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Fotoschau übers Radfahren auf dem RadVehikel der Veränderung

Das Radfahren mit einem subkulturellen Anspruch: Die durch Berlin rollende Fotoschau „Easy Rider Road Show“ zeigt die Freiheit auf Rädern.

Schauen aus wie The Wild Ones: die Mitglieder vom Chilango Low Bike Club Foto: Joeffrey Guillemard

Berlin taz | Warum es sich lohnt, das Auto dieses Wochenende stehenzulassen und sich stattdessen auf den möglicherweise etwas angestaubten Drahtesel zu schwingen? Die Easy Rider Road Show, eine mobile Fotoausstellung über Fahrräder auf Fahrrädern, tourt im August und September jedes Wochenende kreuz und quer durch Berlin: Auf Lastenrädern sind fotografische Projekte zu bestaunen, deren Prot­ago­nis­t*in­nen das Fahrrad wahlweise als Freiheitsversprechen, Glücksbringer, punkigen Pogo oder utopisches Vehikel interpretieren.

Die Ausstellung widmet sich Subkulturen, deren Nabe das pedalgetriebene Zweirad ist. Nun sind Subkulturen ohnehin spannend, und wenn sie dann noch um das klimaneutralste und lebenswerteste aller Fortbewegungsmittel kreisen (von den eigenen Beinen einmal abgesehen), sind sie Grund genug, alles stehen und liegen zu lassen, aufs Rad zu hüpfen und nach New York, Mexiko-Stadt, London oder wenigstens bis nach Kreuzberg zu radeln und anzuheuern, bei den „Bike Wars“ beispielsweise.

Dort treten die punkigen Wett­strei­te­r*in­nen auf selbst zusammengeschweißten Rädern solange gegeneinander an, bis nur noch ei­ne*r sattelfest sitzt. Die übrigen Räder werden in ihre Einzelteile zerlegt. Schönes bauen, ohne Angst, es zu verlieren oder kaputtzumachen, lautet die Devise der Bike Wars – viele milliardenschwere Unternehmen täten gut daran, sich ein Beispiel zu nehmen.

Die Schau

Easy Rider Road Show: Eine rollende Fotoausstellung auf den Straßen Berlins ab 14. August an jedem Wochenende im August und September, Start ist zumeist das Märkische Museum, Mitfahren ist erwünscht. Info: musuku.de

Der erste Bike War fand 2006 im Rahmen des Karnevals der Subkulturen statt – eine Alternativveranstaltung zum Umzug des Karnevals der Kulturen.

Inspiriert wurden die Berliner Bike Wars vom New Yorker Bike Kill, dessen An­hän­ge­r*in­nen bereits in den neunziger Jahren begonnen haben, Hochräder zu bauen, die sich an viktorianischen Modellen aus der Frühzeit des Fahrrads orientierten.

Die wilde Performance beim Bike Kill Foto: Julie Glassberg

In seiner Anfangszeit, vor mehr als zweihundert Jahren, fungierte das Fahrrad nämlich als Spielzeug reicher Leute, bis die Frauenbewegung es sich zu Nutzen machte: Mithilfe des Fahrrads konnten Frauen allein und autonom unterwegs sein und sich dank der praktischen Notwendigkeit des Radfahrens zugleich von ein­engenden Kleiderordnungen befreien. Das Fahrrad war also immer schon mehr als nur Verkehrsmittel: Es ist ein Vehikel der Veränderung.

Veränderung bewegen wollen auch die Londoner BikeStormz: „knifes down, bikes up“, Messer runter, Räder hoch, lautet ihr Motto, um Jugendliche von den Versuchungen der Straße fernzuhalten und zu akrobatischem Cruisen zu animieren. Mittlerweile genießen die zweijährig stattfindenden BikeStormz den Status eines nationalen Ereignisses: Tausende junge, zumeist männliche Radfahrer fahren zusammen, virtuose moves vollführend, wie den Wheelie, bei dessen Ausführung gilt, das Vorderrad immerzu in der Luft zu halten. Als positiven Nebeneffekt lernen die Jugendlichen ihre Stadt kennen, von der sie kaum mehr als die Straßen ihres Viertels gesehen haben. Radfahren, das zeigen die Schwarz-Weiß-Fotografien junger, ganz unterschiedlicher Menschen von Adam Corbett, ist freiheitsstiftend, zugänglich und universell.

Damit auch in Berlin noch mehr Menschen zum klimafreundlichen Gefährt greifen, bedarf es jedoch der entsprechenden Strukturen: Wer mehr Fahrradwege säe, sagt zum Beispiel Johanna Schelle von dem Berliner Projekt Radbahn, ernte auch mehr Fahrradfahrer*innen. Immerhin verfüge statistisch betrachtet jeder Berliner Haushalt über mehr als ein Fahrrad. Die Idee zur Radbahn entstand 2015: Zwischen Tauentzienstraße und Oberbaumbrücke soll unter und entlang der Hochbahn der Berliner U-Bahn-Linie U1 ein begrünter Radweg entstehen.

Autofreie Tage hat man auch in Mexiko-Stadt eingeführt: An Sonntagen sind die Hauptstraßen für den Autoverkehr gesperrt. Umso mehr Aufsehen erregen die vom französischen Fotografen Jeoffrey Guillemard porträtierten Mitglieder des Chilangos Lowbike Club, wenn sie auf ihren tiefergelegten, verchromten, mitunter vergoldeten Lowridern die Straßen einnehmen: mit Spiegeln an Lenkrädern, Bananensatteln und nachgeahmten Auspuffrohren entsprechen die Chilangos in ihrer Rad-Ästhetik dem Stereotyp Gangster.

Tatsächlich sind sie ein weiteres Beispiel dafür, dass es selten ratsam ist, von der Ästhetik auf den Inhalt zu schließen: Denn die Mitglieder, Männer und Frauen, lehnen Klankriminalität und Drogen ab, unterstützen sich innerhalb ihrer Gemeinschaft und scheuen sich auf ihren sonntäglichen Ausflügen nicht, auf ängstliche Pas­san­t*in­nen zuzugehen und den fahrenden Beweis dafür zu liefern, dass Be­woh­ne­r*in­nen armer Viertel nicht automatisch Kriminelle sind.

In diesem Sinne bietet die Easy Rider Road Show – ein Projekt des Museums der Subkulturen in Kooperation mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin – Gelegenheit, den eigenen Hintern hochzukriegen und dabei über die dokumentarische Arbeit verschiedener Fo­to­gra­f*in­nen Vor­rei­te­r*in­nen kreativer Lebensweisen kennenzulernen, die sich abseits kapitalistischer Normzwänge und kurzlebigen Konsums bewegen.

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