Die spanische Stadt El Ejido: Wo Tomaten im Winter reifen
„Das Wunder von Almería“ nennen die Einwohner die niedrige Arbeitslosigkeit in ihrer Stadt. Die ist reich, rechts und ausländerfeindlich.
Der Mann, der mit seinem klapprigen Fahrrad über den Schotter rumpelt, kommt vom Wasserholen. Zwischen seinen Beinen balanciert er einen randvollen Kanister. Sein Ziel ist ein Ort ohne Namen, mitten im andalusischen Nirgendwo, in dem Menschen leben, die in keiner Statistik auftauchen. Etwa 50 notdürftig mit Seilen und Plastikplanen zusammengehaltene Holzhütten lehnen hier windschief aneinander. Es gibt keine Kanalisation und kein fließendes Wasser. Also zapfen die Bewohner eine nahe gelegene Leitung an, die eigentlich zum Bewässern der Gemüsefelder dient.
Die Szene spielt an einem Dezembermorgen unweit von El Ejido. Die südspanische Stadt ist seit Tagen in den Schlagzeilen. Bei der andalusischen Regionalwahl Anfang des Monats stimmten hier rund 30 Prozent der Wähler für die rechtspopulistische Partei Vox, die damit zum ersten Mal in einer spanischen Stadt zur meistgewählten Partei wurde. „Ein Wunder ist das nicht“, sagt ein älterer Herr auf der Haupteinkaufsstraße von El Ejido. „Wir haben hier Riesenprobleme mit der illegalen Einwanderung. Die Leute wollen, dass endlich hart durchgegriffen wird.“
53.000 Menschen sind der EU-Grenzschutzagentur Frontex zufolge in den ersten elf Monaten des Jahres illegal über die westliche Mittelmeerroute nach Spanien gelangt – mehr als doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum 2017. Ein Großteil von ihnen landet in der Provinz Almería, nicht wenige enden in einer der zahlreichen, notdürftig errichteten Barackensiedlungen. Eines der Wahlversprechen von Vox: die Abschiebung aller illegalen Einwanderer.
Negative Schlagzeilen
Außerdem fordert die Partei den Bau einer Mauer rund um die nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Beim Wahlkampfauftakt Mitte November sagte Spitzenkandidat Francisco Serrano: „Es kann nicht sein, dass es an unseren Grenzen keinerlei Kontrollen gibt. Wir brauchen eine Regulierung der Immigration.“ Als Ort für die Veranstaltung hatte Vox nicht etwa Sevilla gewählt und auch keine der Provinzhauptstädte, sondern El Ejido. Der gemietete Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Meer aus Plastik“ Mar de plástico nennen die Spanier die Gegenden der Provinz Almería, in denen es kaum etwas anderes zu sehen gibt als Gewächshäuser, wie zum Beispiel rund um El Ejido. Das wahre Ausmaß wird aus der Luft deutlich: Da die Gewächshäuser das Sonnenlicht reflektieren, gehört das „Meer aus Plastik“ zu den wenigen Bauwerken, die auch aus dem Weltall mit bloßem Auge zu erkennen sind.
Gemüsebau Auf 30.000 Hektar betreiben die andalusischen Obst- und Gemüsebauern in der Provinz Almería intensive Landwirtschaft, insgesamt arbeiten in dem Sektor rund 90.000 Menschen – zwei Drittel davon sind Einwanderer.
Touristische Region Andererseits gehört dieser Landstrich zu einer der bedeutenden touristischen Regionen Spaniens, der Costa del Sol. Das mondäne Marbella, ebenso die Felsenstadt Ronda und der Naturpark Cabo de Gata sind nicht weit. In der Ferne leuchten die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada, direkt dahinter: Granada.
Tourismus El Ejido Auch El Ejido selbst verfügt über eine touristische Zone, wenn diese auch einige Kilometer vom Stadtkern und den Gewächshäusern entfernt an der Küste liegt. Almerimar heißt die Neubausiedlung mit Hotels, Ferienapartments, Sporthafen, Golfplatz und kilometerlangem Sandstrand.
Im Rathaus der Stadt ist man in diesen Tagen wenig auskunftsfreudig. Bürgermeister Francisco Góngora von der konservativen Partido Popular, die im Stadtrat die absolute Mehrheit hat, will sich zu diesem Thema nicht mehr äußern. Zu negativ waren die Schlagzeilen in den vergangenen Wochen. Die landesweite Tageszeitung El País etwa stellte unverhohlen den Bildungsgrad der Stadtbewohner infrage.
