
Ich finde die Entscheidung, dass nicht gebaut wird, einen Erfolg und das lasse ich mir auch nicht kleinreden. Was das Klimaschutzgesetz angeht, haben wir einen Konflikt zwischen klimapolitischen Zielen und der Frage, inwieweit das Mieter oder Besitzer kleiner Eigenheime belastet. Da einen Kompromiss zu finden, der gerecht und auch rechtssicher ist, kostet einfach Zeit.
Also schon Stillstand.
Nein, es ist ein schwieriger Abwägungsprozess, der durch bundespolitische Entscheidungen zum Nachteil von Mietern nicht leichter geworden ist. Ich bin zuversichtlich, dass wir Ende November zu Entscheidungen kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“