Foto-Ausstellung über Moria: „Fürchterlicher Alptraum“

Eine kluge Ausstellung in Hildesheim versucht mit der Not der Geflüchteten im Lager Moria umzugehen, ohne sie dem Voyeurismus preiszugeben.

Selbstporträt einer Frau aus Afghanistan

Rabia ist 32 und aus Afghanistan geflohen – ihre Flucht endete zunächst in Moria Foto: nowyouseememoria.eu

HILDESHEIM taz | Als im August Kabul an die Taliban fiel, da wollten sie nicht einfach tatenlos zusehen, hier im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim. Sie wollten sich einmischen. Also zeigen sie eine Ausstellung, die sonst erst 2022 zu sehen gewesen wäre, schon jetzt. Und das ist, doch, doch, bemerkenswert. Schließlich sind Museen meist eher schwerfällig. „Now you see me Moria“ kommt nun zu einer Zeit, in der das Elend der Menschen in Afghanistan hierzulande wieder aus dem Blickfeld gerät, vergessen wird, so wie jene, die in Internierungslagern weggesperrt werden, wie Moria auf der griechischen Insel Lesbos eines war.

Eine Frau starrt traurig ins Leere, sie trägt ein Kopftuch, das auch ihr Schal ist, dazu Mantel und Jogginghose, im Hintergrund ist das blaue Meer. Sie heißt Rabia, ist 32 und kommt aus Afghanistan. Der Gedanke an eine Rückkehr dorthin sei ein „fürchterlicher Alptraum“, sagt sie, und dass sie völlig verängstigt gewesen sei, als sie Moria erreichte. „Moria, wo es nur Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und die Angst seiner Bewohner gibt.“ Es ist ein Selbstporträt.

Dass das Leben in Moria die Hölle ist, weiß jeder, der es wissen will. Aber erst durch die Bilder von dort dringt das auch zu uns durch. Und weil keine Jour­na­lis­t*in­nen in diese Lager dürfen, sind wir auf die Fotos der Geflüchteten angewiesen. Fotos wie diese 15 hier, zu denen nun noch ein Film aus Moria kommt. Auf dem Instagram-Kanal „now_you_see_ me_moria“, der auch die Ausstellung speist, wurden inzwischen fast 2.300 Fotos und Videos gepostet. Er hat rund 37.400 Abonnent*innen. Dieter Bohlen hat 1,6 Millionen.

Die Fotos haben vor allem dokumentarischen Wert, und die Ausstellung verzichtet klug darauf, sie museal zu ästhetisieren oder zur Kunst zu erheben. Wie Plakate hängen sie an den Wänden des Foyers, ohne Rahmen sind sie einfach auf die Wand geklebt. Dort können die Besuche­r*in­nen sie auch kaum ignorieren, auf ihrem Weg in eine Ausstellung über Seuchen, das alte Ägypten oder Modelleisenbahnen. Trotzdem wirkt das Arrangement weder unangenehm aufdringlich noch belehrend. Und man kann die Fotos ganz umsonst sehen, wenn man auf den Museumsbesuch verzichtet. Sie wollten an den Geflüchteten kein Geld verdienen, sagt die Kuratorin Andrea Nicklisch.

Harmlose Anmutung

Ein Zelt ist notdürftig mit Planen und Decken abgehängt, es steht auf Holzpaletten. Der Lebensraum der Menschen, die hier hausen, versinkt in Finsternis, aber ein fein säuberlich aufgereihtes Paar Schuhe vor dem Zelt suggeriert einen Rest von Ordnung und Normalität. Ein paar Bilder weiter braten Frauen auf einem Campingkocher Fische, daneben spielen zwei Männer ein Brettspiel, umringt von anderen, ein Mann sitzt mit dem Handy in der Hand vor einer Traube Luftballons. 2.500 Menschen sollten in Moria leben, 18.000 waren es, bevor das Lager abbrannte. „Die Fotos wirken harmlos und alltäglich“, sagt Nicklisch, „die Dramatik ergibt sich aus dem Kontext und den Begleittexten“.

Zwar wurden die Menschen nicht gefragt, ob sie hier im Museum hängen wollen. Würden sie sich beschweren, müsste man die Fotos abhängen. Aber natürlich lässt sich die Botschaft dieser Ausstellung nicht vermitteln, ohne auch die Menschen zu zeigen. Und es sind ja die Geflüchteten selbst, die all diese Szenen fotografieren – um uns darauf aufmerksam zu machen, was in diesen Lagern passiert.

Die Ausstellung verzichtet gleichwohl darauf, das ganze Ausmaß der humanitären Katastrophe in allen schlimmen Details zu dokumentieren. Sie entgeht auch damit der Gefahr, unseren Voyeurismus zu bedienen. Die verbrannten Hände einer Frau etwa, die sich selbst angezündet hat, sie sind nicht zu sehen. Dafür gibt es ganz bewusst einen Schwerpunkt auf Menschen aus der schwarzen Community, auf Frauen und Kindern. „Sie sind häufig die Schwächsten in den Dynamiken von Krieg und Vertreibung und bedürfen eines besonderen Schutzes“, sagt Nicklisch.

Ein paar Männer sitzen im Kreis, mit Gitarre in der Hand – es fehlt nur das Lagerfeuer, und das Bild könnte beinahe etwas Romantik ausstrahlen. Vielleicht liegt darin auch die Gefahr, dass manch ei­ne*r sagt: Siehst du, die haben es doch gar nicht so schlecht.

Bis 16. Januar 2022, Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim

Dann schlendern gleich daneben ein paar Kinder eine staubige Schotterpiste entlang, die von einem hohen Stacheldrahtzaun begrenzt wird, an dem Wäsche trocknet. Dahinter ist das Grün der Bäume für sie nur zu erahnen. Und Schulen gibt es hier auch keine. Europa beginnt erst hinter diesem Zaun. Jedenfalls das Europa, das sich hehrer Werte rühmt und vieler Menschenrechte. Freiluftgefängnisse wie diese sind ein Friedhof der Menschenrechte, auf dem Griechenland als ohnehin eher dysfunktionaler Staat nur jene Politik der Abschreckung exekutiert, die seit langem politischer Mehrheitswille der EU ist.

„Der dünne Vorhang der humanitären Hilfe verdeckt die dunkle Realität eines desaströsen Kapitalismus“, sagt die schwarze Aktivistin Ophélie Lawson eingangs der Ausstellung. Das rührt an vielen ganz großen Fragen. Fotos können da wenig ausrichten. Sie hinterlassen uns hilflos. Aber sie können zumindest dazu beitragen, diese Menschen ein wenig vor dem Vergessen zu bewahren.

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