Fotografie aus Syrien in Berlin ausgestellt: Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit
Der syrische Fotograf Hayyan Al Yousouf liebt das Wasser, am Euphrat und am Wannsee. In Berlin stellt er Bilder seiner Heimat aus.
Inmitten von Trümmern hat sich eine kleine gelbe Blume durch eine Ritze zwischen Steinblöcken zum Licht empor gekämpft. Die Aufnahme des Fotografen Hayyan Al Yousouf stammt aus dem Jahr 2013, aus seiner Heimatstadt Deir Ezzor, am Euphrat im Osten Syriens gelegen, unweit der Grenze zum Irak.
Die Fotografie setzt einen Kontrapunkt zu dem Titel der Ausstellung, die jetzt in der Kreuzberger Galerie Bunter Hund Berlin zu sehen ist: „Under Fire“ (“Unter Beschuss“). Für den 36-jährigen Al Yousouf, der am 22. Oktober 2014 als Flüchtling nach einem beschwerlichen Fußmarsch von Griechenland aus erstmals deutschen Boden betrat und heute in Berlin lebt, symbolisiert die Aufnahme die „Hoffnung auf Leben inmitten der Zerstörung, die Hoffnung auf neues Leben, auf Kinder, die geboren werden“. Deshalb hat er dieses Motiv für die Einladungskarten zur Ausstellungseröffnung ausgewählt.
Die Fotografien Al Yousoufs stammen alle aus den Jahren 2013/2014, daher thematisieren sie auch den Bürgerkrieg. Doch Bilder zerfetzter Körper und Verschütteter nach einem Angriff fehlen hier ganz.
Schwatzende Schulmädchen
Seine Momentaufnahmen sind distanziert und ruhig, etwa, wenn zwei Schulmädchen schwatzend durch eine leere Straße nach Hause gehen, kurz nach einem Raketenangriff, der die Passanten zwang, sich in Sicherheit zu bringen, und die Normalität langsam wieder einkehrt.
Viele Aufnahmen zeigen Panoramafotos von Deir Ezzor von einem erhöhten Standpunkt aus. Eine Rakete saust durch die Stadt und zieht ihren roten Schweif hinter sich her, am Horizont steigt Rauch nach dem Einschlag vor einem Abendhimmel auf. Andere Bilder, wie jenes der Schulmädchen, lassen die Probleme des täglichen Lebens erahnen, etwa die entlang einer Straße oder auf einer Brücke gespannten Stoffbahnen, eine notdürftige Deckung vor Scharfschützen, oder die Nachtaufnahme mit Blick auf die einzige Straße, die noch hell erleutet ist.
Die Ausstellung „Under Fire“ in Bunter Hund Berlin, Kreuzbergstr. 29, eröffnet am Samstag, 16. Januar, um 19 Uhr mit Musik von Enana Alassar, Ausstellungsdauer bis 30. Januar, Mo, Mi, Fr-So 14-19 Uhr.
Eins der wenigen Fotos, auf dem Al Yousouf mit der Kamera näher an Menschen herangeht, zeigt eine auf den ersten Blick friedliche, häusliche Szene: drei Mädchen, vier, fünf Jahre alt, die unter einer Decke auf einem Sofa sitzen. Man könnte meinen, sie schauen gerade einen fesselnden Film im Fernsehen. Keines der Kinder lacht in die Kamera.
Doppeltes Glück
„Ich stand gerade auf einem hohen Gebäude, um mir eine Übersicht zu verschaffen“, erinnert sich Al Yousouf, „da flog eine Rakete über mich hinweg und schlug hinter mir im Nachbarhaus ein, die ganze Gegend war voller Staub. Dann kamen Leute und sagten, da seien Kinder im Haus, die überlebt hätten“. Al Yousouf fand die Mädchen in der Küche, dem einzigen Zimmer, das nicht zerstört wurde. In diesem Moment drückte er auf den Auslöser. Die Mädchen hatten gleich doppeltes Glück: Sie haben überlebt, und ihre Eltern waren zum Zeitpunkt des Angriffs nicht zuhause.
Heute kann sich Al Yousouf nicht mehr daran erinnern, wann er als Kind das erste Mal eine Kamera in den Händen gehalten hat. Sein Vater, ein Künstler, führte ihn in Technik, Bildaufbau und Farblehre ein, sodass er im Alter von 13 Jahren während der Schulferien und gelegentlich nach dem Unterricht in einem Fotostudio mitarbeiten konnte. Nach dem Abitur machte er an der Universität von Deir Ezzor einen Abschluss als Agraringenieur – in Syrien gibt es keine Hochschule, an der man Fotografie studieren kann.
Die Revolution brauchte Journalisten
Und dann kam das Jahr 2011, mit landesweiten, friedlichen Protesten gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad, und schließlich dem Bürgerkrieg. Wie viele seiner Generation, die nicht zur Waffe griffen, wurde Al Yousouf Fotojournalist, baute das Medienzentrum von Deir Ezzor auf und arbeitete mit den oppositionellen Lokalen Koordinationskomitees zusammen, für die er in der ganzen Provinz unterwegs war und das Geschehen dokumentierte.
„Es war meine Pflicht, aber auch mein Interesse, als Fotojournalist zu arbeiten, denn das war es, was die Revolution brauchte“, sagt er heute. Nebenbei, für sich selbst, fotografierte er andere Motive, Blumen, Landschaften, „etwas, das wir während des Krieges verloren haben“.
Die Stadt Deir Ezzor wurde 1860 von den Türken gegründet, um die Verkehrswege von Damaskus, Mossul und Aleppo nach Bagdad, die sich hier kreuzten, gegen die Beduinen zu sichern. Vor 2011 hatte die Stadt mit ihren Vororten 750.000 Einwohner. Sie liegt in einem fruchtbaren Gebiet und ist ein Zentrum der Ölförderung.
Der Islamische Staat (IS) kontrolliert heute große Teile der Stadt. Nur die Region um den Flughafen im Norden und ein Gebiet im Süden werden von den Truppen des Assad-Regimes gehalten.
Partnerstadt ist Armavir in Armenien. Während des Völkermordes im Jahr 1915 kamen viele Flüchtlinge nach Deir Ezzor und ließen sich nieder. In der Altstadt gibt es eine armenische Kirche; eine Gedenkstätte wurde im Herbst 2014 vom IS gesprengt. BS
„Under Fire“ ist unter etwas ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen. Die Galeristin Pia Rubröder-Riedel, selbst Künstlerin, hatte Ende vergangenen Jahres die Idee, Künstlern, die aus Syrien fliehen mussten, die Gelegenheit zu geben, im Bunten Hund auszustellen, da sie für Januar noch keine Ausstellung geplant hatte.
Individualität sehen
Wobei sie das Wort „Flüchtlinge“ nicht mag, da der Begriff eine anonyme Masse beschreibt. „Was würde ich mir wünschen, wenn ich in einer solchen Situation wäre? Es ist doch überlebenswichtig, dass meine Individualität gesehen wird, gerade als Künstlerin“, begründet Rubröder-Riedel, die nebenbei in der Kleiderkammer von Tempelhof aushilft, ihre Initiative. Über einen Aushang im Schaufenster ihrer Galerie, über Facebook und persönliche Kontakte kam schließlich die Verbindung zu Al Yousouf zustande, dessen Fotografien sie wegen seiner hoffnungsvollen Sichtweise auf seine Stadt angesprochen haben.
Wenn Al Yousouf, dessen Asylantrag so gut wie durch ist – auch den obligatorischen Fingerabdruck hat er schon abgegeben –, heute mit der Kamera in Berlin unterwegs ist, fotografiert er gerne Plätze, den Tegeler See, den Wannsee. „Ich suche Orte, die mich an zuhause erinnern“, erläutert er, „wie das Wasser, der dichte Wald jenseits des Euphrat. Das hat für mich eine große Bedeutung“.
Zuhause, in Deir Ezzor, wohnte seine Familie auf einer Insel zwischen zwei Flussläufen, nur eine Straße trennte das Haus vom Wasser. So sind seine Fotos von Brücken über den Euphrat, von Jungen, die ins Wasser springen, im Nachhinein gesehen auch Sehnsuchtsfotos, Erinnerungen an eine verlorene Zeit.
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