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Fotografie von Gursky und AndreaniIn der Terra dei Motori

In zwei Ausstellungen nahe Bologna zeigen Andreas Gursky und Giulia Andreani, wie unterschiedlich Fotografie sein kann. Auch mit Blick auf Düsseldorf.

Ausstellungsansicht von Giulia Andreanis „L’Improduttiva“ in der Collezione Maramotti, 2023 Foto: Dario Lasagni, © Giulia Andreani, Galerie Max Hetzler Berlin | Paris | London

Derweil laufen in der italienischen Emilia Romagna um Bologna zwei große Ausstellungen, die einen gewissen Vorgeschmack darauf geben könnten, was einmal im geplanten Deutschen Fotoinstitut verhandelt wird. Einander gegenübergestellt sind dort die fotografische Malerei der französisch-italienischen Künstlerin Giulia ­Andreani und die malerische Fotokunst des Düsseldorfers ­Andreas Gursky.

Kunststar Gursky, ein Schüler von Bernd und Hilla Becher, hatte sich auch dafür eingesetzt, dass Düsseldorf zum Standort des zukünftigen Deutschen Fotoinstituts wird und nicht das von einer Expertenkommission favorisierte Essen.

Die Ausstellungen

„Visual Spaces of Today“: Andreas Gursky, MAST, Bologna, bis 7. Januar 2024

„L’improduttiva“: Giulia Andreani, Collezione Maramotti, Reggio Emilia, bis 10. März 2024

Der Reichtum der beliebten Urlaubsstadt Bologna stammt aus dem Hinterland. Die Terra dei Motori ist nicht nur Heimat von Edelmarken wie Lamborghini oder Maserati, sondern auch zahlreicher hiermit eng verbundener Hidden Champions der Maschinen- oder Lebensmittelindustrie. G.D, eine vor hundert Jahren gegründete Motorradfabrik, die nun als Teil der Coesia Group weltweit Verpackungsmaschinen herstellt, finanziert auf ihrem Firmengelände das prächtige Fotomuseum MAST.

MAST tritt wie ein öffentliches Museum auf, ist jedoch stark nach dem Gusto der Inhaberin und mehrfachen Milliardärin Isabella ­Seràgnoli hin ausgelegt, die hauseigene Sammlung mit 5.000 historischen Fotoarbeiten widmet sich vornehmlich industriellen Themen.

Die Zusammenhänge der Weltwirtschaft als Tafelbild

Dort richtete nun der Schweizer Gastkurator Urs Stahel eine umfangreiche Gursky-Werkübersicht ein. Gursky, Jahrgang 1955, hat sich mit einprägsamen Bildern zu Orten der Globalisierung einen Namen gemacht. Das Großfoto „Salerno I“ von 1990 zu Beginn der Ausstellung „Visual Spaces of Today“ verkoppelt Automobilindustrie, Containerhafenwirtschaft und Massenwohnungsbau vor weitläufiger Berglandschaft zu einem präzisen Tafelbild.

Weltwirtschaft auf einen Blick: „Salerno“, 1990, von Andreas Gursky, im Museum MAST Foto: © Andreas Gursky, by SIAE 2023; Courtesy: Sprüth Magers

Auch spätere seiner Aufnahmen von Hotels, Warenverteilzentren, Massenkonzerten, Agroindustrie oder Rennplätzen dröseln die Zusammenhänge der Weltwirtschaft visuell auf, zeigen aber nicht mehr die analytische Komplexion früherer Arbeiten. Über Jahrzehnte bot Gursky so ein Bildrepertoire des Turbokapitalismus.

Doch dann, so sieht man, verzehrte er sich in der Glamourfotografie. Die massive digitale Bearbeitung, das Collagieren oder die Überlagerung mehrerer Aufnahmen, bereinigte seine gravitätischen Bilder zu sehr um Widersprüche. „El Ejido“ von 2017 zeigt in die Tiefe gestaffelte Plastikgewächshäuser in Südspanien, der Künstler meinte aber im Vordergrund noch Plastikbeutel an den Straßenrand hinmontieren zu müssen.

Sah Gursky vorher Strukturen, quatschen uns nun viele seiner Bilder voll. Subtil erscheint dagegen die Luftaufnahme einer Tulpenplantage von 2016. Ihre bunten Streifen erinnern an Farbfeldmalerei, nur einzelne Plantagenar­bei­te­r:in­nen sind darauf zu erkennen.

Das ikonisch bereinigte „Rhein“-Bild

Der Fotograf Gursky scheint mittlerweile zur Marke erstarrt. In Düsseldorf, wo sein ikonisch bereinigtes „Rhein II“-Bild auch in der Staatskanzlei hing, trat Gursky mit dem Verein zur Gründung und Förderung eines Deutschen Fotoinstituts dem Standort- und Richtungsstreit des künftigen Instituts bei. Dessen Vereinsvorsitzender, der einstige Gursky-Student Moritz Wegwerth, sitzt nun in der Gründungskommission des Deutschen Fotoinstituts.

Auf einen anderen Düsseldorfer Großmeister, Gerhard Richter, bezieht sich Giulia Andreani. Sie führt Richters auch die Fotografie behandelnde Malerei in historisch-kritische Untiefen. In der Collezione Maramotti auf dem Werksgelände der Modemarke Max Mara, wo Andreani gerade ihre Ausstellung „L’improduttiva“ zeigt, hängt auch Richters „Kleiner liegender Akt“.

Er ist Teil einer Sammlung mit Malerei und Skulpturen der westlichen Nachkriegs-Hemisphäre, die der 2005 verstorbene Firmenpatriarch Achille Maramotti anlegte. Richters Akt entstand 1967 nach einem schwarzweißen Amateurbild für die Düsseldorfer ­Ausstellung „Sex und Massenmord“.

Auch Andreani, Jahrgang 1985, recherchiert historische Aufnahmen und Archivmaterial für ihre Gemälde und setzt sie nach Collagetechniken zusammen, orientiert sich dabei etwa an der Dadaistin Hannah Höch. Indem sie alles in Payne’s Grey überführt, einer altmeisterlich anmutenden Farbmischung aus Preußischblau, gelbem Ocker und Karminrot, sind ihre Bilder auf sanfte Modulationen der Aquarellmalerei heruntergebrochen – im Kontrast zu den knallbunten Fotos von Gursky.

Archivarisches aus der Zeit des italienischen Faschismus

Andreani widmet sich in der Collezione Maramotti der Geschichte des Ortes während der Zeit des italienischen Faschismus. Im Zentrum steht eine Aufnahme aus der Schneiderschule von Giulia Maramotti, Mutter des Firmengründers Achille. Aus dieser und anderen historischen Abbildungen entwickelt Andreani ihre „Malerei mit Fotografie“.

Entstanden sind gespenstische Bilder, anonyme Ar­bei­te­r:in­nen aus der Werksgeschichte werden wieder sichtbar. Andreanis Vermalungen changieren zwischen dokumentgleicher Präzision und wässrigem Grauschleier. Ihre auch feministische bildliche Rekonstruktion der Vergangenheit bricht mit Richters männlich konnotierter Gewalt von „Sex und Massenmord“.

Die opulenten Tafelbilder von Andreas Gursky erinnern an die Maschinen-Nähe des Fotografischen, die Grauzonen von Giulia Andreani hingegen zeigen, wie verstreut Bildquellen sein können.

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