Ein Beleg dafür sei, dass die letzte Buchhandlung in El Ejido aufgrund mangelnder Rentabilität bereits im Jahr 2015 geschlossen habe. Der Autor konstatierte eine „Gemengelage aus Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Angst vor dem Fremden, Angst vor dem Verlust des wirtschaftlichen Status und einem uralten Bildungsmangel“.
Das wollte der Bürgermeister dann doch nicht unwidersprochen lassen und schrieb einen Leserbrief, in dem er auf das Theaterfestival verwies, das seit mehr als 40 Jahren in El Ejido stattfindet und landesweit einen hervorragenden Ruf genießt. Außerdem gebe es sehr wohl mehrere Buchhandlungen in der Stadt, ganz zu schweigen von den städtischen Bibliotheken mit ihren 79.000 Büchern.
Prägend aber ist in El Ejido etwas anderes: Die Stadt liegt inmitten einer der bedeutendsten landwirtschaftlichen Regionen Europas. Auf 30.000 Hektar erstrecken sich in der Provinz Almería die Gewächshäuser, in denen das Obst und Gemüse reift, das später auch in deutschen Supermärkten landet. Wer dort im Winter spanische Tomaten kauft, kann davon ausgehen, dass sie von hier stammen.
Das Meer aus Plastik
„Deutschland ist unser wichtigstes Exportland“, sagt Juan Colomina, Geschäftsführer des Agrarverbandes Coexphal, der 9.300 Betriebe vertritt. 97 Prozent von ihnen sind kleine Familienunternehmen. Diese exportieren jährlich Waren im Wert von mehr als 1,6 Milliarden Euro. „Die Landwirtschaft hat hier enormen Reichtum geschaffen.“
Juan Colomina,Geschäftsführer Agrarverband
In der Tat: El Ejido hat einen Golfplatz, ein Sterne-Restaurant und eine schicke Promenade direkt am Meer. Die Haupteinkaufsstraße ist in diesen Tagen festlich geschmückt. Familien schlendern mit Einkaufstüten über den Weihnachtsmarkt. Noch in den 70er Jahren, bevor der Boom der Landwirtschaft einsetzte, gehörte die Region zu den ärmsten Spaniens. Der wüstenähnliche Süden des Landes gilt als trockenster Landstrich Europas.
Gerade wegen dieser Kargheit drehte Sergio Leone hier seinen Westernklassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“. Dank moderner Bewässerungstechnik ist rund um Almería heute Landwirtschaft in großem Maßstab möglich. Mittlerweile belegt die Provinz beim Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in Andalusien hinter Sevilla Rang zwei. Die Arbeitslosenquote liegt in El Ejido bei zwölf Prozent – etwas unter dem spanienweiten und deutlich unter dem andalusischen Durchschnitt. Das ist es, was die Bewohner hier stolz „das Wunder von Almería“ nennen.
„Diese Entwicklung hat eine starke Anziehungskraft enfaltet“, sagt Juan Colomina vom Bauernverband. Der Bedarf an Arbeitskräften ist enorm. Gerade einmal 14.400 Einwohner waren im Jahr 1960 in der Gemeinde Dalías gemeldet, zu der El Ejido bis in die 80er Jahre gehörte. Heute leben hier fast 90.000 Menschen, jeder Dritte ist Ausländer. Die Marokkaner stellen dabei die größte Gruppe (fast 18.000).
Ausländer jagen
Viele von ihnen leben dort, wo der prächtige Boulevard endet und keine Weihnachtsbeleuchtung mehr blinkt. Stattdessen gibt es hier Handy-Läden, Lotto-Buden und Halal-Schlachter. Vor den Fenstern der Sozialbauten hängt Wäsche zum Trocknen. Über den Erfolg der Rechtspopulisten in ihrer Stadt will hier niemand so recht reden. „Man muss die Leute verstehen“, sagt Kaoutar Boughlala, Vorsitzende des Marokkanerverbandes Codenaf, der sich in Andalusien für die Rechte der nordafrikanischen Immigranten einsetzt, auch in El Ejido: „Sie wollen nicht noch mehr in die Öffentlichkeit gezerrt werden.“
Der Grund für die Zurückhaltung dürfte die Vorgeschichte der Stadt sein. Im Februar 2000 kam es zu schweren Ausschreitungen, nachdem innerhalb einer Woche zwei Landwirte und eine junge Frau getötet worden waren. Bei den Tätern handelte es sich um Ausländer. Tagelang gab es gewalttätige Übergriffe auf Immigranten, nachts brannten Straßenblockaden und die Polizei hatte Mühe, die Lage unter Kontrolle zu bekommen.
Es waren die schwersten ausländerfeindlichen Krawalle der jüngeren spanischen Geschichte. „Damals gingen die Leute auf die Straße, um Ausländer zu jagen“, sagt Javier Pérez, Koordinator der Hilfsorganisation Cepaim. „Das gibt es heute nicht mehr. Die Angst ist aber noch immer da.“
Von staatlicher Seite aus habe es kaum Anstrengungen gegeben, die Integration der Zuwanderer zu verbessern. In El Ejido gebe es „Koexistenz“, aber kein echtes Zusammenleben zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung. „Wir müssen Juan und Ahmed, Pepa und Fátima zusammenbringen“, sagt Pérez.
Rechtspopulisten im Aufwind
Um zu dem grauen Zweckbau zu gelangen, in dem die Cepaim-Mitarbeiter Fortbildungskurse und Beratung für Immigranten anbieten, muss man sich in das schier endlose Labyrinth aus Gewächshäusern wagen, das El Ejido umgibt. Es ist eine gespenstische Landschaft. Soweit das Auge reicht, nichts als Plastik. Wer sich hier nicht auskennt, ist verloren: Straßenschilder gibt es nicht, und die gut drei Meter hohen Planen versperren den Blick. Nur schemenhaft ist zu erkennen, was sich dahinter abspielt. Ein Ort, wie geschaffen für die Schattenwirtschaft.
Andrés Sánchez, Wirtschaftshistoriker
Rund 60.000 Immigranten arbeiten in den Gewächshäusern der Provinz Almería, schätzt Juan Colomina vom Bauernverband. Dazu kämen vermutlich einige Tausend Einwanderer ohne Papiere. Der legale Mindestlohn liegt bei rund 46 Euro pro Tag. Schwarzarbeiter bekommen lediglich 30 Euro, oft noch nicht einmal das, kritisieren die Gewerkschaften: Viele Landwirte würden die Notlage der illegalen Einwanderer ausnutzen.
Juan Colomina weist diesen Vorwurf vehement zurück. „Das sind Einzelfälle“, sagt er. „Wer Leute schwarz beschäftigt oder die arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht einhält, der riskiert drastische Strafen, die einen in den Ruin treiben können.“ Auch er sieht in erster Linie die Behörden in der Pflicht. „Das Problem ist nicht die Immigration“, sagt er. „Das Problem ist der Staat, der nichts davon wissen will und die Augen verschließt.“ Unstrittig ist, dass die ausländischen Arbeitnehmer längst eine Schlüsselrolle in der regionalen Wirtschaft spielen.
„Ohne sie würde die Ernte nicht mehr funktionieren“, sagt Andrés Sánchez, Wirtschaftshistoriker an der Universität in Almería. Mit Spaniern ließen sich die Arbeitsplätze nicht besetzen. Dass es dennoch massive Vorbehalte Immigranten gegenüber gebe, lasse sich rational nicht erklären. „In vielen europäischen Bevölkerungen existiert ein Gefühl von Bedrohung, das sich nicht mit realen Daten deckt.“
Die Einwanderung ist sicher nicht der einzige Grund für den Wahlerfolg der Rechtspopulisten. Die zunehmende Ablehnung der 40 Jahre währenden Dauerherrschaft der Sozialisten in Andalusien habe ebenso eine Rolle gespielt wie der Katalonien-Konflikt, der in den Augen vieler die Einheit Spaniens bedrohe – beides Themen, die Vox im Wahlkampf massiv bedient hat.
„Der Migrationsdruck hat in El Ejido nur eine breitere Tendenz noch verstärkt“, sagt Sánchez. Dafür spreche auch, dass Vox in anderen Gegenden, in denen die Immigration kaum ein Thema ist, ebenfalls Erfolge feiern konnte. Mit insgesamt zwölf Abgeordneten wird die Partei im andalusischen Parlament vertreten sein.
Bislang war Spanien eines der wenigen europäischen Länder, in denen sich keine rechtspopulistische Partei etablieren konnte – trotz Wirtschaftskrise, zahlreichen Korruptionsskandalen der traditionellen Parteien und Masseneinwanderung. Der Unmut weiter Teile der Bevölkerung kam vielmehr der linksgerichteten Protestbewegung Podemos zugute.
Ob die Wahl in Andalusien der Auftakt zu einer grundlegenden Veränderung der spanischen Parteienlandschaft war, wird sich am 26. Mai zeigen. Dann finden in Spanien neben der Europa- auch Kommunal- und Regionalwahlen statt. Die Partei Vox will dann ihren Aufschwung fortsetzen – der in El Ejido begonnen hat.
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