Fragliche Abschiebepraktiken: Rassismus gegen Dealer?
Andreas Geisel (SPD) begleitete einen Polizeieinsatz im Görlitzer Park. Ein Offener Brief kritisiert den Innensenator nun scharf.
In Videoclips, welche die B. Z. veröffentlichte, erzählt Geisel im Görlitzer Park, eine Delegation aus Guinea halte sich in Berlin auf, welcher „Dealer“ ohne Dokumente „vorgeführt“ würden. Die Delegation entscheide dann, ob es sich um guineische Staatsbürger:innen handle – falls ja, würden die Betroffenen abgeschoben. In 15 von 22 Fällen sei das bereits „bestätigt“ worden.
Im offenen Brief heißt es, Geisel habe guineische Menschen mit Drogendealern gleichgesetzt. Es scheine ihm „allein um den populistischen Vorwahlkampf“ zu gehen. Diese Vorwürfe wies Martin Pallgen, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Inneres, als „vollkommen absurd“ zurück. Der Senator habe die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft Görlitzer Park vorgestellt und dabei „klar gemacht, dass racial profiling in der Berliner Polizei verboten ist“.
Allerdings bestätigte Pallgen die Praxis, ausreisepflichtige Geflüchtete vor Delegationen ihrer vermeintlichen Herkunftsländer vorzuführen. Eine „entsprechende Expertenkommission“, bestehend aus „ermächtigten Bediensteten“ des vermuteten Herkunftslandes, sei tätig geworden.
Abschiebungen mit ungewissen Ausgang
Diese Praxis kritisierten der Berliner Flüchtlingsrat und andere Organisationen am Dienstag in einer Pressemitteilung scharf. So sei etwa „höchst fragwürdig“, wie die guineische Delegation arbeite oder wie sie sich legitimiere. Zudem käme es bei solchen „Zwangsvorführungen“ immer wieder zu körperlicher Gewalt.
Ohnehin lasse die Lage in Guinea keine Abschiebungen zu. Neben der Coronapandemie bahne sich durch eine erneute Ausbreitung des Ebola-Virus eine humanitäre Katastrophe an. Zudem gingen von Präsident Alpha Condé, der sich letztes Jahr via Verfassungsreform weitere Amtszeiten sicherte, unter anderem „willkürliche Übergriffe gegen Zivilist*innen und Demonstrant*innen“ aus, so Balde Aissatou Cherif von der Organisation Guinée-Solidaire in der Mitteilung.
Ob die Delegation von ebenjener Regierung gestellt wird, ist unklar. Pressesprecher Pallgen schrieb der taz, nähere Details könnten aus Geheimhaltungsgründen nicht ausgeführt werden. Laut Flüchtlingsrat steht für die vermeintlichen Guineer aber am 15. März ein Charter-Abschiebeflug parat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles